»Wie können Sie sich so was bloß anhören?«, fragte Diane gereizt.
»Mögen Sie keine Rapmusik?«
»Das ist keine Musik. Das ist Lärm.«
»Sie mögen Eminem nicht? Und was ist mit LL CoolJ, R. Kelly, Ludacris?«
»Ist das alles, was Sie sich anhören?«
»Nein«, erwiderte Kelly bissig. »Ich mag auch Berlioz’ Symphonie fantastique, Chopins Etüden und Händels Almira. Besonders gern .«
Kelly sah, wie Diane zum Radio ging und es ausschaltete.
»Was machen wir, wenn uns die Hotels ausgehen, Mrs. Stevens? Kennen Sie jemanden, der uns helfen könnte?«
Diane schüttelte den Kopf. »Die meisten Freunde von Richard arbeiten bei der KIG, und unsere anderen Freunde - die kann ich nicht in diese Sache reinziehen.« Sie blickte Kelly an. »Was ist mit Ihnen?«
Kelly zuckte die Achseln. »Mark und ich leben seit drei Jahren in Paris. Ich kenne hier niemanden, außer den Leuten bei der Model-Agentur, und ich habe das Gefühl, dass die keine große Hilfe wären.«
»Hat Mark gesagt, weshalb er nach Washington wollte?«
»Nein.«
»Richard auch nicht. Ich habe das Gefühl, dass das irgendwie der Schlüssel zu der ganzen Sache ist.«
»Klasse. Wir haben den Schlüssel. Aber wo ist die Tür?«
»Die werden wir schon finden.« Diane dachte einen Moment lang nach, dann lächelte sie. »Moment mal! Ich kenne jemanden, der uns helfen könnte.« Sie ging zum Telefon.
»Wen wollen Sie anrufen?«
»Richards Sekretärin. Die weiß bestimmt, worum es geht.«
»KIG«, meldete sich jemand am anderen Ende.
»Ich möchte bitte mit Betty Barker sprechen.«
Tanner, der in einem Büro saß, sah, wie das blaue Lämpchen der Stimmidentifizierung aufleuchtete. Er drückte auf eine Taste und hörte, wie die Mitarbeiterin der Telefonzentrale sagte: »Miss Barker ist zurzeit nicht an ihrem Platz.«
»Können Sie mir sagen, wie ich sie erreichen kann?«
»Tut mir Leid. Wenn Sie Ihren Namen und Ihre Telefonnummer nennen, werde ich .«
»Ist schon gut.« Diane legte den Hörer auf.
Das blaue Lämpchen erlosch.
Diane wandte sich an Kelly. »Ich habe das Gefühl, dass Betty Barker der Zugang sein könnte, den wir suchen. Ich muss eine Möglichkeit finden, wie ich an sie rankommen kann.«
Sie seufzte. »Es ist so sonderbar.«
»Was?«
»Eine Wahrsagerin hat all das vorausgesagt. Sie hat gesagt, dass mich der Tod begleitet und .«
»Nein!«, rief Kelly. »Und Sie haben das weder dem FBI noch der CIA gemeldet?«
Diane funkelte sie einen Moment lang an. »Ist egal.« Kelly ging ihr immer mehr auf die Nerven. »Gehen wir was essen.«
»Ich muss erst einen Anruf machen«, sagte Kelly. Sie nahm den Hörer ab und wählte die Vermittlung des Hotels.
»Ich möchte einen Anruf nach Paris anmelden.« Sie nannte der Vermittlerin eine Nummer und wartete. Nach ein paar Minuten strahlte sie auf. »Hallo, Philippe. Wie geht es Ihnen? Hier ist alles bestens ...« Sie warf einen Blick zu Diane. »Ja ... In ein, zwei Tagen müsste ich wieder daheim sein ... Wie geht’s Angel? Oh, das ist wunderbar. Vermisst Sie mich? Könnten Sie sie ans Telefon bringen?« Sie schlug einen anderen Tonfall an, so als spräche sie mit einem kleinen Kind. »Angel, wie geht’s dir, mein Liebling? Frauchen ist dran. Philippe sagt, du vermisst mich ... Ich vermisse dich auch. Bald bin ich wieder daheim, dann nehme ich dich auf den Arm und knuddle mit dir, meine Süße.«
Diane hatte sich umgedreht und hörte mit unverhohlenem Erstaunen zu.
»Wiedersehen, mein Schatz. In Ordnung, Philippe ... Danke. Wir sehen uns bald. Au revoir.«
Kelly sah Dianes verwunderte Miene. »Ich habe mit meinem Hund gesprochen.«
»Gut. Was hat er gesagt?«
»Sie. Es ist eine Hündin.«
»Das dachte ich mir.«
Eigentlich war es Zeit zum Abendessen, aber sie hatten Angst, ihr Zimmer zu verlassen. Sie bestellten sich etwas beim Zimmerservice.
Diane versuchte, mit Kelly ins Gespräch zu kommen, doch es war aussichtslos. Mehr als eine oberflächliche Unterhaltung kam nicht zustande.
»Sie haben also in Paris gelebt?«
»Ja.«
»War Mark Franzose?«
»Nein.«
»Waren Sie lange miteinander verheiratet?«
»Nein.«
»Wie haben Sie sich kennen gelernt?«
Das geht dich gar nichts an! »Das weiß ich nicht mehr. Ich habe so viele Männer kennen gelernt.«
Diane musterte Kelly. »Wieso reißen Sie die Mauern nicht ein, die Sie um sich aufgebaut haben?«
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt«, erwiderte Kelly spitz, »dass Mauern dazu da sind, um andere Leute fern zu halten?«
»Manchmal schließen sie einen auch ein und .« »Schauen Sie, Mrs. Stevens. Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram. Mir ging es bestens, bis ich Ihnen begegnet bin. Lassen wir’s einfach sein.«
»Gut.« Sie ist der kälteste Mensch, dem ich je begegnet bin.
Als sie ihr Essen schweigend hinter sich gebracht hatten, verkündete Kelly: »Ich gehe jetzt unter die Dusche.«
Diane antwortete nicht.
Kelly ging ins Badezimmer, streifte ihre Kleidung ab, trat unter die Dusche und drehte sie auf. Das warme Wasser fühlte sich auf ihrer nackten Haut wunderbar an. Sie schloss die Augen und ließ ihren Gedanken freien Lauf .
Sie hörte wieder Sam Meadows’ Worte. Wissen Sie, er ist hoffnungslos in Sie verliebt. Er möchte Sie heiraten. Ich kann nur hoffen, dass es keine schmerzliche Erfahrung für ihn wird. Und Kelly wusste, dass Sam Meadows Recht hatte. Sie war gern mit Mark zusammen. Er war lustig, aufmerksam und fürsorglich - ein großartiger Freund. Aber genau das war der Haken. Ich betrachte ihn nur als Freund. Ich bin ihm gegenüber nicht fair. Ich darf ihn nicht mehr sehen.
Mark hatte am Morgen nach dem Bankett angerufen.
»Hallo, Kelly. Was möchten Sie heute Abend unternehmen?«
Marks Stimme war voller Vorfreude. »Wollen wir gemeinsam essen und danach ins Theater gehen? Andererseits sind abends auch noch einige Geschäfte offen, und dann wäre da .«
»Tut mir Leid, Mark. Ich ... ich habe heute Abend zu tun.«
Einen Moment lang herrschte Stille. »Oh. Ich dachte, wir wären .«
»Nein, sind wir nicht.« Und Kelly stand da und hasste sich für das, was sie ihm antat. Es ist meine Schuld, dass ich es so weit habe kommen lassen.
»Na schön. Ich rufe Sie morgen an.«
Am nächsten Tag rief er sie wieder an. »Kelly, wenn ich Sie irgendwie beleidigt haben sollte .«
Kelly musste sich regelrecht wappnen, bevor sie ihm antwortete. »Tut mir Leid, Mark«, sagte sie schließlich. »Ich ... ich habe mich in jemanden verliebt.« Sie wartete einen Moment. Die Stille war schier unerträglich.
»Oh.« Marks Stimme bebte. »Ich verstehe. Ich ... ich hätte mir darüber klar sein sollen, dass wir . Meine . meine Glückwünsche. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass Sie glücklich werden, Kelly. Bitte grüßen Sie Angel von mir.«
Mark legte auf. Kelly stand da, hatte den Hörer in der Hand und fühlte sich elend. Er wird mich bald vergessen, dachte sie, und jemanden finden, der ihm das Glück schenken kann, das er verdient.
Kelly arbeitete tagtäglich, schritt lächelnd über den Laufsteg und hörte den Applaus des Publikums, aber innerlich war sie zutiefst bedrückt. Ohne ihren Freund machte ihr das Leben keinen Spaß mehr. Ständig war sie versucht, ihn anzurufen, aber sie weigerte sich nachzugeben. Ich darf es nicht. Ich habe ihm schon genug wehgetan.
Mehrere Wochen vergingen, ohne dass Kelly etwas von Mark hörte. Ich bin ihn los geworden. Vermutlich hat er mittlerweile jemand anderen kennen gelernt. Ich bin froh darüber. Und sie bemühte sich nach Kräften darum.