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Der Hausbesitzer und seine Frau standen stumm und wie versteinert in der Tür zur Kammer ihrer Tochter. Sie sahen sie im Licht einer einzelnen Kerze aufgerichtet in den Polstern sitzen. Die Bettvorhänge waren weit zurückgezogen. Die beiden warteten darauf, daß das Grauenvolle begann, und der Mann schaute das Mädchen beschwörend an.

»Elizabeth, wird es wiederkommen?« fragte er flehentlich.

Seine bleiche Tochter starrte ihn nur an; ihre Augen waren glasig und blicklos.

»Oh, Elizabeth«, hauchte der Mann, »warum tust du uns das an?«

»Du weißt, warum!« kreischte das Mädchen plötzlich und beugte sich vor. »Du hast meine Mutter umgebracht, um diese Hure zu heiraten.« Ihre Hand schoß vor und deutete auf die goldblonde, hübsche zweite Frau ihres Vaters.

»Das ist nicht wahr«, antwortete er. »Elizabeth, deine Mutter ist krank geworden und gestorben. Ich konnte nichts dagegen tun.«

»Lügen!« kreischte das Mädchen.

Sprachlos vor Entsetzen starrten der Mann und seine Frau das Mädchen an, das immer, wenn es dunkel wurde, ein anderer Mensch wurde, ein wahres Zankweib, eine Hexe der Nacht, die behauptete, daß der Geist ihrer Mutter sie besuche und beide als Mörder, Attentäter und Giftmischer beschimpfte.

»Hört nur!« zischte sie. »Mutter kommt wieder!«

Der Mann ließ den Arm von den Schultern seiner Frau sinken; ein Schauer lief ihm über den Rücken, und seine Nackenhaare sträubten sich angstvoll. Und richtig, im ganzen Haus begann es zu tappen und zu klopfen. Erst im Erdgeschoß, dann immer weiter oben, als krieche etwas zwischen Wand und Täfelung herauf; langsam und vorsichtig wie eine von der Hölle ausgespuckte Kreatur, bahnte es sich seinen scheußlichen Weg zu dieser Schlafkammer. Immer lauter wurde das Klopfen und erfüllte bald den ganzen Raum. Der Mann hielt sich die Ohren zu.

»Aufhören!« schrie er. Er riß sich das Kruzifix vom Gürtel und streckte es seiner bleichen Tochter entgegen. »Im Namen Jesu Christi, ich befehle dir, aufzuhören!«

Aber das Klopfen ging weiter - ein ratterndes Geklapper, das ihn um den Verstand zu bringen drohte.

»Ich kann nicht mehr«, flüsterte die Frau an seiner Seite. »Walter, ich kann nicht mehr.«

Sie rannte die Treppe hinunter und ließ ihren schreckensstarren Mann stehen. Plötzlich hörte das Klopfen auf. Das Mädchen beugte sich vor, und ihre Gesichtshaut war nicht nur weiß, sondern so straff, daß ihr Kopf wie ein Totenschädel wirkte; ein Eindruck, der durch das rabenschwarze, am Hinterkopf zu einem festen Knoten gebundene Haar noch verstärkt wurde. Der Mann tat einen Schritt nach vorn und schaute seiner Tochter in das fahle Gesicht. Ihre Augen waren leblos, zwei kleine Punkte aus schwarzem Obsidian, die ihn haßerfüllt anfunkelten, und die roten, weichen Lippen kräuselten sich in bitterem Hohn.

Er wollte noch einen Schritt machen, als das Rattern wieder begann, ein kurzer, heftiger Lärm, der gleich wieder erstarb. Der Mann roch den furchtbaren Gestank, an den er sich noch gut erinnern konnte. Sein Mut verließ ihn; er fiel auf die Knie und starrte seine Tochter mitleidheischend an.

»Elizabeth!« flehte er. »Im Namen Gottes!«

»Im Namen Gottes, Walter Hobden, du bist ein Mörder!«

Der Mann hob den Kopf. Seine bleiche Tochter starrte ihn an; ihre Lippen bewegten sich, aber die Stimme war die seiner toten Frau - genau ihre Intonation, die Art, wie sie das »R« in seinem Vornamen betonte.

»Walter Hobden, Fluch über dich für den Wein, den du mir gegeben hast, und das rote Arsen, das er enthielt - ein tödlicher Trank, der meinen Magen zerfraß und mein Leben vorzeitig beendete, damit du dich ungehindert deinen schmutzigen Gelüsten und heimlichen Wünschen hingeben konntest. Ich war deine Frau. Ich bin deine Frau. Und ich komme aus dem Fegefeuer, um dich zu warnen. Solange deine Seele mit meinem Blut besudelt ist, werde ich dich heimsuchen. Glaube mir, ich habe den Ort gesehen, der in der Hölle auf dich wartet. Du mußt gestehen! Ich will Gerechtigkeit - erst dann bekommst du deine Absolution.«

Walter Hobden duckte sich, zitternd vor Angst.

»Nein! Nein! Nein!« murmelte er. »Das ist nicht wahr! Es ist eine Lüge!«

»Keine Lüge!« kreischte die Stimme.

Hobden konnte nicht mehr. Er drehte sich um, kroch wie ein geprügelter Hund aus dem Raum und rannte die Treppe hinunter, während seine Tochter erzitterte, die Augen schloß und in die Kissen zurücksank.

Hobden schloß seine Kammertür von innen, lehnte sich dagegen, atmete tief ein und starrte mit wildem Blick in das angsterfüllte Gesicht seiner zweiten Frau. Sie reichte ihm einen Becher Wein.

»Trink, Gemahl.«

Er taumelte auf sie zu, riß ihr den Becher aus der Hand und stürzte den schweren, süßen Wein herunter.

»Was soll ich tun?« fragte er mit rauher Stimme. »Warum tut Elizabeth mir das an?«

Er setzte sich neben sie auf die Bettkante, und sie hielt seine Hand, während er den Wein schluckte; seine Finger waren kalt wie Eiszapfen.

»Eleanor?« Er starrte über den Becherrand. »Was sollen wir tun? Ist sie besessen? Hat irgendein Dämon von ihrer Seele Besitz ergriffen?«

Eleanors scharfe Augen flackerten verachtungsvoll. »Sie lügt und verstellt sich!« versetzte sie. »Deine Tochter hat sich mit einer eingebildeten Krankheit ins Bett gelegt.« Sie wischte ihrem Mann den Schweiß von der Stirn. »Walter, sie täuscht dich. Sie spielt ein übles Spiel mit dir.«

»Wie kann das sein?« antwortete er. »Du hörst doch das Klopfen. Ich habe ihre Hände beobachtet. Sie liegen auf der Decke. Wie soll sie das einfädeln, hm? Und wie bringt sie den gräßlichen Geruch zustande und die Stimme? Ich habe ihr Zimmer durchsucht, als sie schlief. Ich kann nichts finden.«

»Wenn das so ist«, sagte Eleanor scharf, »dann ist sie besessen und gehört zusammen mit dieser alten Hexe, ihrer Amme, an einen anderen Ort. In ein Spital, oder in ein Haus für Irrsinnige. Oder…«

»Oder?« fragte er hoffnungsvoll. »Wenn das stimmt, wenn der Geist ihrer Mutter wirklich zurückkommt, dann muß es ein verkleideter Dämon sein, der solche Lügen ausspuckt. Dann müssen sie und die Kammer einem Exorzismus unterzogen und gesegnet werden.«

»Aber wer kann das übernehmen?« Eleanor entwandt seinen starren Fingern den Weinbecher. »Pfaffen gibt es zwei für einen Penny.« Sie legte ihm die Arme um seinen Hals und küßte ihn sanft auf die Wange. »Vergiß diese Geister. Deine Tochter ist eine Betrügerin«, flüsterte sie. »Und ich werde sie als Lügnerin entlarven!«

Eins

Sir John Cranston saß auf der Fensterbank eines Schlafgemachs in einem Haus an der Milk Street am Rande von Westchepe. Er starrte aus dem Glasfenster, das einen guten Blick auf die Kirche von St. Mary Magdalen bot, und beobachtete einen wohlhabend aussehenden Reliquienhändler, der seinen Stand aufbaute und die Kunden zusammenrief. Cranston lächelte ohne Heiterkeit, als er den Burschen krähen hörte; leise klangen die Worte von der Straße herauf.

»Schaut her, ich habe hier Jesu Milchzahn, den er mit zwölf Jahren verlor! Einen Finger vom Hl. Sylvester! Ein Stück von dem Sattel, auf dem Christus nach Jerusalem einritt. Und in dieser schön beschlagenen Kiste den Arm des Hl. Polycarp - das einzige, was von ihm übrigblieb, nachdem die Löwen ihn in Rom in der Arena in Stücke gerissen hatten. Ihr guten Leute, diese vom Heiligen Vater gesegneten Reliquien können Wunder wirken und tun es auch!«

Cranston sah, wie sich leichtgläubige Zuschauer um ihn drängten. Ein Gauner, dachte er. Er schaute hinüber zu dem Leichnam, der auf dem Vierpfostenbett aufgebahrt lag, sorgsam in ein Leichentuch gewickelt; nur das Gesicht schaute hervor, das mit offenem Mund und halb geschlossenen Augen auf dem Kissen ruhte.