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»Führt Ihr Selbstgespräche, Pater?«

Athelstan blickte auf. Er hatte die Priorei von St. Mary Overy hinter sich gelassen und war auf der breiten Straße, die zur Brücke hinunterführte. Um ihn stießen und drängten sich die Leute, und er sah nicht, wer gesprochen hatte.

»Pater, ich bin's.«

Athelstan schaute hinunter. Fast verborgen unter Philomels Maul stand Burdon, der Torhauswächter.

»Nein, Master Burdon, ich habe gebetet«, log er.

Das Männchen kam näher. »Wo ist Sir John? Oh, sagt's mir nicht - er sitzt berauscht in irgendeiner Schenke in der Stadt. Was ist mit meinen Köpfen?«

»Was soll mit ihnen sein?« fragte Athelstan. »Sind wieder welche verschwunden?«

»Nein.« Der kleine Mann reckte die Schultern. »Aber die, die weg sind, sollten zurückkommen.«

»Na, ich werde Sir John Bescheid sagen.«

»Gut. Und sagt ihm, er soll bald vorbeikommen. Meine Frau erwartet wieder ein Kind.«

Athelstan winkte und trieb Philomel weiter. Burdon sollte sein überraschtes Grinsen nicht sehen; es war sicher eines der großen Geheimnisse Gottes, wie so ein kleiner Mann der stolze Vater eines ganzen Kirchenchors von Kindern sein konnte.

Auf der London Bridge drängten sich Fuhrwerke und Packpferde, und Athelstan mußte geduldig warten; er nahm sich vor, nicht durch die Lücken auf den tobenden Fluß hinunterzuschauen. Endlich war er drüben und ritt die Bridge Street und die Lombard Street hinauf in die verkehrsreiche Cheapside.

Erfüllt von den Freuden des Frühlings, hatte Sir John die Nachricht von Crim empfangen und saß im »Heiligen Lamm Gottes«, wo er geschäftig einen Teller Aale mit frischgebackenem Brot verzehrte. Er wirkte frisch und ausgeruht und hätte Athelstan in seiner Umarmung beinahe zerquetscht.

»Ich hab's schon einmal gesagt«, dröhnte der Coroner, »und ich sage es wieder: Für einen Mönch bist du gar nicht so übel!« Er hielt Athelstan auf Armeslänge von sich. »Trink einen Roten!«

»Nein, Sir John.«

»Du hast den Mörder entlarvt?« flüsterte Cranston.

»Habt Ihr die Nachricht zum Rathaus geschickt?«

Cranston nickte.

»Dann setzt Euch, Sir John, und ich will Euch erzählen, was ich denke.«

Der Coroner trank, während Athelstan ihm seine Gedanken darlegte. Er stellte ein paar Fragen; dann saß er da, hielt seinen Humpen mit beiden Händen umschlungen und starrte in die Cheapside hinaus.

»Bist du sicher, Bruder?« fragte er schließlich.

»Nicht ganz, aber es ist die einzig logische Erklärung.«

»Woher wissen wir, daß die Person, die du nennst, nicht Ira Dei ist?«

»Ich bezweifle es, Sir John, aber möglich wäre es.«

»Aber könnte jemand so mit einem Dolch umgehen? Nein, nein.« Cranston wedelte mit der Hand. »Andererseits, es könnte natürlich gehen. Komm, geh mit mir zu Simon, dem Waffenschmied. Unsere Kameraden im Rathaus erwarten uns erst um die Mittagsstunde, oder?«

Athelstan nickte. Cranston wuchtete seinen mächtigen Wanst hoch und stapfte breitbeinig hinaus in die Cheapside und die Friday Street hinauf. Dort standen die Häuser dicht beieinander; Ladenschilder, die an Stangen hingen, baumelten gefahrlich dicht über den Köpfen der Menschen. Cranston blieb unter dem bunten Bild einer Sturmhaube und eines Paars Eisenhandschuhe stehen.

»Reden wir ein paar Worte mit dem alten Simon.«

Trotz der schmalen Fassade war die Werkstatt im Innern des Hauses groß und höhlenartig. Im Garten dahinter befand sich eine kleine Schmiede, in der schwitzende Lehrlinge Metallstücke aus dem tosenden Feuer zogen und auf Ambosse legten, um sie mit aller Kraft zurechtzuhämmern. Ein kleiner, rotgesichtiger Mann erschien wie aus dem Nichts. Mit seinen funkelnden, flinken Augen, dem schütteren Haar und den langen, spitzen Ohren erinnerte er Athelstan an einen Kobold.

»Sir John!« Die Augen des kleinen Mannes blitzten bei der Aussicht auf Profit, als er die Körpermassen des Coroners erblickte. »Ihr seid gekommen, um eine Rüstung zu kaufen?«

Der kleine Mann befeuchtete sich die Lippen, während er im Geiste schon ausrechnete, was es kosten würde, einen so dicken Bauch mit Kettenhemd und Harnisch zu schützen. Eine Zeitlang neckte Cranston ihn, aber dann schlug er dem kleinen Kerl so heftig auf die Schulter, daß er ihn fast in den Boden gerammt hätte.

»Unsinn, Simon, und das weißt du. Die Tage des Kampfes sind für mich vorüber. Das hier ist Athelstan, mein Schreiber.« Leichthin wedelte er mit einer fetten Hand. »Und er hat eine Theorie. Erkläre!«

Athelstan gehorchte. Simon hörte zu, zog eine Grimasse und zuckte die Achseln. »Natürlich.«

Er ging in den hinteren Teil der Werkstatt und öffnete - verwickelt in eine hitzige Debatte mit Cranston über Dolche, Hirschfänger, italienische Stilette, Langbogen und große und kleine Armbrüste - eine große Truhe. Ein Lehrjunge wurde hereingerufen und mußte durch eine Demonstration beweisen, daß Simon recht hatte.

Eine Stunde später wanderten Cranston, Athelstan und der kleine Waffenschmied, der einen Ledersack über der Schulter trug, zurück in die Cheapside und geradewegs zum Rathaus. Athelstan machte bei einem Bäcker halt und kaufte einen Leinenbeutel mit Marzipan und doucettes. Dann mußten sie noch einmal stehenbleiben, weil Büttel eine Reihe von Übeltätern und Sträflingen aus den Gefängnissen in Newgate und Fleet ihrer Strafe zuführten.

Es war die übliche niedergeschlagene Prozession von Gaunern, Dieben und Nachtvögeln. Aber dann kam ein Karren, dem zwei Dudelsackspieler vorausgingen, die ein munteres, flottes Liedchen spielten. Der Pferdekarren war mit allerlei grausigen Gegenständen übersät und verbreitete einen Kloakengestank, der die Leute auf der Straße empört aufschreien ließ. Hinten auf dem Karren standen die beiden Reliquienhändler, die Cranston am Vortag verhaftet hatte. Ihre Gesichter waren blutig, ihre zerzausten Haare von allerlei Unrat verschmiert, und die Menge bewarf sie weiter mit Kot und Abfällen.

Cranston grinste, Athelstan aber durchfuhr schmerzliches Mitleid; man hatte den beiden Männern die Hose bis auf die Knöchel heruntergerissen, und ihre blanken Hintern waren wund und blutig, denn zwei Büttel peitschten sie mit dicken Ledergürteln. Hinter diesen Missetätern marschierte ein Beamter mit einer bunt bemalten Proklamation, die »die gräßlichen Verbrechen dieser beiden Betrüger« schilderte.

»Was passiert mit ihnen?« fragte Athelstan.

»Nicht das, was sie verdient hätten«, grollte Cranston. »Der Karren mit den sogenannten Reliquien fahrt zur London Bridge, dort wird der städtische Henker alles verbrennen. Unsere beiden Hübschen werden danach nach Aldgate gepeitscht, losgebunden und aus der Stadt verbannt; werden sie noch einmal ertappt, verlieren sie einen Arm, und beim zweiten Mal ihr Leben.« Cranston blickte über die Menge hinweg, die Schimpfworte brüllte, als der Karren in der Mercery verschwand. »Das ist eine Lektion für die anderen - die sie morgen bestimmt schon wieder vergessen haben.«

Sie gingen weiter über die Cheapside, und der kleine Waffenschmied verwickelte Cranston von neuem in eine erbitterte Diskussion über die Überlegenheit mancher Waffen. Vor dem Rathaus mußten sie eine Weile warten, bis ein Ratsdiener sie in den Saal führte, in dem Gaunt saß, flankiert von Clifford und Hussey und den Gildemeistern. Der Regent ließ alle Etikette beiseite und lud sie nicht einmal ein, Platz zu nehmen. Verächtlich musterte er den kleinen Waffenschmied. Simon war derart überwältigt von der Gegenwart so erhabener Persönlichkeiten, daß er gar nicht aufhören konnte, sich zu bücken und zu verbeugen, bis Cranston ihm zuzischte, er solle bei der Tür warten und stillstehen.

»Ihr habt uns etwas zu berichten, Mylord Coroner?«

»Ja, Euer Gnaden.«

Gaunt spielte mit den Ledertroddeln an seinem teuren gesteppten Wams. Athelstan sah, daß der Regent sich auf einen Vormittag der Jagd in den Feldern und Sümpfen nördlich von Clerkenwell gefreut hatte. Hussey war diplomatisch wie stets, freundlich, aber still. Clifford rieb sich nachdenklich die verletzte Schulter, und die Gildeherren benahmen sich wie eine Meute Jagdhunde. Goodman, der Bürgermeister, trommelte auf dem Tisch, Sudbury und die übrigen schienen arrogant und verärgert, weil man sie von ihren morgendlichen Geschäften abgehalten hatte.