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»Ach?« Sir John lächelte ungerührt. »Ihr habt den Mörder auf frischer Tat ertappt?«

»Um Gottes willen, Mann!« schnarrte Goodman. »Schaut Euch die Laube an. An zwei Seiten ist der Gartenzaun, die hintere Mauer ist die Rathausmauer, und die vierte wird durch das Schirmdach geschützt.«

Cranston und Athelstan betrachteten das langgestreckte, schmale Schrägdach, das an die Pfeiler des Rathauses angebaut und mit alten Schilden gedeckt war; es bildete einen überdachten Gang zwischen der Küche und dem eigentlichen Rathaus.

»Wie sollte irgendjemand«, fuhr Goodman langsam fort, als wären Athelstan und Cranston schwer von Begriff, »den Garten betreten, Sir Gerard erstechen und in aller Ruhe wieder fortgehen können, ohne von den Hunden in Stücke gerissen zu werden?«

»Was der Bürgermeister sagen will«, warf Clifford ein, »ist, daß die beiden Hunde Sir Gerards ständige Begleiter waren. Mountjoy war Junggeselle. Sie ersetzten ihm Weib und Kinder, Familie und Anverwandte. Nur einer konnte sich dem Sheriff nähern, ohne die Hunde zu stören: sein Diener und Amtmann, Philip Boscombe.«

Cranston nickte und schaute wieder zu der Laube hinüber.

»Sir Gerard«, fuhr Clifford fort, »hatte immer Angst vor Attentaten. Niemand - kein Beamter, kein Ratsherr, kein Bürger - konnte sich ihm nähern, wenn der Sheriff seinen Hunden nicht befohlen hatte, freundlich zu sein. Boscombe war die einzige Ausnahme. Er muß es gewesen sein. Die Diener haben die Hunde nicht einmal bellen hören.«

Cranston ging zurück. Aus sicherem Abstand spähte er in die blutbespritzte Laube hinein. Die beiden großen Hunde lagen ihrem Herrn zu Füßen; ab und zu blickten sie zu ihm hoch, als erwarteten sie, daß er gleich aufwachen und sie rufen würde. Sie spürten, daß etwas nicht stimmte, und der Blutgeruch machte sie nur noch aggressiver. Knurrend wandten sie ihre Aufmerksamkeit dem Gartentor zu.

»Clifford muß recht haben«, flüsterte Athelstan, der auch herangekommen war. »Das Messer kann nicht geworfen worden sein. Es gibt keine Stelle, von der aus das möglich wäre. Und seht nur, wie tief es steckt, Sir John.«

Cranston nickte. »Wo ist Boscombe jetzt?« fragte er.

»Er beteuert seine Unschuld«, antwortete Goodman. »Er sitzt im Verlies unter dem Rathaus. Sir John, wir warten! Habt Ihr Angst vor den Hunden?«

»Bringt mir zwei Stücke rohes Fleisch!« rief Cranston. Diese aufgeblasenen Leute warten zu lassen machte ihm Spaß. »Und einen Napf Wasser.«

Goodman ging ins Rathaus, die anderen hörten ihn drinnen seine Anweisungen brüllen. Nach kurzer Zeit kam ein Diener heraus; er trug ein Tablett mit zwei blutigen Fleischstücken und einem Wassernapf, reichte es Cranston, warf einen furchtsamen Blick zu dem Laubengang hinüber und rannte zurück ins Rathaus.

»Bleibt, wo Ihr seid!« rief der Coroner. »John Cranston hat vor niemandem Angst. Und diese Hunde sind zu edel, als daß man sie umbringen dürfte.« Er trat an das Tor und sprach ruhig auf die knurrenden Hunde ein. Sie legten die mächtigen Pfoten auf das Tor und richteten sich auf; ihre großen, zottigen Köpfe überragten das Gartentor um ein ganzes Stück. Cranston trat zurück und redete weiter leise auf sie ein. Die Hunde bellten wild, verstummten aber schließlich. Sie legten sich hinter dem Tor nieder und schauten zu diesem Mann mit der sanften Stimme hoch, der das köstlich duftende Fleisch und den Wassernapf in den Händen hielt. Athelstan kam langsam näher. Sir John flüsterte mit den Bestien, als wären sie alte Freunde.

»Siehst du, Bruder«, murmelte er aus dem Mundwinkel, »kein Lebewesen, mit Ausnahme des Menschen, kann sich der Freundlichkeit verschließen.«

Vorsichtig öffnete er das Gartentor. Die beiden Hunde standen still und wedelten mit den Schwänzen. Cranston pfiff leise und lockte sie mit Fleisch und Wasser in den Garten hinaus. Dort legte er ihnen das Fleisch hin. Während sie es herunterschlangen, ließen sie sich von Cranston die mächtigen Schädel streicheln und die Ohren liebkosen.

»Brave Jungs«, flüsterte er. »Seid gute Freunde vom alten John.«

Einer der Hunde hörte sogar auf zu fressen und leckte ihm die Hand. Cranston ging zurück in die Laube. Die Hunde erhoben sich.

»Platz!«

Beide Hunde gehorchten, und, gefolgt vom grinsenden Athelstan, betrat Cranston die Laube.

»Mach die Augen zu, Bruder.«

Athelstan gehorchte, und er hörte das unverwechselbare Geräusch, als Cranston den Dolch aus der Leiche zog. Athelstan öffnete die Augen wieder und sah sich um.

Der Leichnam war umgekippt und lag mit dem Gesicht nach unten auf der Rasenbank. Ein Weinbecher lag unter dem Efeu, der an der Rathausmauer emporwuchs, und als Cranston den Dolch im Gras abwischte, wurde Athelstan klar, wie rätselhaft dieser Mord war. Mountjoy hatte unmittelbar gegenüber des mit dem Schrägdach überdeckten Ganges gesessen. Der Zaun war aus Holzplanken und die Lücken dazwischen zu schmal, als daß jemand ein Messer mit solcher Wucht hätte hindurchschleudern können. Die Mauer des Rathauses war eine unüberwindliche Barriere, und um das Messer vom Garten aus zu werfen, hätte man dazu am Tor stehen müssen. Athelstan schüttelte den Kopf. Sir Gerard und seine Hunde hätten nicht zugelassen, daß jemand mit einem gefährlich aussehenden Dolch dort stand; sie hätten geschrien und angegriffen.

Athelstan blickte auf den Kiesweg, der unter seinen Sandalen knirschte. Niemals hätte sich ein Attentäter lautlos über diesen Pfad zum Tor schleichen können, ohne daß die Hunde wie rasend gebellt hätten. Er schaute an der Stützmauer des Rathauses hoch, an die das Schrägdach angebaut war. Die einzigen Fenster dort oben waren schmale Schießscharten, zu hoch und zu schmal, als daß von dort ein Messer halbwegs kräftig und zielgenau hätte geworfen werden können. Er schaute Cranston an, der die Messerklinge eingehend betrachtete.

»Es muß Boscombe gewesen sein«, sagte Athelstan leise. »Das Messer wurde nicht geworfen. Seht.« Er deutete auf das Spaliergitter, an dem Mountjoy gelehnt hatte. »Der Dolch ist ihm durch die Brust gedrungen und hat den Gitterzaun verkratzt.«

»Vielleicht ist jemand hinter Sir Gerard über den Zaun geklettert?« Clifford kam heran.

Athelstan schüttelte den Kopf.

»Das bezweifle ich, Mylord. Sir Gerard hat anscheinend gesessen, als er ermordet wurde. Der Mörder müßte auf den Zaun klettern, sich mit dem Dolch herunterschwingen und ihn dem Opfer in die Brust stoßen. Könnt Ihr Euch vorstellen, daß der Sheriff und seine Hunde das geduldig abwarten?«

Angeführt von Clifford und Gaunt, kamen die Gildemeister vorsichtig in die kleine Laube und schauten sich immer wieder furchtsam nach den beiden großen Wolfshunden um, die jetzt mit traurigem Blick im Gras lagen.

»Sind die Hunde nicht mehr gefährlich?« fragte Gaunt leise.

»Oh nein«, antwortete Gaunt abwesend. »Sie wissen, daß hier etwas nicht stimmt, aber uns betrachten sie nicht als Feinde.« Er lachte schnaubend. »Obwohl wir es ja vielleicht sind. Einer der Anwesenden auf jeden Fall.« Cranston schaute in die Runde. »Ich bin Sir John Cranston, Coroner des Königs in der Stadt«, erklärte er, »und dies ist mein Urteiclass="underline" Ich finde Sir Gerard Mountjoy von einer oder mehreren unbekannten Personen ermordet auf.«

»Was ist mit Boscombe?« fragte Gaunt.

»Möglich, daß er es war. Aber habt Ihr diesen Dolch gesehen, Mylord?« Cranston hielt ihn in die Höhe.

Erst dachte Athelstan, es handele sich um einen ganz gewöhnlichen walisischen Stichdolch mit schmaler, langer, bösartiger Klinge und kleinem Griff und Heft. Aber unter den verschmierten Spuren von Cranstons Säuberung war etwas in die Klinge eingraviert. Athelstan nahm Cranston den Dolch aus der Hand und betrachtete ihn genauer.

»Ira Dei«, murmelte er und las die grob geritzten Zeichen laut vor.

Gaunt stampfte wütend ins Gras und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Bei der Heiligen Messe!« Er funkelte die anderen an. »Diese Bauernschweine bedrohen uns hier in unserer eigenen Stadt, in unseren eigenen Palästen.«