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»Ira Dei?« Hussey, der königliche Hauslehrer, drängte sich nach vorn. »Der Zorn Gottes? Mylord Gaunt, was hat das zu bedeuten? Man muß es dem König berichten.«

»Mein Neffe wird es beizeiten erfahren«, erwiderte Gaunt gereizt.

Athelstan spürte die tiefe Ablehnung im Ton des Regenten und erinnerte sich an das Getuschel über zunehmende Rivalitäten zwischen ihm und dem Hauslehrer des Königs.

»Ira Dei«, wiederholte Gaunt langsam, »ist ein selbsternannter, geheimnisumwobener Führer.«

»Führer wovon?«

»Der Großen Gemeinschaft«, knurrte Gaunt. »Diesen Namen haben die Bauern dem geheimen Rat ihrer Anführer gegeben, der Verrat und Rebellion plant, in London und Umgebung. Sir, Ihr solltet besser Bescheid wissen.«

»Mylord«, antwortete Hussey geschmeidig, »wie Seine Gnaden der König weiß ich nur das, was man mir sagt.«

Verärgert wandte sich Gaunt ab. »Mountjoy ist tot«, flüsterte er. »Erstochen von seinem Diener, der offenbar gegen Bezahlung oder aus Überzeugung für die Rebellen arbeitet. Sir John, Bruder Athelstan, stimmt Ihr mir zu?«

Cranston betrachtete den Dolch, während Athelstan sich bemühte, den schweren Leichnam des Sheriffs auf die Rasenbank zu legen. Das Gewand des Mannes war dick verkrustet von Blut. Athelstan sprach flüsternd das Totengebet und untersuchte zugleich die Wunde in der Brust des Mannes, die Schramme im Zaun, an dem er gelehnt hatte, und das Blut an den Händen des Toten.

»Mylords«, erklärte der Ordensbruder schließlich schwer atmend und faltete die Hände des toten Sheriffs. »Sicher wird Sir John mit mir darin übereinstimmen, daß Sir Gerard durch einen Dolchstich in die Brust getötet wurde. Der Dolch kann nicht geworfen worden sein; die Laube ist ringsum geschlossen, und hätte der Mörder am Tor gestanden, dann hätte Sir Gerard ihn sehen müssen, von seinen Hunden ganz zu schweigen.«

»Vielleicht haben sie geschlafen, alle drei«, dröhnte Fitzroy töricht. »Sir Gerard trank gern Wein.«

»Aber die Hunde nicht«, gab Denny spöttisch zu bedenken.

»Ich bezweifle es«, sagte Athelstan ruhig. »Solche Hunde hätten ihren Herrn vor jedem beschützt, und Sir Gerard wußte, wenigstens ein paar Augenblicke zuvor, daß er sterben mußte. Seht Ihr seine Hände? Sie sind blutig.«

»Mein Schreiber spricht aus, was ich dachte«, unterbrach Cranston ihn großspurig. Er zwinkerte Athelstan zu und ging zurück zum Tor. »Der Dolch wurde nicht geworfen. Der Mörder spazierte durch das Tor, vielleicht mit versteckter Waffe; sie ist lang und schmal und hat keinen großen Griff. Sir Gerard sitzt da und trinkt seinen Wein. Er blickt auf, und der Mörder sticht zu, rammt dem Sheriff den Dolch tief ins Herz und durchbohrt den Körper. Im Todeskampf zerrt Sir Gerard an dem Dolch, seine Hände fallen herab, er stirbt.« Cranston sah sich strahlend um. »Ich denke, als nächstes, Mylords, sollten mein Schreiber und ich den Gefangenen verhören.«

Gaunt war einverstanden, und man rief einen Bogenschützen, der Cranston und Athelstan ins Rathaus und in das klamme, muffige Kellergewölbe führte. Die Gänge waren von Fackeln beleuchtet. Vor einer Tür mit eingelassenem Eisengitter standen zwei Bogenschützen Wache. Cranston spähte durch das Gitterfenster. Das Verlies war von einer Öllampe erleuchtet, die auf einem wackligen Tisch stand. Der Gefangene lag zusammengekrümmt auf einer schmalen Pritsche. Die Wachen schlössen die Tür auf, und Cranston und Athelstan schlüpften hinein. Stöhnend richtete sich der Mann auf.

Im trüben Licht der Öllampe sah er so elend und jämmerlich aus wie nur menschenmöglich. Er war klein und dick; seine Augen verschwanden zwischen Fettwülsten und waren noch dazu vom Weinen verquollen. Sein Haar war vom Kerkerschmutz verklebt.

Athelstan hockte sich neben ihn und schaute dem Amtmann des Sheriffs in das weichliche, verzärtelte Gesicht. Der Mann verschränkte die Arme und fing an, sich vor und zurück zu wiegen.

»Was kommt jetzt? Was kommt jetzt?« murmelte er, und Tränen rollten ihm über die Wangen. »Werde ich gefoltert? Soll ich hängen? Sir, Ihr dürft mir nichts tun!« Er wimmerte wie ein Kind, und Athelstan sah den Bluterguß an seiner Wange. Sanft berührte er die Hand des Mannes und sah sich dann nach Sir John um. Der Blick des Ordensbruders ließ keinen Zweifeclass="underline" Athelstan hatte bereits entschieden, daß dieser kleine dicke Mann mit der teigigen Haut und den plumpen Händen kein Mörder war.

»Wir wollen dir helfen«, flüsterte Athelstan, stand auf und lehnte sich an den Tisch. Cranston stellte sich mit dem Rücken zur Tür. »Du mußt uns nur die Wahrheit sagen.«

Immer noch schniefend schaute der Mann zu Boden, und seine Schultern bebten.

»Sir Gerard ist tot«, jammerte er. »Und ich soll hängen. Sir, ich bin unschuldig - und dabei hat der Tag so gut angefangen!«

»Dann beginne mit dem Anfang«, drängte Athelstan. »Boscombe, der Regent hört auf Sir John Cranston. Wenn du die Wahrheit sagst und deine Unschuld beweist, dann hast du diese Zelle vielleicht heute abend schon wieder verlassen.«

Der Gefangene blickte auf, und Athelstan sah Hoffnung flackern in den dunklen, tränennassen Augen des Amtmannes.

»Der Tag fing so gut an«, wiederholte der Mann; dann hustete er, und seine Stimme wurde fester. »Sir Gerard gefiel, was da geschehen sollte: Er und der Regent wollten einen Freundschaftsbund zwischen den Gilden besiegeln. Seine Gnaden, der König, der Regent und die anderen kamen am Vormittag zur Messe in die Rathauskapelle. Sir Gerard war auch dabei. Ich und die übrigen Diener standen hinten. Die Messe begann; die Gildemeister, der Regent und Sir Gerard gaben sich den Friedenskuß, sie empfingen das Sakrament, und dann wurden die Schlüssel gesegnet.«

»Was?« unterbrach Cranston.

»Als Garantie für ihre guten Absichten«, antwortete Boscombe, »haben die führenden Gilden und auch der Regent je einen Goldbarren in einer eigens angefertigten, mit Eisenriegeln und sechs Schlössern gesicherten Truhe deponiert. Einen Schlüssel hat der Regent, die übrigen haben die Gildemeister.« Boscombe rieb sich die Wange. »Danach bekamen wir Marzipan und süßen Wein von der Kirche. Dann zog der Regent sich mit dem Bürgermeister, dem Sheriff und den fünf Gildemeistern zu einer geheimen Beratung in die Privatgemächer des Sheriffs zurück.« Boscombe fuhr sich durchs Haar, das verfilzt wie ein Wolfsfell war. »Danach löste sich die Versammlung auf, und mein Herr sagte, er wolle es sich in seinem Garten Wohlsein lassen.«

»Bist du auch hingegangen?«

»Ja, ich habe ihm einen Becher Wein gebracht. Er sonnte sich und sagte, der Vormittag habe einen guten Verlauf genommen und ich solle ihn nicht noch einmal stören.« Boscombe fing wieder an zu weinen. »Ihr Herren, ich war in meiner Kammer, als ich das Geschrei hörte, und dann kamen die Soldaten mich holen. Man zerrte mich in den Garten hinunter; da sah ich den armen Sir Gerard. Und jetzt«, klagte er, »soll ich hängen.«

Athelstan berührte ihn leicht bei der Schulter.

»Sei getrost, mein Freund. Du bist kein Mörder. Sir John wird dafür sorgen, daß Gerechtigkeit geschieht. Eine Frage noch: Hatte Sir Gerard, dein Herr, irgendwelche Feinde?«

Jetzt lächelte Boscombe schmal. »Feinde?« wiederholte er. »Ich habe meinem Herrn gut gedient, aber für ihn war ich auch nur ein Hund, der einen Tritt bekommt, wenn er etwas falsch macht, und einen Knochen, wenn es gut war. Ihr fragt Euch besser, Pater, ob es jemanden gab, der nicht Sir Gerards Feind war -denn Freunde hatte er nicht. Lord Gaunt ertrug ihn. Sir Christopher Goodman, der Bürgermeister, hielt es kaum mit ihm im selben Raum aus, und die fünf Gildemeister …« Boscombe verzog höhnisch den Mund. »Sie sind mächtige und gefährliche Männer und konnten Sir Gerard nicht ausstehen, nicht nur wegen seines Reichtums, sondern auch weil er ein so hohes Amt in der Stadt errungen hatte.«