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Jetzt, vor dieser zu allem bereiten nackten Frau mit dem Damaszenerschwert in der Hand, war es keine Feigheit, wenn er stehenblieb. Es war einfach die Erkenntnis, klüger zu sein als die von ihrer Leidenschaft getriebene, aller Vernunft beraubte Elise de Be-ricourt.

«Warten wir es also ab«, sagte er und ging rückwärts bis zum Fenster. Dort blieb er stehen und zeigte auf das Bett und das zerrissene Kissen.»Wenn schon Historie, Kreuzritterschwert und so — warum zwingen Sie mich nicht mit ihrer scharfen Klinge zur Liebe? Zerhackt werden oder lieben — aus dieser Alternative fände ich einen Ausweg.«

«Du sollst mich lieben, weil ich schön bin. Ich bin doch schön, nicht wahr?«

«Sie haben alles, was einen Mann begeistern kann. Einen herrlichen Körper, Temperament, Geist.«

«Und trotzdem?«

«Ja, trotzdem. Sie zu lieben bedeutet, Sklave zu werden. Ich könnte mir vorstellen, daß ein Mann der Sie einmal besessen hat, an nichts anderes mehr denken kann als an diese Stunde.«

«Ist das ein so schrecklicher Gedanke?«

«Ich habe eine andere Aufgabe, als von weiblichen Reizen zu träumen.«

«Ich weiß. Du mußt reiten, springen, siegen. Das alles kannst du auch hier haben. Ich richte dir den schönsten Parcours der Welt ein, du kannst die besten Pferde kaufen, ich werde dir zusehen, wenn du trainierst, wenn du die Hindernisse überwindest, du wirst immer der Sieger sein! Und nach jedem Turnier winkt dir ein Preis, wie du ihn noch nie gewonnen hast — ich!«Sie breitete die Arme aus. Über ihren schlanken nackten Körper tanzten die Sonnenstrahlen.»Es wird ein wundervolles Leben sein!«

«Und alles hier, in diesem Park, hinter den hohen Mauern?«

«Ein Paradies!«

«Eine blühende, duftende, vergoldete Hölle!«Hartung schlug mit der Faust gegen die Wand.»Ich werde jede Gelegenheit zum Aus-bruch wahrnehmen.«

«Es wird keine Gelegenheit geben«, sagte Elise de Bericourt mit einer erschreckend nüchternen Stimme. Sie bückte sich, raffte ihre Kleider zusammen, klemmte das Schwert unter die Achsel — es sah unbeschreiblich komisch aus —, schloß die Tür auf und verließ den Raum. Deutlich hörte Hartung, wie sie von draußen wieder abschloß.

Er wartete ein paar Minuten, rannte dann zur Tür, rüttelte daran, untersuchte das Schloß, klopfte das Holz ab und strich sich resignierend über die Stirn. Vor ein paar Jahrhunderten baute man massiver als heute. Das Schloß war handgeschmiedet, die Tür aus massiven Eichenbrettern mit geschnitzten Ranken.

Versuchen wir es trotzdem, dachte er. Nach einem langen Anlauf ließ er sich gegen die Tür fallen, das einzige, was er damit erreichte, war ein heftiger Schmerz in der Schulter. Sie schwoll an, wurde dunkelrot, er konnte den Arm schon nach einer Minute kaum noch heben.

Irgend jemand muß mich doch hören, überlegte er weiter. Sie lebt doch nicht allein auf diesem riesigen Schloß. Es gibt Angestellte. Mädchen, einen Gärtner, vielleicht sogar mehrere. Einer allein kann diesen Prunk gar nicht pflegen, er müßte schon Tag und Nacht arbeiten. Wenn ich schreie, gibt es hier auch Ohren.

Er rannte zum Fenster, riß es auf und brüllte hinaus in den Park. Niemand antwortete, niemand erschien. Nur der Schwan auf dem Teich schlug mit den Flügeln, reckte den Hals und glitt majestätisch weiter. Ein leichter Wind rauschte in den Bäumen, wiegte die Blütenbüsche.

Sonst Stille.

Ein Paradies.

Für Inspektor Labois kam die Stunde des Einsatzes. Vierundzwanzig Stunden waren verstrichen — von Horst Hartung noch keine Nachricht, aber auch keine Spur. Labois hatte im stillen weiter ermittelt. Wettgangster schieden völlig aus — der >Prix Rothschild< war kein

Nationalpreis, außerdem wettete man in Frankreich nur Galopp- oder Trabrennen, Drohungen oder Erpressungen lagen nicht vor, keine Lösegeldforderungen, nicht das leiseste Tatmotiv. Es war der rätselhafteste Fall, den die Pariser Polizei je untersucht hatte. Ein Mann, ein berühmter Springreiter, verschwindet spurlos aus einem Hotel, nachdem er noch detailliert sein Frühstück für den nächsten Morgen bestellt hat. Er gibt der Gräfin de Bericourt ein Autogramm, und von da ab ist er nicht mehr vorhanden.

Labois zögerte. In der Routinearbeit der Polizei ist die letzte Kontaktperson immer die wichtigste. Der letzte, der mit einem Vermißten gesprochen hat, kann — ohne es zu wissen — die Lösung in der Hand halten. Hier war es eine Bericourt, und Labois kam sich selbst lächerlich vor, die Gräfin noch einmal zu verhören. Er hatte vorsichtig Erkundigungen eingezogen — die Jungfrau von Orleans war verdächtiger als Elise.

Fallersfeld blieb bis zuletzt im Hotel, immer noch in der Hoffnung, einen Hinweis über Hartung zu erhalten. Dann fuhr er hinaus nach Saint-Cloud, bleich, übernächtigt, mit müden Augen.

Zehn Uhr früh.

Um vierzehn Uhr begann der erste Umlauf zum Goldenen Pokal.

Noch vier Stunden.

Die deutsche Equipe saß bedrückt auf dem Abreiteplatz. Noch war offiziell nichts bekannt, Laska mit Hartung stand noch auf der Startliste. Mit dem Nachtflugzeug war Jarasinski nach Paris geflogen, um für Hartung einzuspringen. Aber er weigerte sich, Laska zu reiten. Es nützte nichts, daß Fallersfeld brüllte und tobte, ihm den Befehl gab und Konsequenzen androhte.

«Ich mache mich lächerlich auf diesem Biest«, sagte Jarasinski. Es gab keinen deutschen Reiter, der ihm nicht beipflichtete.»Erinnern Sie sich an Hamburg beim M-Springen? Birkel saß auf Laska, weil Hartung eine Gastritis bekam. Vier Hindernisse nahm sie mit Bravour. dann buckelte sie mitten beim Anreiten, warf Birkel ab und machte den Parcours allein und ohne Reiter zu Ende. Null Fehler.

Über Birkel hat alles wochenlang gelacht. Wir haben >Odysseus< bei uns — den reite ich!«

«Odysseus ist in einer Form, daß er sich selbst in den Hintern tritt!«schrie Fallersfeld.»Ich brauche Laska!«

«Ohne mich.«

Was nun werden sollte, war noch nicht geklärt, als Fallersfeld endlich auf dem Platz erschien. Romanowski ritt Laska um das Viereck, sie wirkte ungemein locker, tänzelte, liefdie saubersten Schritte seit Wochen, setzte über die Übungshindernisse, als springe sie über einen Ast. Fallersfeld stützte sich auf den Zaun und starrte Laska an.

«Das Aas ist in Superform«, sagte er, als Winkler sich neben ihn stellte.»Es ist, als wüßte sie, daß sie heute nicht geritten wird, und zeigt uns jetzt alles, was in ihr steckt. Ein perfides Stück! In dieser Form mit Hartung, der Pokal wäre schon im Schrank, bevor das Turnier beginnt! Mein Gott, womit habe ich das verdient?«

«Von Hartung nichts?«fragte Winkler leise.

«Keine Spur.«

«Was macht die Polizei?«

«Labois versucht, mich mit philosophischen Reden aufzuheitern. Ich könnte ihn erwüreen.«

«Wenn man ein Motiv wüßte!«

«Labois' Rede. Selbst Raubmord schaltet aus. Hartungs Brieftasche mit allem Geld und allen Papieren liegt in seinem Zimmer. Er kann nur ein paar Francs in der Tasche gehabt haben.«