«Wie gefällt er Ihnen, Horst?«Luisa Gironi legte den Arm um seine Schulter.
«Vorzüglich. «Er log, um Luisa nicht weh zu tun.
«Wir wollen heiraten.«
«Wann?«
«In ein paar Wochen. In Rom. Ich habe dort ein wundervolles Penthouse eingerichtet. Von der Terrasse kann man dem Papst ins Zimmer sehen.«
«Ob das für Piero Camerino der richtige Ausblick ist?«
«Jetzt werden Sie wieder giftig, Horst. Ich hätte Sie genauso geliebt.«
«Luisa!«sagte Hartung warnend.
«Ich weiß. Vorbei, vorbei. Sie springen morgen mit Laska?«
«Ja. Der große Preis von Baden-Baden.«
«Natürlich gewinnen Sie?«
«Das weiß man nie. Die besten Reiter sind hier — d'Oriola, Pes-soa, d'Inzeo, Leßvre, Smith, Schockemöhle, Winkler, Steenken, Kol-lovoi, ein Russe, den keiner kennt, der aber ein Wunderpferd haben soll.«»Sie haben Laska.«
Vom Schwimmbecken winkte Piero herüber. Luisa winkte zurück. Sie strahlte vor Glück.
«Jetzt wird er eifersüchtig sein«, sagte Hartung.
«Nein. Er weiß, daß wir uns hier sehen werden, ich hätte es irgendwie arrangiert. Und ich habe ihm alles über Sie erzählt, Horst. Er kennt Sie von Fotos, die ich immer noch mit mir herumtrage.«
Fast eine Stunde lang saßen sie draußen auf der Terrasse, dann verabschiedete sich Hartung von Luisa Gironi mit einem Handkuß. Vom Schwimmbecken kam Piero Camerino herüber; Hartung wollte jetzt nicht stören.
Zu seiner Verwunderung hockte Fallersfeld noch immer in der Halle. Neben ihm saß Angela. Sie hatte sich umgezogen und trug ebenfalls ein leichtes, buntes Hosenkleid. Zwei Welten, dachte Hartung. Luisa und Angela. Himmel und Erde. Der Mensch soll aber auf der Erde bleiben.
«Ausgeflirtet?«fragte Angela. Es klang nicht böse.»Ich erkenne sie wieder. Die arme Frau mit dem verbrannten Gesicht.«
«Luisa Gironi, ja. Sie wird in ein paar Wochen heiraten. Aber der Knabe gefällt mir nicht. Er ist zu hübsch, zu glatt, durch und durch Süßholz.«
«Hartung, unser unterschwellig eifersüchtiger Hahn!«Fallersfeld lachte.»Wir haben Angelas Anstellung durchgesprochen, Horst. Sie tritt in die deutsche Equipe als Assistentin von Dr. Rölle ein. Wie ich eben hörte, hat sie nebenbei einige Semester Tiermedizin studiert. Sie ist genau das, was wir suchten und brauchten.«
«Wie schön. Wie mich das freut. «Hartung lächelte Fallersfeld maliziös an. Du alter Gauner! Du edler Ritter! Du hättest sonst was erfunden, um Angela zu engagieren. Aber balze nicht herum wie ein Auerhahn — ich heirate sie gewiß!
Durch die Halle kamen Luisa Gironi und Piero Camerino. Ein Paar wie aus einem Bilderbuch. Luisa lächelte Hartung zu, Piero hob leicht lässig, ganz der Überlegene, die Hand.
Hallo — zwischen uns liegen Welten.
Hartung griff nach Fallersfelds Kognak und trank ihn aus.
«Verzeihung«, sagte er hinterher.»Ich hatte ihn plötzlich nötig.«
Am Nachmittag begannen die großen Galopprennen, die Rennen mit den mehrstelligen Preisen. Der Aufmarsch der Jockeys und berühmten Pferde war ein Augenschmaus, die Besitzer der Gestüte — die Damen in großen Hüten, die Herren im grauen Zylinder — gingen neben ihren Favoriten her, als präsentierten sie ihre Geliebte. An den Wettschaltern stauten sich die Menschen. AufLeuchttafeln flimmerten die Kurse.
Erstes Rennen. Zweites Rennen. Drittes Rennen.
Auch Hartung, Fallersfeld und Angela besuchten an diesem Nachmittag die berühmte Galopprennbahn von Baden-Baden. Es war eine Erholung für sie. Morgen kam ihre Stunde. Fallersfeld hatte den fertig aufgebauten Parcours abgeschritten und die Hindernisse genau betrachtet. Ein schwerer Parcours, aufgebaut von Graf Hellwitz, der für seine Zusammenstellung der Hindernisse berüchtigt war. Hier gab es keine Ruhepause für die Pferde sie mußten bis an den Rand ihrer Kräfte springen.
Hartung hatte Laska am Vormittag geritten. Jetzt war Romanowski mit ihr aufdem Abreiteplatz, longierte sie und übte immer und immer wieder mit ihr die Cavaletti-Arbeit, das Gefühl für Schrittentfernungen, so wie ein Pianist jeden Tag stundenlang Fingerübungen macht oder ein Geiger über die Saiten streicht.
Das heißt, Romanowski sollte mit Laska diese Übungen machen. In Wirklichkeit ließ er sie ein paarmal über die Cavalettis gehen, sprang vier Probehindernisse, klopfte Laska auf den Hals und sagte:»Det kannste doch alles, Olle, wa? Imma det sture Herumhüpfen. Ick weeß was anderes für uns. Wir bekieken uns det Galopprennen. Herrgottchen, wann hab ick det letzte Flachrennen jesehen? Vorm Krieg. Kannste dich det vorstellen, Laska? Und hier sind wir dichte bei. Komm, braucht keener zu wissen, wir vastecken uns hinterm Busch und gucken den Kameraden zu. Nur stille mußte sein,
Olle. Keen Laut! Herrchen is ooch da. Na, komm!«
Wie gesagt, irgendwie steckte der Teufel drin in diesen Tagen. Romanowski vollführte einen Rundritt um den Abreiteplatz, verließ ihn dann und bummelte auf Laska durch parkähnliche Anlagen hinüber zur Galopprennbahn. Hier fiel er überhaupt nicht auf. In dem Gewimmel von Pferden, die herumgeführt wurden, auf denen Bereiter saßen oder Jockeys, beachtete keiner Laska und Romanowski, nur ein Mann, mit einer großen Liste in der Hand, rannte auf sie zu und rief:
«Welches Rennen? Wie heißt das Pferd?«
«Reserve!«brüllte Romanowski zurück.
«Danke. Rennen drei.«
Romanowski wunderte sich. Ein Verrückter, dachte er. Die gibt es auch auf Rennplätzen, warum nicht? Daß es ein Pferd >Reserve< gab, das im dritten Rennen mitlief — wie konnte Romanowski das wissen? Er kannte keine einzige Starterliste, er gehörte zu den Springreitern, die eine Welt für sich bildeten.
Romanowski ritt ein paarmal hin und her, immer schön in Dek-kung, bis er einen guten Platz fand. Etwa dreißig Meter vor der Startmaschine, an einer weißlackierten Barriere, unter einem Baum mit überhängenden Zweigen. Ein vorzüglicher Platz, der für Zuschauer gesperrt war, weil hier eine provisorische Wasserleitung gelegt war. Laska stellte sich neben das Kunststoffrohr, spitzte die Ohren und wartete ab. Ihre klugen Augen musterten die edlen Rennpferde, die jetzt im Kreise herumgeführt wurden, um den Wettern die letzte Gelegenheit zur Begutachtung der Kondition und zur Erhöhung der Totoeinsätze zu geben. Auf der Tribüne saß, freudig erregt, die Prominenz Europas. Kleider, die Jahresgehälter kosteten. Brillanten von Tiffany und Van Clerf. Anzüge bester englischer Schneider.
Laska senkte den Kopf und knabberte an den harten Grashalmen. Romanowski auf ihrem Rücken erklärte ihr, was er sah.
«Jleich stupsen se de Jäule in die Startboxen, dann klingelt's, die Türen knallen, und ab jeht die Post. Die können jaloppieren, Olle. Da biste ne Schnecke jejen!«
Laska hob den Kopf, drehte ihn, sah Romanowski aus ihren großen Augen strafend an und knabberte dann weiter am Gras. Es war, als habe sie überhaupt kein Interesse an der Leistung ihrer edlen Artgenossen, den Abkömmlingen berühmter Araber und englischer Vollblüter.
Hartung hatte die Tribüne verlassen, um für Angela eine Erfrischung zu holen. Er hatte Luisa Gironi gesehen, sie saß ganz vorn auf den teuersten Plätzen, die Männer beachteten sie mehr als die Pferde. Ihr rotes Haar leuchtete herausfordernd. Ein riesiger Hut aus weißem Tüll lag auf der Brüstung ihrer Loge.
Hartung suchte den Verkaufsstand und kam dabei an den Wettschaltern vorbei. Er blieb plötzlich stehen, ging zur Seite und stellte sich hinter einen hölzernen Sichtschutz, der den Schalter — er war der letzte in der Reihe — gegen das freie Gelände abschirmte.
Piero Camerino war an den Schalter getreten und beugte sich jetzt vor. Seine Worte verstand Hartung ganz klar, und Piero sprach sogar deutsch.
«Guten Tag, Barthke«, sagte er.»Tausend Mark auf >Silberpfeil<, erstes Rennen. Und dann das übliche. Zehntausend.«
«Aber >Silberpfeil< hat doch gar keine Chancen, Herr Camerino.«