«Ich weiß. Ich will verlieren. Sie nehmen tausend an, dann zwei Quittungen. Eine über tausend, die andere über zehntausend. Zehntausend unter uns. Ich muß nur etwas Schriftliches haben. Fünfhundert für Sie, Barthke.«
«Wenn das Ihre Braut erfährt!«
«Wie soll sie?«Piero lachte.»Sie wird sagen: >Armer Liebling, hast du wieder verloren? Zehntausend Mark? Komm, trink einen Camparin Was sind zehntausend für sie?«
Der Totoeinnehmer Rudolf Barthke nahm die Zahlung von tausend Mark an. Dann schob er Piero den Wettschein zu und eine zweite, nicht registrierte Quittung über zehntausend. Er schien das nicht zum erstenmal zu machen — dazu geschah alles zu schnell, zu routiniert.
Hartung wartete, bis Camerino die beiden Scheine eingesteckt hat-
te, dann kam er plötzlich um die Holzwand herum wie jemand, der den Totalisator überfallen will. Camerino erschrak, Barthke schloß das Holzfenster, Hartung lächelte böse.
«Zehntausend Mark sind für Luisa kein Problem, ein Problem aber wird es sein, sie zu überzeugen, daß sie einen Betrüger liebt.«
Piero sah sich um. Sie waren allein. Die Pferde des ersten Rennens wurden zur Startmaschine geführt, alle Augen starrten nur auf die Bahn.
Camerino griff schnell in die Rocktasche, aber Hartung war schneller. Ein Reiter muß gut reagieren können. Mit einem Handkantenschlag auf den Unterarm verhinderte er, daß Piero seine Pistole herausriß. Camerino verzog das Gesicht, taumelte gegen die hölzerne Wand und hielt sich den Arm fest. Plötzlich stand dicker, perlender Schweiß auf seiner Stirn.
«Sie — Sie haben mir den Arm gebrochen«, stammelte er.
«Ich möchte Ihnen sämtliche Knochen brechen, Sie Schuft!«Hartung klopfte an das Fensterchen.»Hören Sie nur zu, mein Lieber. Sie können auch weglaufen, es nutzt Ihnen nichts mehr. Ihre Konzession sind Sie los, und einen Prozeß wird es auch geben.«
«Er hat mich erpreßt!«stammelte Barthke.»Er — er weiß, daß ich anders bin. homosexuell. Er hat mich mal beobachtet.«
«Das waren jetzt zehntausend«, sagte Hartung kalt zu Camerino.»Ein guter Tageslohn für Liebesgeflüster. Wieviel hat Luisa Ihnen auf diese Art schon gegeben, ohne es zu wissen?«
«Es ist der erste Versuch«, knirschte Piero.
Hartung atmete tief ein. Ich bin es Luisa schuldig, dachte er, auch wenn es ungesetzlich und brutal ist. Aber dieses Schwein da hat nichts anderes verdient, heuchelt Liebe bei der schönsten Frau dieser Welt, die daran zerbricht, eine verbrannte Augenpartie zu haben. Eine Frau, die so unendlich glücklich ist, wenn man ihr trotzdem sagt» Ich liebe dich«, und die es auch glaubt. Und hier ist ein Kerl, der daraus Kapital schlägt, der liebt und stiehlt in einem, der lügt, um sich die Taschen zu füllen, und sich hinterher lustig über die Tragik dieser Frau macht.
Hartung schlug ein paarmal zu, rechts und links, daß der Kopf Pieros herumflog wie ein Gummiball.
«Wieviel?«fragte er eisig.
«Ich schwöre.«
Wieder Schläge. Mitten hinein in das hübsche Playboygesicht, genau aufdie edle römische Nase und aufdie dunklen Liebhaberaugen.
Die Nase begann zu bluten, ein rotes Rinnsal liefüber das Kinn und die Brust mit dem Goldkettchen. Die Augen schwollen zu.
«Wieviel?«
«Bis heute vierundfünfzig«, stöhnte Camerino.»Aber ich bringe Sie um. Ich schwöre es — bei der Madonna!«
«Auch noch die Madonna beleidigen!«Noch ein Schlag gegen das rechte Ohr. Piero schwankte. Er hielt sich an der Holzwand fest und preßte den linken Arm gegen sein Gesicht.»Hör mal zu, du Saukerl!«sagte Hartung.»Mit einem Skandal ist Luisa nicht gedient. Deshalb lauf weg, verschwinde spurlos! Wenn ich dich irgendwo wiedersehe, liefere ich dich bei der Polizei ab. Los! Ab mit dir!«
Er riß Camerino von der Wand, stieß ihn auf den Weg und hielt ihn fest. Aus seiner Rocktasche holte er eine kleine Pistole und ein Klappmesser.
Er steckte die Waffen ein und drehte Piero herum. Das hübsche Gesicht war zugeschwollen. In diesem Zustand würde sich keine Frau mehr nach ihm umdrehen.»Wir verstehen uns — noch eine Begegnung zwischen uns, und du bist aus dem Verkehr gezogen. Für Jahre!«
Camerino nickte. Er schwankte etwas, als er davonging.»Komm ja nie nach Italien«, sagte er aus sicherer Entfernung und ballte die Fäuste.»Ich zerstückele dich.«
Hartung wandte sich ab. Rudolf Barthke streckte den runden Kopf durch den Schalter.»Und ich?«fragte er weinerlich.
«Sie vergesse ich.«
Mit schnellen Schritten ging Hartung zurück zur Tribüne. An Angelas Erfrischung dachte er nicht mehr. Er schleppte ein fast unlösbares Problem mit sich: Wie sagt man einer Frau, daß sie betrogen wurde? Wie sagt man es vor allem einer Luisa Gironi? Man könnte ebensogut einen Vulkan anstechen.
Er machte vor den Logen kehrt und ging zu Angela und Fallersfeld zurück. Erst mit ihnen den Fall besprechen, sagte er sich. Verdammt, ich habe tatsächlich Angst, Luisa die grausame Wahrheit zu sagen. Sie war so glücklich!
Das erste Rennen begann. Die Pferde standen schon in der Startmaschine. Nervös, gegen die Bretter schlagend, wiehernd, voll Temperament. Die Rennleitung schaute auf die Präzisionsuhren, auf die vorrückenden Sekundenzeiger.
«Noch zwanzig Sekunden«, sagte jemand.
Der Himmel über Baden-Baden war wie Samt.
Hinter der weißen, hölzernen Barriere stand Laska und schaute kauend auf die Startmaschine. Romanowski über ihr im Sattel fieberte.
«Jleich jeht det Ding los«, sagte er und tätschelte Laska den Hals.»Dann schießen die raus, als wenn eener ihnen Pfeffer untern Schwanz bläst. Det sind Renner! Alles jroße Namen. Wenn det — zum Verj-leich — Prinzen und Prinzessinnen sind, dann biste dajejen 'ne Küchenmamsell.«
Laska legte die Ohren an. Das hätte Romanowski warnen müssen. Aber er starrte mit offenem Mund auf die Startmaschine und wartete auf den Pfiff, wenn die Türen aufklappten. Er achtete so gar nicht darauf, daß Laska einige Schritte zurücktänzelte und zwischen sich und die Barriere ein paar Meter Distanz legte.
«Paß uff. «sagte Romanowski, so gespannt wie die Tausende rund um den Rennplatz. Die Ferngläser wurden bereits gezückt.»Jetzt! Is det ne Wucht!«
Die Sperre schnellte weg, wie von einem Bogen abgeschossen schnellten die Pferde heraus. Ein gelungener Start. Die Tierleiber streckten sich, sie liefen jetzt um ein Vermögen.
In diesem Augenblick setzte Laska zum Sprung an. Romanowskis
Schrei blieb ihm in der Kehle stecken, er hatte Mühe, sich im Sattel zu halten, zog die Zügel an, aber Laska war stärker, ihr Kopf schnellte vor, mühelos übersprang sie die Barriere und galoppierte quer über den Rasen auf die Bahn. Von den Tribünen erscholl ein einziger, tausendfacher Schrei. Die Glocke bimmelte vom Startturm, aber es nutzte nichts mehr — das Rennen war nicht aufzuhalten, die Pferde rasten bereits in die erste Kurve.
Laska setzte sich an das Ende des noch geschlossenen Feldes. Sie hob den Kopf, wieherte triumphierend und lief auf der Außenbahn im Schatten von >Silberpfeil<. Romanowski riß an den Zügeln, hieb die Absätze seiner Stiefel in Laskas Weichen, tobte und brüllte, und als sie nicht gehorchte, schlug er ihr mit der Faust auf den Kopf.
Das hätte er nicht tun sollen, anstatt scheu zu werden und auszubrechen, streckte sich Laska und ging mühelos an >Silberpfeil< vorbei. Auf den Tribünen tobten die Menschen. Fallersfeld hatte sich umgedreht und sah nicht mehr hin. Angela lachte Tränen, Hartung ballte die Fäuste.
«Ich drehe Pedro das Gesicht auf den Rücken!«schrie er.»Warum ist er nicht auf dem Abreiteplatz?«
«Das fragen Sie noch?«brüllte Fallersfeld.»Ihr Pedro und Ihre Las-ka sind meine Sargnägel! Diese Blamage! Was glauben Sie, was morgen in den Zeitungen steht? Ich werde mich verkriechen müssen, und Sie auch, Hartung! So ein Mistvieh von Pferd!«