Argwohn ein potenzielles Geschäft sausen ließ!
»Lieber Freund«, flötete er ins Telefon, »ich habe doch gleich einen leichten Zungenschlag von Burgos bei Ihnen herausgehört! Ich
komme nämlich aus Valencia. Was führt Sie nach Sevilla?«
»Ich handele mit Tonwaren. Majolika.«
»Majolika? Ach, wie interessant. Da kommt man bestimmt viel herum.«
Am anderen Ende der Leitung wurde krächzend gehustet. »Ja, ich bin leider sehr viel auf Achse.«
»Und nun haben Ihre Geschäfte Sie nach Sevilla geführt?«, hakte Roldán nach. Dieser Mann war nie im Leben ein Lockvogel der Bullen, das war ein Kunde, wie er im Buche steht! »Lassen Sie mich raten – ein Bekannter hat Ihnen unsere Nummer gegeben und gesagt,
Sie sollten doch einfach einmal bei uns anrufen, stimmt's?«
Der Anrufer schien verunsichert. »Aber nicht doch, Sie verstehen mich falsch.«
»Sie brauchen sich nicht zu genieren, Señor! Wir sind eine Begleitagentur, nichts, wofür man sich zu schämen braucht! Bei uns können Sie ein hübsches Mädchen buchen, das sie zum Dinner begleitet – das ist alles. Wer hat Ihnen denn unsere Nummer gegeben? Vielleicht ist es jemand, der regelmäßig bei uns bucht? Ich könnte
Ihnen einen Sonderrabatt einräumen.«
»Nein, nein«, antwortete die Stimme nun schon etwas gereizt.
»Ihre Nummer wurde mir keineswegs von jemand zugesteckt! Ich habe sie in einem Pass gefunden und versuche lediglich, den Verlierer
ausfindig zu machen.«
Roldán schluckte. Das war mitnichten ein Kunde. »Sie haben unsere Nummer gefunden, sagen Sie?«
»Ja, in einem Pass, heute im Park. Im Pass lag ein Zettelchen, auf dem Ihre Nummer stand. Ich dachte, es könnte die Nummer des Hotels sein, wo derjenige, der den Pass verloren hat, abgestiegen ist. Dann hätte ich ihm nämlich den Pass vorbeibringen können. Leider
ein Irrtum. Ich werde den Pass bei meiner Abreise bei der Polizei ...«
»Perdón«, fiel Rodán dem Anrufer nervös ins Wort. »Darf ich Ihnen einen besseren Vorschlag machen?« Roldán hielt sich etwas auf seine Diskretion zugute, und die Einschaltung der Polizei konnte aus einem Kunden im Handumdrehen einen ehemaligen Kunden machen. »Da der Verlierer des Passes unsere Telefonnummer bei sich hatte, dürfte er einer unserer Kunden sein. Ich würde Ihnen gern die Mühe
ersparen, extra zur Polizei gehen zu müssen.«
Der Anrufer zögerte. »Ich weiß nicht. Vielleicht sollte ich einfach...«
»Lieber Freund, ich möchte Sie nur vor einer möglicherweise übereilten Entscheidung bewahren. Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber die Polizei von Sevilla ist nicht immer so tüchtig wie die Polizei bei Ihnen im Norden. Es kann Tage dauern, bis der Mann seinen Pass wiederbekommt. Wenn Sie mir den Namen des Verlierers nennen, kann ich vermutlich dafür sorgen, dass er seinen Pass sofort
zurückbekommt.«
»Nun gut, es wird wohl nichts schaden...« Roldán hörte Papier rascheln, dann war der Anrufer wieder am Apparat. »Es ist ein deutscher Name. Ich weiß nicht, wie man ihn ausspricht... Hoff...
Hoffmann.«
Der Name sagte Roldán nichts, aber er hatte Kunden aus der ganzen Welt, und kaum einer hinterließ bei ihm den richtigen Namen. »Können Sie mir vielleicht sagen, wie der Mann auf seinem Passfoto
aussieht? Das könnte mir vielleicht weiterhelfen.«
»Sein Gesicht ist... außerordentlich feist«, sagte die Stimme.
Roldán wusste sofort Bescheid. Er erinnerte sich an den Fettsack nur zu gut, den Mann, um den sich Rocío kümmern sollte. Seltsam,
dachte Roldán, zwei Anrufe hintereinander wegen dieses Deutschen.
»Der Señor heißt Hoffmann?« Roldán unterdrückte ein Kichern. »Aber natürlich. Ich kenne den Herrn sehr gut. Wenn Sie mir den Pass vorbeibringen, werde ich dafür sorgen, dass er seine Papiere
umgehend zurückbekommt.«
»Ich bin in der Innenstadt und habe kein Auto«, wehrte der Anrufer ab. »Könnten Sie nicht herkommen?«
»Leider kann ich das Telefon nicht unbeaufsichtigt lassen«, wandte Roldán ein. »Aber bis zu uns ist es wirklich nicht weit. Wenn Sie...«
»Bedauere, aber um Ihre Adresse zu suchen, fehlt mir die Zeit. Hier ist ganz in der Nähe ein Polizeirevier. Ich werde den Pass dort abgeben. Wenn Sie Señor Hoffmann sehen, können Sie ihm ja sagen,
wo er seinen Pass abholen kann.«
»Nein, warten Sie«, schrie Roldán, »wir sollten die Polizei unbedingt aus dem Spiel lassen! Sie sind in der Innenstadt, sagen Sie? Kennen Sie das Hotel Alfonso XIII? Eines der besten Häuser unserer
Stadt.«
»Ja, kenne ich. Es ist nicht weit von hier.«
»Wunderbar! Señor Hoffmann ist dort abgestiegen. Er müsste sich jetzt eigentlich im Hotel aufhalten.«
Der Anrufer zögerte. »Aha. Nun gut, dann muss ich mich wohl dort hinbemühen.«
»Ausgezeichnet! Señor Hoffmann wollte heute Abend im Hotelrestaurant mit einer unserer Gesellschafterinnen zu Abend speisen.« Vermutlich lag Hoffmann mit dem Mädchen schon im Bett, aber Roldán musste vorsichtig sein, um den spießigen Anrufer nicht zu verschrecken. »Geben sie den Pass einfach bei Manuel ab. Das ist der Portier. Sagen Sie, ich hätte Sie geschickt. Er möchte den Pass
Rocío geben. Rocío ist heute Abend Señor Hoffmanns Gesellschafterin. Sie wird dafür Sorge tragen, dass der Mann wieder in den Besitz seiner Papiere kommt. Sie können ja ein Kärtchen mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse dazulegen, dann kann Señor
Hoffmann Ihnen ein kleines Dankeschön zukommen lassen.«
»Eine gute Idee. Das Alfonso XIII also? Ich werde den Pass sogleich dort abgeben. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe!«
David Becker hängte ein. Na also, das Alfonso XIII. Er schmunzelte. Man muss nur die richtigen Fragen stellen.
Als er ein paar Augenblicke später die Calle Delicias hinunterging, folgte ihm geräuschlos eine stumme Gestalt.
KAPITEL 29
Susan schaute durch die Glaswand von Node 3 in die verlassene Crypto-Kuppel hinaus. Der Zusammenstoß mit Hale ging ihr immer noch nach. Hale war wieder in seine Arbeit vertieft und hielt dankenswerterweise die Klappe. Wenn er nur endlich verduften
würde!
Sie überlegte, ob sie Strathmore anrufen sollte. Der Commander konnte Hale problemlos vor die Tür setzen – schließlich war Samstag. Aber ein Rauswurf würde Hale erst recht argwöhnisch werden lassen. Kaum draußen, würde er bestimmt sämtliche Kollegen anrufen und sich erkundigen, was ihrer Meinung nach los sein könnte. Susan entschloss sich, Hale in Ruhe zu lassen. In absehbarer Zeit würde er
wohl von selbst wieder verschwinden.
Ein nicht dechiffrierbarer Algorithmus. Susans Gedanken waren wieder bei Diabolus. Sie seufzte. Sie wollte einfach nicht glauben, dass es möglich sein sollte, einen solchen Algorithmus zu erzeugen – aber den Beweis, dass es doch möglich war, hatte sie unmittelbar vor Augen: Der TRANSLTR biss sich an dem Algorithmus seit vielen
Stunden die Zähne aus.
Susan dachte an Strathmore, der wacker die Verantwortung trug und mit kühler Überlegung tat, was angesichts der Katastrophe getan
werden musste.
Manchmal glaubte Susan, in Strathmore David wieder zu
erkennen. Die beiden hatten eine ganze Reihe von gemeinsamen Eigenschaften: Intelligenz, Zähigkeit, Engagement. Manchmal hatte sie den Eindruck, Strathmore wäre ohne sie verloren. Ihre unverbrüchliche Liebe zur Kryptographie schien für ihn ein Quell des Lebensmuts zu sein, der ihn das ewige Einerlei des politischen Tagesgeschäfts überstehen ließ und die Erinnerung an seine Jahre als Codeknacker in ihm wach hielt.
Susan brauchte Strathmore nicht minder. In einer Welt machtgieriger Männer war er ihr Rückhalt, ihr Beschützer, der Förderer ihrer Karriere und der Erfüllungsgehilfe ihrer Träume, wie er oft scherzhaft bemerkte. Und ganz so Unrecht hat er damit ja nicht, dachte Susan. Schließlich hatte Strathmore, natürlich ganz ohne jede Absicht, den schicksalsträchtigen Anruf getätigt, durch den David an jenem Nachmittag bei der NSA aufgetaucht war. Susans Gedanken flogen zurück zu David. Ihr Blick wanderte unwillkürlich zu dem kleinen Fax, das sie mit Tesafilm in die Lade für ihr Keyboard geklebt