hatte.
Seit sieben Monaten prangte es schon da. Es war der einzige Code, den Susan Fletcher bislang noch nicht zu knacken vermocht hatte. Das
Fax war von David. Sie las es zum fünfhundertsten Maclass="underline" NIMM BITTE DIESES KLEINE FAX ICH LIEBE DICH GANZ OHNE WACHS
DAVID
Er hatte ihr das Fax nach einer kleinen Meinungsverschiedenheit geschickt. Seit Monaten schon lag sie ihm in den Ohren, er möge ihr verraten, was es bedeute, aber er hatte sich nicht erweichen lassen. Ohne Wachs. Es war Davids kleine Rache. Susan hatte ihm eine ganze Menge über die Kunst des Dechiffrierens beigebracht. Um ihn auf Trab zu halten, hatte sie angefangen, alle schriftlichen Mitteilungen mit einem leichten Code zu verschlüsseln. Ob Einkaufsliste oder
Zettelchen mit Liebesgeflüster – alles war codiert. Es war ein Spiel, das David zu einem recht guten Kryptographen gemacht hatte. Dann hatte er angefangen, sich zu revanchieren und alle seine Mitteilungen mit »Ohne Wachs, David« zu unterschreiben. Susan hatte inzwischen über zwei Dutzend Zettel von David, die alle auf diese Weise
gezeichnet waren. Ohne Wachs.
Susan hatte David angefleht, ihr den geheimen Sinn zu verraten, aber er schwieg beharrlich. Jedes mal, wenn sie davon anfing, lächelte
er nur und sagte: »Die Kryptographin bist doch du!«
Die Chefkryptographin der NSA hatte alles versucht – Substitutionschiffren, Zahlenquadrate, sogar Anagramme. Sie hatte ihrem Computer den Befehl gegeben, die Buchstaben zu neuen Wörtern anzuordnen, aber außer dem wenig aufschlussreichen »HANS WOCHE« war nichts dabei herausgekommen. Anscheinend war Ensei Tankado doch nicht der einzige Mensch auf der Welt, der
einen undechiffrierbaren Code schreiben konnte.
Das Zischen des pneumatischen Türmechanismus riss Susan aus ihren Gedanken. Commander Strathmore kam hereingeschritten.
»Gibt's schon was Neues, Susan?«, rief er.
Strathmore bemerkte Greg Hale und blieb abrupt stehen. »Einen schönen guten Abend, Mr Hale«, sagte er und legte die Stirn in Falten.
»Voller Einsatz, auch am Samstag! Was verschafft uns die Ehre?«
Hale grinste unschuldig zurück. »Wer viel verdient, muss auch viel arbeiten.«
»Verstehe«, grunzte Strathmore, der offenbar nicht wusste, wie er reagieren sollte – doch auch er schien Hale in Ruhe lassen zu wollen. Er wandte sich an Susan. »Miss Fletcher«, sagte er eher beiläufig,
»ich möchte Sie einen Augenblick sprechen. Aber draußen.«
Susan zögerte. »Äh, jawohl, Sir.« Sie schaute beklommen auf ihren Monitor und dann hinüber zu Greg Hale. »Einen Moment noch,
bitte.«
Sie tippte auf ein paar Tasten und lud das ScreenLock-Programm, das ihre Dateien vor fremdem Zugriff schützte. Sämtliche Terminals
in Node 3 waren damit ausgerüstet. Da die Terminals rund um die Uhr liefen, konnten die Kryptographen mit ScreenLock dafür sorgen, dass sich niemand während ihrer Abwesenheit an ihren Dateien zu schaffen machte. Susan gab ihren Zugriffscode ein. Der Bildschirm wurde schwarz. Er würde dunkel bleiben, bis sie wieder zurückkam
und erneut die richtige Zahlenfolge eintippte.
Sie schlüpfte in die Schuhe und folgte dem Commander nach draußen.
»Was zum Teufel macht Hale denn hier?«, schnaubte Strathmore, kaum, dass er mit Susan vor der Tür angekommen war.
»Was er immer macht«, gab Susan zurück. »Gar nichts.«
Strathmore wirkte besorgt. »Hat er etwas vom TRANSLTR gesagt?«
»Nein, aber wenn er auf den Kontrollmonitor zugreift und die sechzehn Stunden Laufzeit sieht, wird er zweifellos Krawall
schlagen.«
»Einen Grund zum Zugreifen hat er eigentlich nicht«, meinte Strathmore.
Susan blickte den Commander an. »Wollen Sie ihn nicht lieber nach Hause schicken?«
»Nein. Wir werden ihn in Ruhe lassen.« Strathmore schaute hinüber zum Sys-Sec-Büro. »Ist Charturkian schon gegangen?«
»Ich weiß nicht. Gesehen habe ich ihn nicht.«
»Mein Gott!«, stöhnte Strathmore, »was für ein Affentheater!« Er fuhr sich mit der Hand über die dunklen Bartstoppeln, die in den letzten sechsunddreißig Stunden an seinem Kinn gesprossen waren. »Hat sich mit dem Tracer schon etwas getan? Es fällt mir schwer,
tatenlos da oben in meinem Büro herumzusitzen.«
»Noch nicht. Gibt es etwas Neues von David?«
Strathmore schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe ihm gesagt, er soll sich erst wieder melden, wenn er den Ring an sich gebracht hat.«
Susan sah ihn überrascht an. »Warum das? Was ist, wenn er Hilfe braucht?«
»Von hier aus kann ich ihm nicht helfen«, sagte Strathmore achselzuckend. »Er ist auf sich selbst gestellt. Außerdem möchte ich keine ungesicherte Telefonverbindung riskieren. Es könnte jemand
lauschen.«
Susans Augen weiteten sich besorgt. »Wie soll ich das verstehen?«
»David hat nichts zu befürchten«, sagte Strathmore mit beschwichtigender Miene und lächelte Susan aufmunternd zu. »Reine
Vorsichtsmaßnahme.«
Durch die reflektierende Glaswand Susans und Strathmores Blicken entzogen, trat Greg Hale nur zehn Meter von ihnen entfernt an Susans Terminal. Der Bildschirm war schwarz. Mit einem sichernden Blick hinaus zu Strathmore und Susan griff Hale in die Brieftasche und holte ein kleines Karteikärtchen heraus, um eine
Zahlenfolge abzulesen.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die beiden immer noch miteinander redeten, drückte er behutsam fünf Tasten von Susans
Keyboard. Der Monitor wurde hell.
»Bingo!«, sagte Hale grinsend.
Für Hale war es eine leichte Übung gewesen, sich die
Zugriffscodes der Terminals von Node 3 zu beschaffen. Die Arbeitsplätze hatten identische Keyboards. Hale hatte einfach eines Abends sein Keyboard abgesteckt, mit nach Hause genommen und einen Chip installiert, der die gedrückten Tasten nacheinander speicherte. Am nächsten Tag war er ein bisschen früher zur Arbeit gekommen, um das präparierte Keyboard gegen das eines Kollegen auszutauschen. Am Ende des Tages hatte er den Tausch rückgängig
gemacht und die auf dem Chip gespeicherten Daten heruntergelesen. Den Zugriffscode aufzuspüren war trotz der Millionen betätigter Tasten einfach, denn jeder Kryptograph gab morgens als Erstes seinen Code ein. Es war ein Kinderspieclass="underline" Hale brauchte sich nur die ersten fünf Zeichen auf der Liste zu notieren.
Welche Ironie, dachte Hale, während er auf Susans Monitor schaute. Er hatte sich den Zugriffscode eigentlich nur zum Spaß beschafft, aber jetzt war er froh, dass er ihn hatte. Das Programm auf
Susans Bildschirm sah nach etwas Wichtigem aus.
Hale brauchte einen Moment, um durchzusteigen. Das Programm war in LIMBO geschrieben – nicht unbedingt seine Stärke -, aber ein Diagnoseprogramm war es nicht. Nur drei der auf dem Monitor
angezeigten Wörter sagten ihm etwas, aber das genügte schon:
TRACER: SUCHE LÄUFT ...
»Tracer?«, murmelte er. »Suche läuft... aber wonach?« Nachdem er sich hingesetzt und Susans Bildschirm studiert hatte, wusste er, was
zu tun war.
Hale verstand von LIMBO immerhin genug, um zu wissen, dass es sich stark an zwei andere Programmiersprachen anlehnte, an C und Pascal, und die kannte er aus dem Effeff. Er hob kurz den Blick. Strathmore und Susan waren immer noch ins Gespräch vertieft. Hale begann zu improvisieren. Er gab ein paar leicht modifizierte PascalBefehle ein und drückte auf ENTER. Im Statusfenster des Tracers
zeigte sich die erhoffte Reaktion:
SUCHE ABBRECHEN? Schnell tippte er: JA
SIND SIE SICHER? Wieder tippte er: JA Gleich darauf piepste der Computer:
SUCHE ABGEBROCHEN
Hale grinste. Von Susans Terminal aus hatte er den Tracer vorzeitig zur Selbstzerstörung veranlasst. Was auch immer Susan