Schulweisheit sich träumt. ‹ « »Wie bitte?« »Shakespeare«, erläuterte Hale. »Hamlet.«
»Du hast im Knast wohl viel Zeit gehabt zum Lesen.«
Hale grinste unbeeindruckt. »Im Ernst, Susan, könntest du dir vorstellen, dass Tankado vielleicht wirklich einen unentschlüsselbaren
Algorithmus geschrieben hat?«
Die Unterhaltung lief in eine ungute Richtung. »Also, wenn wir es nicht geschafft haben . ..«
»Vielleicht ist Tankado besser als wir.«
»Vielleicht«, sagte Susan achselzuckend und tat desinteressiert.
»Wir haben eine Zeit lang korrespondiert«, sagte Hale. »Hast du das gewusst?«
Susan fuhr hoch. Sie versuchte ihren Schreck zu verbergen. »Ach ja?«
»Ja. Nachdem ich damals das Hintertürchen im Skipjack-Algorithmus entdeckt hatte, hat er mir geschrieben – wir seien Brüder
im globalen Kampf um die digitale Vertraulichkeit, hat er gesagt.«
Susan bemühte sich, ihr ungläubiges Erstaunen zu kaschieren. Hale und Tankado kennen einander persönlich! Sie versuchte,
Gleichgültigkeit zu heucheln.
»Er hat mich beglückwünscht, weil ich das Hintertürchen in Skipjack gefunden hatte«, fuhr Hale fort. »Er nannte den Vorgang einen Anschlag gegen die Persönlichkeitsrechte aller freien Bürger dieser Welt. Susan, du musst doch zugeben, dieses Hintertürchen war eine ausgemachte Schweinerei. Sich den Weltweiten Zugriff auf EMails zu sichern! Strathmore hatte nichts anderes verdient, als damit
auf die Schnauze zu fallen, wenn du mich fragst!«
»Also Greg!«, empörte sich Susan. Sie versuchte, ihren Ärger herunterzuschlucken. »Dieses Hintertürchen sollte der NSA die Möglichkeit geben, E-Mails aufzuspüren, die unsere nationale
Sicherheit bedrohen!«
»Ach ja?« Hale seufzte in gespielter Verzweiflung. »Und da muss man eben das Herumschnüffeln in den E-Mails rechtschaffener
Bürger in Kauf nehmen, oder?«
»Wir schnüffeln nicht in den E-Mails rechtschaffener Bürger, und das weißt du genau! Auch das FBI darf Telefone abhören, aber das heißt noch lange nicht, dass es jedes Telefonat abhört, das getätigt
wird.«
»Wenn sie genügend Leute dafür hätten, würden sie es aber tun!«
Susan überging die Bemerkung. »Der Staat muss das Recht haben, zum Schutz des Gemeinwohls Informationen zu sammeln.«
»Ach du lieber Gott«, stöhnte Hale. »Man könnte meinen, Strathmore hätte dir eine Gehirnwäsche verpasst. Du weißt verdammt genau, dass das FBI nicht nach Lust und Laune abhören darf. Es braucht dazu einen Gerichtsbeschluss. Ein manipulierter Verschlüsselungsstandard hätte dagegen zur Folge, dass die NSA
jeden jederzeit und überall ausspähen kann.«
»Das stimmt – und so sollte es auch sein!« Susans Stimme hatte einen harten Klang bekommen. »Und wenn du mit deiner Entdeckung dieses Hintertürchens nicht dazwischengepfuscht hättest, könnten wir jeden Code knacken, und nicht nur das bisschen, was der TRANSLTR
schafft.«
»Wenn ich das Hintertürchen nicht gefunden hätte«, wandte Hale ein, »dann wäre es eben ein anderer gewesen. Ihr solltet euch bei mir bedanken, dass ich es so früh schon entdeckt habe. Kannst du dir den Aufstand vorstellen, wenn es erst nach der Einführung von Skipjack
bekannt geworden wäre?«
»Das mag sein wie es will«, schoss Susan zurück, »jedenfalls hast du erreicht, dass die paranoide EFF jetzt glaubt, wir würden in jeden
unserer Algorithmen ein Hintertürchen einbauen!« »Tun wir das denn nicht?«, fragte Hale hämisch.
Susan warf ihm einen bösen Blick zu.
»Na ja, von mir aus«, lenkte Hale ein. »Jetzt ist das sowieso egal. Ihr habt den TRANSLTR gebaut. Ihr könnt lesen, was ihr wollt, wann
ihr wollt – kein Hahn kräht danach. Ihr habt gewonnen.«
»Wolltest du nicht sagen: Wir haben gewonnen? Soviel ich weiß, arbeitest du doch für die NSA.«
»Nicht mehr lange«, flötete Hale.
»Keine leeren Versprechungen!«
»Im Ernst. Eines nicht allzu fernen Tages werde ich von hier verschwinden.«
»Es wird mir das Herz brechen!« Susan merkte, dass sie wegen all der Dinge, die heute schief gelaufen waren, Hale am liebsten lauthals angeschrien hätte. Sie wollte ihn fertig machen wegen Diabolus, wegen ihrer Probleme mit David, wegen der geplatzten Fahrt in die Smoky Mountains – lauter Dinge, für die er überhaupt nicht verantwortlich war. Das Einzige, was man ihm vorwerfen konnte, war seine Aufdringlichkeit, und darüber hätte sie eigentlich erhaben sein müssen. Als Abteilungsleiterin hatte sie die Aufgabe, für Frieden und Ausgleich zu sorgen, pädagogisch zu wirken. Schließlich war Hale
noch jung und naiv.
Susan schaute zu ihm hinüber. Eigentlich schade, dachte sie. Hale hatte das Zeug zu einem hervorragenden Mitarbeiter der Crypto – sofern er endlich begriff, wie wichtig die Arbeit der NSA in
Wirklichkeit war.
»Greg«, sagte Susan ruhig und kontrolliert. »Ich bin heute ziemlich gestresst. Es regt mich einfach auf, wenn du über die NSA redest, als wären wir ordinäre Spanner auf High-Tech-Niveau. Diese Behörde ist nur zu einem Zweck ins Leben gerufen worden: zum Schutz der Sicherheit unseres Landes. Da müssen eben manchmal ein paar faule Äpfel aussortiert werden. Ich glaube, die meisten Bürger würden mit Freuden ein wenig von ihrer Freiheit opfern, wenn sie im Gegenzug dazu die Sicherheit hätten, dass Gesetzesbrecher nicht
schalten und walten können, wie es ihnen passt.«
Hale schwieg.
»Früher oder später«, fuhr Susan fort, »müssen sich die Bürger unseres Landes für eine Richtung entscheiden. Es gibt viel Positives, aber eben auch eine ganze Menge von krummen Dingern. Es muss jemand geben, der das alles sichten und das Gute vom Schlechten trennen kann. Und das ist unser Job. Das ist unsere Pflicht. Ob es uns passt oder nicht, zwischen Demokratie und Anarchie liegt nur ein
schmaler Grat. Und die NSA ist sein Wächter.«
Hale nickte nachdenklich. »Quis custodiet ipsos custodes?«
Susan sah ihn fragend an.
»Das ist Lateinisch, aus den Satiren des Juvenal. Es heißt: ›Wer überwacht die Wächter?‹«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Susan.
»Aber es ist doch ganz einfach! Wenn wir uns als Wächter der Gesellschaft aufspielen, wer wacht dann über uns, damit nicht wir zur
Gefahr werden?«
Susan sah ihn an. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
Hale lächelte. »Tankado hat alle seine Mails an mich mit diesem Spruch gezeichnet. Es war sein Lieblingsspruch.«
KAPITEL 32
David Becker stand vor Suite 301 auf dem Etagenflur. Irgendwo hinter dieser Tür befand sich der Ring. Eine Frage der nationalen
Sicherheit.
Becker vernahm, dass sich drinnen jemand bewegte. Eine gedämpfte Unterhaltung. Er klopfte.
»Ja?«, rief eine tiefe, unverkennbar deutsche Stimme.
Becker reagierte nicht.
Die Tür ging einen Spalt weit auf. Ein rundliches Gesicht schaute auf ihn herab.
Becker kannte den Namen des Mannes nicht. Er lächelte höflich. »Sind Sie Deutscher?«, fragte er.
Der Mann nickte etwas verunsichert.
»Kann ich Sie einen Moment sprechen?«, fuhr Becker in fließendem Deutsch fort.
Der Mann sah ihn unwirsch an. »Was wollen Sie?«
Becker ärgerte sich, dass er den Auftritt nicht besser geplant hatte. Er suchte nach den passenden Worten. »Sie haben etwas, das ich
brauche.«
Es war augenscheinlich nicht die richtige Eröffnung. Die Augen des Deutschen verengten sich.
»Einen Ring«, sagte Becker. »Sie haben einen Ring.«
»Machen Sie, dass Sie fortkommen!«, knurrte der Deutsche und wollte die Tür zuschlagen. Becker setzte reflexhaft den Fuß in den