Wie auch – er war seit seinem zwölften Lebensjahr taub.
Mit einer gewissen Ehrfurcht griff er nach dem batteriegespeisten Minigerät an seinem Gürtel, das Geschenk seines Auftraggebers. Es hatte ihm ein neues Leben geschenkt. Er konnte seine Aufträge jetzt überall in der Welt entgegennehmen. Die Kommunikation erfolgte
verzögerungsfrei und ohne jede Möglichkeit der Ortung.
Eifrig betätigte er den Schalter. Der Monitor in seiner Brille leuchtete auf. Wieder einmal trommelten seine Finger gegeneinander. Wie immer hatte er sich auch diesmal die Namen seiner Opfer beschafft – eine kurze Durchsuchung der Briefbeziehungsweise Handtasche hatte genügt. Die Kontakte an seinen Fingerspitzen wirbelten. Wie von Geisterhand erschienen Buchstaben in seinem
Brillenglas.
ZIELPERSON: HANS HUBER – ELIMINIERT
ZIELPERSON: ROCÍO EVA GRANADA -
ELIMINIERT
Drei Etagen tiefer hatte David Becker seine Zeche bezahlt und wanderte mit dem Glas in der Hand durch die Lobby. Er wandte sich zur offenen Hotelterrasse, um Luft zu schnappen. Von wegen, rein und raus, dachte er. Die Sache hatte sich völlig anders entwickelt als
geplant. Er musste eine Entscheidung treffen. Sollte er nicht lieber alles hinschmeißen und zusehen, dass er zum Flughafen kam? Eine Frage der nationalen Sicherheit! Er fluchte leise vor sich hin. Warum
hatte man dann, verdammt noch mal, einen Pauker geschickt?
Becker manövrierte sich aus dem Blickfeld des Barkeepers und kippte den Rest seines Drinks in einen Blumentopf mit Jasmin. Der Wodka hatte ihn benommen gemacht. Die preiswerteste Schnapsleiche aller Zeiten, hatte Susan ihn oft im Scherz genannt. An einem Trinkwasserspender füllte er den schweren Kristallbecher mit
Wasser und gönnte sich einen kräftigen Schluck.
Er stellte das Glas ab. Um einen klaren Kopf zu bekommen, streckte er sich ein paar mal, dann durchquerte er die Lobby.
Als er am Aufzug vorbeikam, ging die Tür auf. Der Mann, der im Fahrstuhl stand, führte hastig das Taschentuch an die Nase, um sich zu schnäuzen. Lediglich seine dicke Nickelbrille war zu erkennen.
Becker lächelte ihm höflich zu und ging seiner Wege ... hinaus in die
stickige Nacht von Sevilla.
KAPITEL 42
Susan ertappte sich dabei, dass sie erregt in Node 3 auf und ab tigerte. Sie hätte Hale bloßstellen müssen, als es noch möglich
gewesen war!
Greg Hale saß an seinem Terminal. »Sue, hast du etwas auf dem Herzen, das du gerne loswerden möchtest? Stress ist ein Killer!«,
sagte er.
Susan zwang sich, Platz zu nehmen. Sie hatte gehofft, Strathmore würde nach Beendigung seines Telefonats wiederkommen, um mit ihr zu sprechen, doch er ließ sich nicht blicken. Um der inneren Unruhe Herr zu werden, schaute sie auf ihren Bildschirm. Der Tracer war noch unterwegs – zum zweiten Mal -, aber die Suche war gegenstandslos geworden. Die Adresse, die das Suchprogramm
melden würde, kannte sie bereits: GHALE@CRYPTO.NSA.GOV.
Susan schaute hinauf zu Strathmores Büro. Sie hielt es nicht mehr aus. Es war an der Zeit, das Telefonat des Commanders zu
unterbrechen. Sie stand auf und ging zur Tür.
Hale schien auf einmal unruhig zu werden. Susans merkwürdiges Verhalten musste ihm aufgefallen sein. Er sprang auf. Mit ein paar schnellen Schritten war er am Ausgang. Er verschränkte die Arme vor
der Brust und verstellte Susan den Durchgang.
»Ich will wissen, was los ist«, verlangte er. »Hier geht etwas vor. Was ist los?«
Susan merkte, dass es langsam gefährlich wurde. »Lass mich gefälligst durch«, sagte sie so ungerührt wie möglich.
»Nun sag schon«, drängte Hale. »Strathmore hat Charturkian
praktisch gefeuert, nur weil er seinen Job gemacht hat. Was läuft da im TRANSLTR? Wir haben keine Diagnoseprogramme, die achtzehn Stunden lang laufen. Du weißt selbst, dass das völliger
Blödsinn ist. Nun sag schon, was ist los?«
Susans Augen wurden eng. Du weißt ganz genau, was los ist! »Lass mich vorbei, Greg. Ich muss mal zur Toilette.«
Hale grinste. Er ließ sich viel Zeit, bis er endlich ein kleines Stück beiseite trat. »Nichts für ungut, Sue. Ich mag dich eben.«
Susan drängte sich an Hale vorbei zur Tür hinaus. Noch durch das Spiegelglas hindurch spürte sie seinen bohrenden Blick in ihrem
Rücken.
Zögernd trottete sie zur Toilette. Hale sollte keinen Verdacht schöpfen. Dieser Umweg musste vor dem Gang zum Commander
eben sein.
KAPITEL 43
Der forsche Mittvierziger Chad Brinkerhoff war gut in Form, gut gekleidet und gut informiert. Nicht der Anflug eines Fältchens verunzierte seine wohlgebräunte Haut und seinen leichten Sommeranzug. Sein Haar war dicht, sandfarben und vor allem sein eigenes. Seine Augen glänzten in einem strahlenden Blau, was er
nicht zuletzt farbigen Kontaktlinsen verdankte.
Bei Betrachtung seines holzgetäfelten Büros musste er sich eingestehen, dass er es bei der NSA nicht mehr weiter bringen konnte.
Er saß im neunten Stock, der Mahagoni-Etage. Büro 9 A 197. Das
Chefbüro.
Es war Samstagabend. In der Mahagoni-Etage war praktisch keiner mehr da. Die Riege der leitenden Beamten war komplett ausgeflogen und trieb, was einflussreiche Männer am Wochenende eben so trieben. Chad Brinkerhoff hatte immer davon geträumt, in dieser Behörde eines Tages auf einem »richtigen« Posten zu landen, aber irgendwie hatte er es nur zum »persönlichen Referenten« gebracht – das offizielle Abstellgleis für die Verlierer im politischen Ämterschacher. Er arbeitete zwar Seite an Seite mit dem mächtigsten Mann des amerikanischen Geheimdienstes, aber das war auch kein Trost für Brinkerhoff, der mit Auszeichnung von einer prominenten Universität abgegangen war. Da saß er nun – ein Mann in den besten Jahren, aber ohne wirklichen Einfluss, ohne wirkliche Macht, und verbrachte seine
Tage damit, einem anderen den Terminkalender zu führen. Der Job als persönlicher Referent des Chefs war für Brinkerhoff natürlich mit bestimmten Annehmlichkeiten verbunden: ein schönes Büro auf der Chefetage, ungehinderten Zugang zu allen Abteilungen der NSA und ein gewisses Flair, das von dem noblen Umfeld auf ihn abfärbte. Er war der Laufbursche der Mächtigen. Brinkerhoff wusste tief in seinem Inneren, dass er der geborene Referent war – aufgeweckt genug, um Notizen aufzunehmen, attraktiv genug, um Pressekonferenzen zu
geben, und faul genug, um es dabei zu belassen.
Der Glockenschlag seiner Kaminsims-Uhr akzentuierte das Ende eines weiteren Tages seiner unbefriedigenden Existenz. Mist, dachte er, fünf Uhr nachmittags an einem Samstag. Wozu sitzt du überhaupt
noch hier herum?
»Chad?« Eine Frau stand in seiner Bürotür.
Brinkerhoff hob den Blick. Es war Midge Milken, Leland Fontaines Analystin für behördeninterne Sicherheit. Sie war über fünfzig, etwas vollschlank und – sehr zu Brinkerhoffs Überraschung – durchaus attraktiv. Die einem Flirt durchaus nicht abgeneigte Analystin, die drei Ehen hinter sich hatte, bewegte sich mit kerniger Autorität durch die Chefbüros. Sie war hochintelligent, intuitiv begabt, bewältigte ein übermenschliches Arbeitspensum und kannte die Feinheiten des inneren Gefüges der NSA angeblich besser als der
liebe Gott persönlich.
Verdammt, dachte Brinkerhoff und beäugte die Frau in ihrem fließenden steingrauen Kaschmir-Strickkleid mit dem V-Ausschnitt,
entweder wirst du älter, oder sie wird laufend jünger.
»Die Berichte von dieser Woche.« Midge wedelte lächelnd mit einem Packen Papier. »Sieh dir die Werte mal an.«
Brinkerhoff betrachtete anerkennend Midges Figur. »Die Werte stimmen, das kann ich von hier aus sehen.«
»Also, wirklich, Chad«, erwiderte sie mokant, »ich könnte deine Mutter sein!«