Brinkerhoff stöhnte auf. »Midge, der Mann ist unser stellvertretender Direktor! Ich bin sicher, dass er alles im Griff hat.
Wir sollten uns nicht in Spekulationen verlieren und ...«
»Ach, Chad, sei nicht so ein Schafskopf. Wir tun doch nur unsere Pflicht! Wir haben einen Ausreißer in der Statistik, und wir wollen wissen, was los ist. Außerdem möchte ich Strathmore wieder einmal daran erinnern, dass Big Brother ein Auge auf ihn hat. Er soll lieber zweimal überlegen, bevor er nochmal eine hirnrissige Großtat zur Rettung der Menschheit vom Stapel lässt.« Midge griff nach dem
Telefon und fing an zu wählen.
Brinkerhoff sah ihr unbehaglich zu. »Hältst du es wirklich für eine gute Idee, ihn zu stören?«
»Ich werde ihn nicht stören«, sagte Midge und warf Brinkerhoff den Hörer zu. »Du wirst es tun.«
KAPITEL 48
»Was?«, stieß Midge in ungläubiger Empörung hervor. »Strathmore sagt, unsere Daten stimmen nicht?«
Brinkerhoff legte nickend wieder auf.
»Sag bloß, Strathmore hat abgestritten, dass der TRANSLTR seit achtzehn Stunden an einer einzigen Datei herumknackt!«
»Er war sehr zuvorkommend«, strahlte Brinkerhoff, der stolz darauf war, dass er den Anruf überlebt hatte. »Wie er mir versichert hat, ist mit dem TRANSLTR alles in bester Ordnung. Während wir uns unterhielten, würde der Rechner alle sechs Minuten einen Code
knacken. Er hat sich bei mir sogar für die Nachfrage bedankt.«
»Der Kerl lügt!«, zischte Midge. »Ich erstelle diese Crypto-Statistiken seit zwei Jahren, und meine Daten haben immer
gestimmt.«
»Es gibt immer ein erstes Mal«, meinte Brinkerhoff nonchalant.
Midge schoss einen missbilligenden Blick auf ihn ab. »Die Daten sind doppelt überprüft.«
»Na, du weißt ja, wie es so schön über Computer heißt: ›Wenn sie einen Fehler machen, dann wenigstens immer den gleichen‹.«
Midge fuhr herum und funkelte ihn böse an. »Das ist nicht
komisch, Chad! Der Vizedirektor hat das Büro des Direktors soeben mit einer schamlosen Lüge abgespeist! Ich will wissen, warum!«
Brinkerhoff wünschte auf einmal, er hätte Midge nicht zurückgerufen. Das Telefonat mit Strathmore hatte sie auf die Palme
gebracht. Seit Skipjack verwandelte sich Midge jedes Mal auf erschreckende Weise von einer Sirene in eine Furie, sobald sie das Gefühl hatte, dass etwas Verdächtiges im Busch war, und war dann nicht mehr zu genießen, bis sie der Sache auf den Grund gegangen
war.
»Midge, es könnte doch durchaus sein, dass unsere Daten nicht stimmen«, sagte Brinkerhoff mit Nachdruck. »Denk doch mal nach – eine Datei, die den TRANSLTR achtzehn Stunden auf Trab hält, wo
gibt's denn so was? Geh nach Hause, es ist schon spät.«
Sie sah ihn von oben herab an und knallte die Unterlagen auf den Tisch. »Aber meine Daten sind wasserdicht! Ich spür's im Urin, dass
sie stimmen.«
Brinkerhoff runzelte die Stirn. Nicht einmal der Direktor wagte noch Zweifel anzumelden, wenn Midge Milken etwas im Urin hatte.
Sie hatte die bestürzende Gewohnheit, stets Recht zu behalten.
»Da ist etwas im Busch«, erklärte sie, »und ich werde herausfinden, was.«
KAPITEL 49
Becker rappelte sich vom Fahrzeugboden hoch und ließ sich auf einen leeren Sitz fallen.
»Geiler Stunt, Alter«, spottete der Bursche mit den gefärbten Haaren. Becker blinzelte. Neben ihm saß der Punker, dem er nachgerannt war. Verdrießlich betrachtete er die Flut der blau-weißroten Köpfe.
»Was habt ihr mit euren Haaren gemacht?«, ächzte Becker und deutete auf das Gewackel der Köpfe. »Sie sind alle ...«
»... total blau-weiß-rot«, kam ihm der Bursche zu Hilfe.
Becker nickte und versuchte, nicht auf die entzündete Stelle an der gepiercten Oberlippe des Jungen zu starren.
»Judas Taboo«, stellte der Punker lakonisch fest.
Becker begriff gar nichts.
Der Junge spuckte in den Mittelgang. Beckers Ignoranz schien ihn maßlos zu nerven. »Judas Taboo ist der größte Punker seit Sid Vicious, Mann! Hat sich hier vor einem Jahr den goldenen Schuss
gesetzt. Sein Memoral Day, Alter!«
Becker nickte unbestimmt. Der Zusammenhang war ihm immer noch etwas rätselhaft.
»Hat beim Abkacken die Haare so gehabt, Mann. Wer etwas auf sich hält, hat heute die Haare auch so, klar?«
Becker sagte lange nichts. Ganz langsam wandte er den Blick nach vorne. Im ganzen Bus sah er nur Punker. Die meisten starrten ihn auch
noch an.
Heute hat jeder Judas-Taboo-Fan blau-weiß-rote Haare.
Es war an der Zeit auszusteigen. Becker streckte die Hand aus und zog am Klingelstrang zum Fahrer. Er zog noch einmal. Nichts
passierte. Ziemlich hektisch zog er ein drittes mal.
»Im Siebenundzwanziger haben sie die Klingel abgehängt«, sagte der Punker und spie wieder aus. »Weil wir damit sonst nur Scheiße
machen, klar?«
Becker sah ihn an. »Heißt das, dass man nicht aussteigen kann?«
Der Punker lachte sich halb tot. »Erst an der Endstation, Mann!«
Fünf Minuten später bretterte der Bus über eine spanische Landstraße. »Hält das Ding jemals wieder an?«, fragte Becker den
Burschen neben sich.
Der Punker nickte. »Bloß noch ein paar Kilometer.«
»Wo fahren wir überhaupt hin?«
Der Punker fing an, breit zu grinsen. »Mann, das hast du noch nicht gecheckt?«
Becker hob die Schultern.
Der Junge brach in hysterisches Gelächter aus. »Oh, Scheiße,
Mann, da wirst du bestimmt tierisch drauf abfahren!«
KAPITEL 50
Nur ein paar Meter vom Gehäuse des TRANSLTR entfernt stand Phil Charturkian über einer weißen Aufschrift auf dem Boden:
CRYPTO UNTERMASCHINERIE
FÜR UNBEFUGTE KEIN ZUTRITT
Er war eindeutig unbefugt. Er warf einen schnellen Seitenblick hinauf zu Strathmores Büro. Die Vorhänge waren immer noch zugezogen. Charturkian hatte Susan Fletcher die Toilette aufsuchen sehen, folglich war sie kein Problem. Damit blieb nur noch Greg Hale.
Er schaute hinüber zur spiegelnden Wand von Node 3 . Ob der
Kryptograph ihn beobachtete?
»Egal«, knurrte er.
Der Umriss der Bodenklappe zu seinen Füßen war kaum zu erkennen. Charturkian nahm den Schlüssel zur Hand, den er im Sys-Sec-Lab an sich genommen hatte. Er kniete sich hin, steckte den Schlüssel in das Schloss im Boden und drehte ihn um. Die Verriegelung klickte. Er schraubte die große Halteklaue lose. Die Verankerung des Einstiegs löste sich. Mit einem sichernden Blick über die Schulter, zog er an der Klappe. Sie war relativ klein, nur etwa neunzig mal neunzig Zentimeter, aber schwer. Als sie endlich
aufschwang, prallte Charturkian zurück.
Ein Schwall heißer Dämpfe mit dem stechenden Geruch des Kühlmittels fuhr ihm ins Gesicht. Dunstschwaden wehten aus der Öffnung, von unten rot angestrahlt durch das Arbeitslicht. Das ferne Generatorbrummen wurde zum Dröhnen. Charturkian stand auf und spähte in die Öffnung hinab. Sie ähnelte mehr einem Höllenloch als dem Wartungseinstieg eines Computers. Eine schmale Leiter führte zu
einer unter dem Kuppelboden aufgehängten Plattform hinab. Von dort ging eine Treppe weiter nach unten und verlor sich in wirbelnden Dunstschwaden.
Greg Hale stand in Node 3 hinter dem Einwegspiegel. Er beobachtete Phil Charturkian, der sich in den Einstieg zur Untermaschinerie hinabließ. Von Hales Standort aus konnte man den Eindruck haben, der Kopf des Sys-Sec-Technikers ruhe vom Rumpf getrennt auf dem spiegelnden Boden, um dann zögernd in den
wehenden Dunst hinabzusinken.
»Gute Idee«, murmelte Hale. Es war ihm klar, was Charturkian vorhatte. Wenn der Techniker davon ausging, dass der TRANSLTR einen Virus hatte, war die Notabschaltung von Hand die einzig logische Maßnahme – leider mit der unausweichlichen Konsequenz, dass es in der Crypto-Abteilung in zehn Minuten von Sys-Sec-Leuten nur so wimmeln würde. Notmaßnahmen wurden an der Hauptschalttafel unübersehbar angezeigt. Aber Hale konnte nicht zulassen, dass die Sys-Sec-Abteilung in der Crypto eine groß angelegte Fehlersuchaktion startete. Charturkian musste aufgehalten