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Suche war hoffnungslos geworden.

Becker war im Bus sitzen geblieben und ließ den Blick über die Horden schweifen, die sich gegenseitig in den Eingang des Clubs schubsten. Vor seinen Augen wogte das größte Punkeraufgebot, das er je gesehen hatte. Blau-weiß-rote Haartrachten überall. Plötzlich war er nicht mehr so sicher, ob sein Gewissen mitspielen würde, wenn er die

Suche an dieser Stelle abbrach.

Seufzend betrachtete er die Menge und wog seine Chancen ab. Wo sonst sollte sie sich an einem Samstagabend schon herumtreiben?, dachte er achselzuckend. Mit einem Fluch auf sein unfreiwilliges

Glück stieg er aus.

Ein eng gemauerter Schlauch bildete den Zugang zum Club. Kaum hatte Becker ihn betreten, verfiel er dem Vorwärtsdrang der eifrigen Kundschaft.

»Weg da, schwule Sau!« Ein Mensch, der sich zum Nadelkissen umfunktioniert hatte, hieb ihm den Ellbogen in die Seite und drängte

vorbei.

»Geiles Kulturseil!« Jemand zerrte an Beckers Krawatte.

»Willste vögeln?« Ein Mädchen, das aussah wie eine Statistin aus dem Film Die Nacht der lebenden Toten, glotzte ihn von unten herauf

an.

Der düstere Durchgang öffnete sich in eine riesige Betonhalle, in der es nach Alkohol und Körperausdünstungen stank. Die Szene war surreal – wie eine Höhle tief in einem Berg, in der sich Hunderte von

Leibern wie ein einziger Mega- Körper bewegten. Die Hände fest in die Hüften gestemmt, wogten die Tänzer auf und ab, Köpfe wackelten wie unbelebte Kürbisse auf steifem Rückgrat. Manche waren anscheinend völlig verrückt geworden und warfen sich von der Bühne in ein Meer menschlicher Gliedmaßen. Leiber wurden wie menschliche Beachbälle vor- und zurückgereicht. Flackernde Stroboskoplichter an der Decke verliehen dem Ganzen die Aura eines

alten Stummfilms.

An der gegenüberliegenden Wand dröhnten Lautsprecherboxen von der Größe eines Lieferwagens. Der Lärm war so brutal, dass selbst die besessensten Tänzer sich auf höchstens zehn Meter an die

wummernden Woofer heranwagten.

Becker verstopfte sich die Ohren. Sein Blick glitt suchend über die Menge. Wohin er auch schaute, überall blau-weiß-rote Köpfe. Die Kleidung der dicht aneinander gepackten Leiber war nicht zu erkennen, geschweige denn ein T-Shirt mit britischer Flagge. Becker hätte nicht gewagt, sich in das Getümmel hineinzubegeben. Man wäre

sofort zertrampelt worden.

Eine Gestalt neben Becker übergab sich. Na, prächtig, stöhnte er und flüchtete in einen über und über mit Graffiti besprühten Flur. Der Flur ging in einen verspiegelten Tunnelgang über und mündete auf

einen Innenhof, in dem Tische und Stühle herumstanden. Auch hier wimmelte es von Punk-Rockern, aber Becker kam sich vor wie an der

Pforte zum Paradies – die Musik war zum fernen Dröhnen verebbt, und über ihm öffnete sich majestätisch der Sternenhimmel.

Ohne auf die neugierigen Blicke zu achten, schob sich Becker durch die Menge. Er lockerte die Krawatte. Am ersten unbesetzten Tisch ließ er sich auf einen Stuhl fallen. Er räumte die leeren Bierflaschen auf den Boden, legte die Arme auf den Tisch und bettete

den Kopf hinein. Nur ein paar Minuten, dachte er.

Er hatte den Eindruck, Strathmores Anruf sei ein ganzes Menschenleben her.

Der Mann mit der Nickelbrille saß acht Kilometer entfernt im Fond eines Seat-Taxis, das mit Vollgas über die Landstraße raste.

»El Brujo!«, knurrte er, um den Fahrer an sein Ziel zu erinnern.

Der Fahrer nickte. Verstohlen betrachtete er seinen Fahrgast im Rückspiegel. El Brujo, schniefte er. Was da neuerdings für Leute hin

wollen! Das Publikum wird jeden Abend merkwürdiger.

KAPITEL 53

Tokugen Numataka lag nackt auf dem Massagetisch, der in seinem Penthouse-Büro aufgebaut war. Seine Masseuse bearbeitete die Knoten in seinem Nacken. Ihre Handflächen glitten in die fleischigen Taschen an seinen Schulterblättern und arbeiteten sich den Rücken hinunter almählich tiefer bis zum Rand des Handtuchs, das seine

Blöße bedeckte. Ihre Hände glitten noch tiefer ... unter das Handtuch. Numataka nahm kaum Notiz davon. Seine Gedanken waren ganz woanders. Er wartete schon seit langem auf das Klingeln seines

Telefons. Es war stumm geblieben.

Es klopfte an der Tür.

»Herein!«, rief Numataka. Die Masseuse zog hurtig die Hände unter dem Handtuch hervor.

Die Telefonistin trat ein und verbeugte sich. »Verehrter Herr Direktor?«

»Sprechen Sie!«

Die Frau verbeugte sich abermals. »Ich habe mit der Vermittlung der Telefongesellschaft gesprochen. Der Anruf ist aus dem Land mit

dem Ländercode I gekommen – aus den Vereinigten Staaten.«

Numataka nickte. Das war eine gute Nachricht. Der Anruf kam aus den Vereinigten Staaten. Er lächelte. Er war also doch echt.

»Und von wo in den Vereinigten Staaten?«, wollte er wissen.

»Man bemüht sich derzeit um die genaue Lokalisierung, Herr Direktor.«

»Sehr gut. Unterrichten Sie mich, wenn Sie Näheres wissen.«

Die Telefonistin verbeugte sich und verschwand.

Numataka spürte, wie die Spannung aus seinem Körper wich. Ländercode I. Das war in der Tat eine gute Nachricht.

KAPITEL 54

Susan Fletcher ging ungeduldig in der Toilette auf und ab und zählte langsam bis fünfzig. Ihr Kopf dröhnte. Hale ist North Dakota!

Und jetzt nochmal bis zwanzig, ermahnte sie sich.

Sie hätte gern gewusst, was Hale im Schilde führte. Hatte er vor, den Schlüssel öffentlich preiszugeben? Oder war er so gewinnsüchtig, dass er versuchen würde, den Algorithmus zu verkaufen? Susan hielt

die Warterei nicht mehr aus. Sie musste zu Strathmore gehen.

Vorsichtig zog sie die Tür einen Spalt weit auf und spähte zu der spiegelnden Glaswand auf der anderen Seite der Kuppel hinüber. Es gab keine Möglichkeit festzustellen, ob Hale sie noch beobachtete. Sie musste schleunigst zu Strathmore hinauf, allerdings auch nicht zu überstürzt. Hale sollte nicht gleich merken, dass sie ihm auf die Schliche gekommen war. Als Susan die Tür ganz öffnen wollte,

vernahm sie etwas. Stimmen. Männerstimmen.

Sie kamen aus dem Ventilationsschacht neben der Tür. Susan ließ die Klinke los und trat an die Lüftungsöffnung. Die einzelnen Wörter gingen im Generatorgebrumm fast unter. Es klang, als kämen die Stimmen von dem Gittersteg unter dem Kuppelboden herauf. Eine der

Stimmen, schrill und wütend, hörte sich an wie Phil Charturkian. »Sie halten mich wohl für verrückt?« Heftiger Wortwechsel. »Wir haben uns einen Virus eingefangen!« Barsches Gebrüll. »Wir müssen Jabba verständigen!«

Jetzt klang es wie ein Handgemenge.

»Lassen Sie mich durch!«

Ein kaum noch menschlicher Laut folgte, ein langer gellender Schrei des Entsetzens. Es klang wie der Todesschrei einer gequälten Kreatur. Susan erstarrte neben dem Luftauslass. Die Geräusche hörten

so plötzlich auf, wie sie begonnen hatten. Stille breitete sich aus.

Wie in einem billigen Horrorfilm wurde es in der Toilette auf einmal dunkel. Die Leuchtröhren flackerten noch ein letztes mal, dann

war Susan in absoluter Finsternis gefangen.

KAPITEL 55

Eh, du Arsch, du hockst auf meinem Platz!«, pflaumte jemand Becker in amerikanischem Slang an.

Becker hob den Kopf. Spricht denn keiner in diesem verdammten Land Spanisch?

Ein etwas zu kurz geratener pickeliger Jüngling mit Glatze glotzte ihn an. Die Glatze war halb rot, halb blau eingefärbt. Der Bengel sah aus wie ein Osterei. »Ich habe gesagt, du sitzt auf meinem Platz, du