ungemildert hervortreten.
Worauf hast du dich da bloß eingelassen? fragte sich Brinkerhoff.
Midge ging zum Drucker und zog die Warteschlangenliste aus dem Schacht. »Ich kann nichts erkennen«, meckerte sie. »Mach doch mal
das Licht an!«
»Du wirst die Liste draußen lesen, meine Liebe, und nun komm!«
Midge schien die Situation bis zur Neige auskosten zu wollen. Sie stöckelte zum Fenster, wo sie den Ausdruck schräg ins Mondlicht
hielt, um ihn besser lesen zu können. »Midge ...«
Sie ließ sich nicht stören.
Brinkerhoff trat von einem Bein aufs andere. »Midge, nun mach schon. Das ist das Büro des Chefs!«
»Ich weiß, dass es hier irgendwo stehen muss«, murmelte sie. »Strathmore hat die Filter schachmatt gesetzt. Ich weiß es einfach.«
Sie trat noch näher an die Scheibe.
Brinkerhoff fing an zu schwitzen.
Midge las in aller Seelenruhe weiter. Plötzlich schnappte sie nach Luft. »Ich hab's doch gewusst! Strathmore hat die Gauntlet-Filter umgangen. Dieser Idiot!« Triumphierend wedelte sie mit dem Ausdruck in der Luft herum. »Er hat Gauntlet umgangen! Hier, sieh's
dir an!«
Brinkerhoff schaute einen Moment lang dumm aus der Wäsche, dann rannte er quer durch das Büro seines Chefs zu Midge und drängte sich neben sie ans Fenster. Sie deutete auf das Ende des
Ausdrucks.
Brinkerhoff konnte nicht glauben, was er da las. »Was zum Teufel hat ...«
Auf dem Ausdruck stand eine Liste der letzten sechsunddreißig in den TRANSLTR eingegebenen Dateien. Hinter jedem Eintrag stand ein vielsteiliger Gauntlet-Freigabecode. Bei der letzten Datei jedoch
fehlte er. Stattdessen stand dort FILTER MANUELL UMGANGEN.
Ach du dickes Ei, dachte Brinkerhoff. Midge hat wieder einmal zugeschlagen.
»Dieser Schwachkopf!«, zischte Midge. »Sieh dir das an! Gauntlet hat die Datei zweimal abgewiesen. Wegen Mutationsketten. Und er hat die Filter trotzdem umgangen! Was hat sich dieser Idiot dabei nur
gedacht?«
Brinkerhoff hatte weiche Knie bekommen. Zu gern hätte er gewusst, warum Midge am Ende immer Recht behielt.
Sie bemerkten beide nicht das Spiegelbild, das neben ihnen im Glas der Fensterscheibe auftauchte. In der offenen Tür von Fontaines
Büro stand eine wuchtige Gestalt.
»Mein Gott!«, keuchte Brinkerhoff, »du glaubst also wirklich, dass wir einen Virus haben?«
Midge seufzte. »Was soll es denn sonst sein?«
»Jedenfalls nichts, was Sie beide etwas angeht!«, dröhnte eine Stimme hinter ihnen.
Sie fuhren herum. Midge knallte mit dem Kopf gegen die Fensterscheibe, Brinkerhoff stolperte über den Drehfuß des Schreibtischsessels seines Chefs. Er wusste sofort, wer dort im
Türrahmen stand.
»Herr Direktor!«, japste er und eilte mit zum Gruß weit
ausgestreckter Hand zur Tür. »Willkommen zu Hause, Sir!«
Der hünenhafte Mann ignorierte die Hand.
»Ich... ich habe gedacht, Sie wären in Südamerika«, stotterte Brinkerhoff und ließ die Hand sinken.
Leland Fontaine durchbohrte seinen Referenten mit Blicken wie Dolche. »Gewiss. Aber jetzt bin ich wieder hier.«
KAPITEL 69
»Hey, Mister!«
Becker war auf dem Weg zu einer Batterie von Münzfernsprechern. Er blieb stehen und drehte sich um. Das Mädchen, das ihn in der Damentoilette überrascht hatte, winkte.
»Mister, warten Sie!«
Das wird ja immer besser, stöhnte Becker. Will sie dich jetzt wegen sexueller Belästigung anzeige n?
Die große Reisetasche hinter sich herzerrend, kam das Mädchen herbeigelaufen. Als es vor ihm stand, lächelte es ihn freundlich an. »Tut mir Leid, dass ich Sie in der Toilette so angeschrien habe. Ich
habe mich einfach nur erschreckt.«
»Schon vergessen«, sagte Becker. »Eigentlich hatte ich dort ja auch nichts zu suchen.«
»Halten Sie mich bitte nicht für verrückt«, sagte die Halbwüchsige und blinzelte mit den rot geränderten Augen, »aber hätten Sie
vielleicht ein paar Mäuse übrig, die Sie mir pumpen könnten?«
Becker schaute sie mit ungläubigen Augen an. »Wofür wollen Sie das Geld denn haben?« Deine Drogensucht werde ich dir nicht
finanzieren, meine Liebe, falls du das im Sinn hast!
»Ich möchte nach Hause fliegen«, sagte das Mädchen. »Würden Sie mir helfen?«
»Sie haben wohl Ihr Flugzeug verpasst.«
Sie nickte. »Ich hab mein Ticket verloren, und da wollten mich die Arschlöcher nicht an Bord lassen. Und jetzt habe ich kein Geld mehr, um mir ein neues Ticket zu kaufen.«
»Wo sind Sie denn zu Hause?«
»In den Staaten.«
»Können Sie nicht Ihre Eltern anrufen?«
»Nein, schon probiert. Vermutlich sind sie zum Wochenende mit irgendjemand segeln gegangen.«
»Haben Sie denn keine Kreditkarte?«, sagte Becker mit einem Blick auf die teure Kleidung des Mädchens.
»Ja, hatte ich, aber mein Dad hat sie sperren lassen. Er glaubt, ich würde Drogen nehmen.«
»Nehmen Sie denn Drogen?«, sagte Becker mit ausdruckslosem Gesicht. Er beäugte den geschwollenen Unterarm des Mädchens.
Das Mädchen starrte ihn empört an. »Natürlich nicht!«, sagte es und tat beleidigt. Becker bekam das Gefühl, dass er über den Tisch
gezogen werden sollte.
»Nun machen Sie keinen Aufstand«, sagte es. »Sie sehen aus wie jemand, der Kohle hat. Könnten Sie nicht ein bisschen davon abdrücken, damit ich nach Hause fliegen kann? Ich schicke Ihnen die
Knete auch wieder zurück.«
Für Becker war klar, dass jeder Peso, den er dem Mädchen gab, im Nu in den Klauen eines Drogenhändlers von Triana landen würde.
»Ich gehöre nicht zu den Leuten, die Kohle haben«, entgegnete Becker. »Aber ich sage Ihnen, was wir machen können...« Ich werde dich beim Wort nehmen, mein Kind. »Was halten Sie davon, wenn ich
Ihnen das Ticket kaufe?«
Das Mädchen schaute ihn verdattert an. »Das würden Sie tun?«, stammelte es, die Augen hoffnungsvoll aufgerissen. »Sie würden mir ein Ticket kaufen, damit ich nach Hause fliegen kann? Oh Gott, wie
soll ich Ihnen dafür danken?«
Becker war sprachlos. Offenbar hatte er das Mädchen falsch eingeschätzt.
Das Mädchen schlang ihm die Arme um den Hals. »Das war ein ganz beschissener Sommer«, schluchzte es. »Oh danke, vielen Dank. Ich muss unbedingt weg von hier.«
Becker drückte es halbherzig. Das Mädchen ließ ihn los. Er betrachtete wieder die bläulichen Male an ihrem Unterarm.
Es folgte seinem Blick. »Sieht schaurig aus, nicht?«
Becker nickte. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass Sie keine Drogen nehmen.«
Das Mädchen lachte. »Das ist blauer Marker! Er ist total verschmiert. Ich habe mir fast die Haut abgerubbelt, bis ich ihn wieder
runter hatte.«
Becker sah genauer hin. Im Licht der Leuchtstoffröhren konnte er auf dem rötlich geschwollenen Arm undeutlich eine Schrift erkennen.
»Aber ... Ihre Augen!«, sagte Becker einigermaßen ratlos. »Die
sind doch ganz rot!«
Sie lachte auf. »Ich habe geheult, wissen Sie, weil ich meinen Flug verpasst habe. Habe ich Ihnen doch gesagt!«
Becker betrachtete wieder die Schrift auf dem Arm.
Das Mädchen zog peinlich berührt die Stirn kraus. »Man kann es immer noch lesen, nicht wahr?«
Becker kam etwas näher. Die vier Wörter waren noch gut zu erkennen, die Botschaft hätte klarer nicht sein können. Vor seinem inneren Auge rasten die letzten zwölf Stunden im Schnelllauf vorbei. Er war wieder im Hotel Alfonso XIII in Suite 301. Der Deutsche patschte auf seinen Unterarm und sagte in miserablem Englisch fock