»Sie haben Jabba angerufen?«
»Jawohl, Sir! Ich ...«
»Jabba?« Fontaine erhob sich drohend. »Warum zum Teufel haben Sie nicht Strathmore angerufen?«
»Das haben wir doch getan!«, verteidigte sich Midge. »Er hat behauptet, alles sei in bester Ordnung.«
Fontaine stand schwer atmend vor ihr. »Dann besteht auch kein Anlass, an seiner Aussage zu zweifeln!« Sein Ton hatte etwas Endgültiges. Er setzte sich wieder hin und nahm einen Schluck Kaffee. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen, ich habe zu
tun!«
Brinkerhoff war schon auf dem Weg zur Tür, aber Midge stand wie angewurzelt da. »Wie darf ich das bitte verstehen?«
»Mrs Milken, ich habe Ihnen einen guten Abend gewünscht. Sie können gehen.«
»Aber ... aber Sir, ich muss leider protestieren. Ich glaube ...«
»Sie müssen protestieren?«, sagte Fontaine schon mehr als ungnädig und stellte den Becher hin. »Wenn hier jemand protestieren muss, dann wohl ich! Ich protestiere dagegen, dass Sie in mein Büro eindringen! Ich protestiere gegen Ihre Unterstellung, dass der
stellvertretende Direktor dieser Behörde lügt! Ich protestiere...« »Sir, wir haben einen Virus! Mein Instinkt sagt mir ... »
»Dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Ihr Instinkt Sie trügt!«
Midge gab keinen Zentimeter Boden preis. »Sir, Commander Strathmore hat die Gauntlet-Filter umgangen!«
Fontaine trat in kaum noch kontrollierter Verärgerung hinter dem Schreibtisch hervor und kam auf Midge zu. »Das ist sein gutes Recht! Sie werden von mir dafür bezahlt, auf die Analysten und das Dienstpersonal aufzupassen, und nicht, um meinen Stellvertreter auszuspionieren! Wenn Strathmore nicht gewesen wäre, müssten wir den Codes immer noch mit Kästchenpapier und Bleistift zu Leibe rücken! Würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen?« Er streifte Brinkerhoff, der bleich und zitternd in der Tür stand, mit einem Blick.
»Das gilt auch für Sie!«
»Sir«, meldete sich Midge unverzagt zu Wort, »bei allem gebotenen Respekt möchte ich doch empfehlen, dass wir ein Sys-Sec-Team in die Crypto schicken, nur für alle Fälle, falls . ..«
»Das kommt gar nicht in Frage!«
Ein paar spannungsgeladene Augenblicke verstrichen. »Nun gut«, sagte Midge und nickte, »dann gute Nacht.« Sie drehte sich um und rauschte hinaus. Brinkerhoff sah ihren Augen an, dass sie noch lange
nicht bereit war, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
Er schaute zu seinem Chef hinüber, der massig und aufgebracht an seinem Schreibtisch stand. Das war nicht der Leland Fontaine, den er kannte. Der Chef, den er kannte, hatte eine Vorliebe fürs Detail, liebte sauber gemachte Hausaufgaben und wurde nicht müde, seinen Mitarbeitern einzuschärfen, Unstimmigkeiten des täglichen Ablaufs penibel auf den Grund zu gehen, egal, wie unbedeutend die Sache erscheinen mochte. Und nun stand dieser Mann vor ihnen und verlangte, vor einer bizarren Häufung von merkwürdigen Zufällen die
Augen zu verschließen!
Der Direktor hatte offensichtlich etwas zu verbergen, aber
Brinkerhoff wurde dafür bezahlt, seinem Chef zur Hand zu gehen, und nicht, um ihn zu kritisieren. Fontaine hatte Mal für Mal bewiesen, dass er mit Hingabe im Interesse aller zu handeln verstand. Wenn ihm jetzt damit gedient war, dass Brinkerhoff sich dumm stellte, dann sei's drum.
Bei Midge lag die Sache leider anders. Sie erhielt ihr Geld, um Fragen zu stellen. Brinkerhoff befürchtete, dass sie schon zur Crypto-Kuppel unterwegs war, um genau das zu tun.
Zeit, wieder einmal eine Bewerbung zu schreiben, dachte Brinkerhoff, während er sich im Türrahmen umdrehte.
»Chad!«, bellte es hinter ihm. Auch Fontaine war der Ausdruck in Midges Augen nicht entgangen. »Sorgen Sie dafür, dass Mrs Milken
unseren Bürotrakt nicht verlässt!«
Nickend eilte Brinkerhoff Midge hinterher.
Fontaine seufzte und stützte den Kopf in die Hände. Seine pechschwarzen Augen wurden ihm schwer. Er hatte eine lange und unerwartete Heimreise hinter sich. Der letzte Monat war für ihn ein
Monat der großen Erwartungen gewesen. Bei der NSA taten sich zurzeit Dinge, die den Lauf der Geschichte verändern konnten, aber er, der Chef des Nachrichtendienstes, war ironischerweise nur durch
Zufall darauf gestoßen.
Vor drei Monaten war ihm zu Ohren gekommen, dass Commander Strathmores Frau im Begriff war, ihren Ehemann zu verlassen. Gleichzeitig hatte er gehört, dass Strathmore unter der gewaltigen Arbeitslast, die er sich auflud, zusammenzubrechen drohe. Ungeachtet der vielfältigen Meinungsverschiedenheiten mit Strathmore hatte Fontaine seinen Stellvertreter stets außerordentlich geschätzt. Strathmore war ein brillanter Fachmann, möglicherweise der beste, den die NSA überhaupt hatte, stand aber seit dem Fiasko mit Skipjack unter enormem Druck. Fontaine behagte diese Situation keineswegs. Commander Strathmore hatte in der NSA eine Schlüsselstellung inne – was Fontaine im Interesse seiner Behörde nicht außer Acht lassen
durfte.
Fontaine brauchte jemand, der den möglicherweise angeschlagenen Strathmore daraufhin beobachtete, ob er hundertprozentig funktionierte – keine leichte Aufgabe. Strathmore war ein selbstbewusster und mächtiger Mann in der Behörde. Fontaine durfte nicht riskieren, durch die Überwachung das Selbstvertrauen
und die Autorität dieses Mannes zu beschädigen.
Aus Respekt vor Strathmore entschloss sich Fontaine, die Aufgabe selbst zu übernehmen. Er ließ in Strathmores Computer eine unsichtbare Wanze installieren, die ihm Zugang zu Strathmores EMails, seiner behördeninternen Korrespondenz, seinem Brainstorming und allem anderen verschaffte. Falls Strathmore am Rande einer Krise stand, würde Fontaine die Warnsignale erkennen können. Aber statt der Vorzeichen eines Zusammenbruchs entdeckte Fontaine die Vorarbeiten zu einem nachrichtendienstlichen Coup von solcher Raffinesse, wie er ihm noch nie begegnet war. Kein Wunder, dass Strathmore wie besessen schuftete. Wenn es ihm gelang, diesen Plan durchzuziehen, war die Scharte mit Skipjack mehr als hundertfach
ausgewetzt.
Fontaine hatte daraus den Schluss gezogen, dass Strathmore in bester Verfassung war. Der Commander arbeitete mit hundertfünfzigprozentigem Einsatz – umsichtig, klug und patriotisch wie eh und je. In seiner Eigenschaft als Direktor konnte Fontaine nichts Besseres tun, als sich herauszuhalten und Strathmore ungestört seine Wundertat vollbringen zu lassen. Der Commander verfolgte
einen Plan . .. und Fontaine hatte nicht die Absicht, ihm in die Quere
zu kommen.
KAPITEL 75
Kochend vor Zorn befingerte Strathmore die Beretta auf seinem Schoß. Er war zwar auf klares Denken programmiert, aber dass Greg Hale es gewagt hatte, Hand an Susan Fletcher zu legen, machte ihn fuchsteufelswild. Dass es letzten Endes durch sein eigenes
Verschulden dazu gekommen war, machte alles noch schlimmer –
hatte nicht er Susan in Node 3 hineingeschickt? Aber Strathmore war durchaus in der Lage, die Gefühle von seinen Entscheidungen zu trennen. Emotionen hatten in seinem Umgang mit Diabolus nichts zu suchen. Er war der stellvertretende Direktor der National Security Agency. Und heute hing mehr denn je alles davon ab, wie er mit
seiner Aufgabe fertig wurde.
Strathmore zwang sich, ruhiger zu atmen. »Susan, sind Hales EMails gelöscht?«, sagte er. Sein Ton war geschäftsmäßig und
emotionslos.
»Nein«, antwortete sie, verwirrt von der Frage. »Haben Sie den Key?«
Susan schüttelte den Kopf.
Strathmore kaute stirnrunzelnd auf seiner Unterlippe herum. Die Gedanken jagten sich in seinem Kopf. Natürlich hätte er in seinen Lift das Passwort eingeben können, aber dann war Susan fort, und er brauchte sie hier, brauchte ihre Hilfe, um Hales Schlüssel aufzuspüren. Bislang hatte er Susan vorenthalten, dass das Auffinden dieses Schlüssels von einem weit höheren als lediglich akademischen Interesse für ihn war – es war eine absolute Notwendigkeit. Strathmore vermutete zwar, dass er die Nonkonformitätssuche auch ohne Susan durchführen und den Key alleine finden könnte, aber andererseits hatte er schon mit dem Tracer Schwierigkeiten gehabt. Er