Hulohots Schuss zischte knapp an Beckers Kopf vorbei, dessen kleine Vespa in diesem Moment angesprungen war und einen Satz nach vorn machte. An das kleine Zweirad geklammert, holperte Becker eine grasbewachsene Böschung hinunter, kurvte um die Ecke
des Gebäudes und schnurrte hinaus auf die Landebahn.
Wutschnaubend rannte Hulohot zu dem wartenden Taxi. Sekunden später lag der Fahrer halb ohnmächtig im Rinnstein und sah sein Taxi
in einer Staubwolke davonpreschen.
KAPITEL 82
Der Anruf des Commanders hatte Greg Hale auf dem linken Fuß erwischt. Strathmore hat den Sicherheitsdienst angerufen! Er lässt seinen Plan für Diabolus sausen! Nicht im Traum hätte Hale damit gerechnet, dass der Commander die Chance auslassen würde, Diabolus mit einem Hintertürchen zu versehen – die Chance seines
Lebens!
Der Sicherheitsdienst ist im Anmarsch! Als Greg Hale das ganze Ausmaß von Strathmores Anruf aufging, raubte ihm die aufwallende Panik die Kraft. Susan wäre ihm fast entschlüpft. Hale fand gerade
noch rechtzeitig seine Fassung wieder und riss sie zurück.
»Lass mich los!«, schrie Susan, dass es in der Kuppel widerhallte.
Hales von Panik angeheizte Fantasie ging mit ihm durch. Überall wähnte er den drohenden Lauf von Strathmores Beretta zu sehen. Susan fest an sich gepresst, drehte er sich um die eigene Achse, um
dem Commander kein Ziel zu bieten.
»Du tust mir weh!«, keuchte Susan. Atemlos stolperte sie Hales verzweifelten Pirouetten hinterher.
Hale zerrte Susan zur Treppe. In ein paar Minuten würde das Licht wieder angehen, das Portal auffahren und ein Trupp Sicherheitsleute hereingestürmt kommen. Er hätte am liebsten Susan losgelassen und einen Sprint zu Strathmores Lift riskiert, aber ohne das Passwort zu
kennen, war das reiner Selbstmord. Und selbst wenn er hinausgekommen wäre – ohne Geisel war er draußen ein toter Mann. Noch nicht einmal sein Lotus hätte eine Staffel NSA-Hubschrauber abhängen können. Susan ist deine einzige Garantie, dass Strathmore dir nicht das Lebenslicht auspusten lässt!
Susans Widerspenstigkeit machte ihm ein weiteres Problem
bewusst. Auch wenn er Strathmores Lift ans Laufen bekam und Susan mitschleppte – sie würde sich ohne Zweifel auf dem ganzen Weg hinaus beharrlich zur Wehr setzen. Hale wusste sehr gut, dass die Endstation des Lifts am »Untergrund-Highway« lag, einem Labyrinth von unterirdischen Gängen, das der Machtelite der NSA unbemerkten Zugang und die unbeobachtete Bewegung im Gebäude verschaffte. Hale hatte wenig Lust, sich mit einer widerspenstigen Geisel auf Irrfahrt durch das Wirrwarr der Kellergänge der NSA zu begeben. Es war eine Todesfalle, und falls er hinausgelangte, hatte er noch nicht einmal eine Waffe, wie ihm jetzt einfiel! Wie sollte er Susan quer über
den Parkplatz zum Wagen bekommen? Wie sollte er fahren?
Die Antwort lieferte ihm die Stimme eines Strategie-Experten aus seinen Tagen bei den Marines.
Wenn du jemand zur Hilfe zwingen willst, wird sich der Betroffene wehren, warnte die Stimme. Bring ihn dazu, so zu denken wie du,
dann hast du einen Bundesgenossen!
»Susan«, sagte Hale, »Strathmore ist ein Mörder! Auch du bist in Gefahr!«
Susan schien ihm noch nicht einmal zuzuhören. Außerdem war diese Tour ohnehin absurd. Strathmore würde Susan niemals etwas
antun, und das wusste sie genau.
Hale starrte angestrengt in die Finsternis. Wo steckte der Commander? Strathmore war auf einmal völlig verstummt. Hale wurde noch nervöser. Er spürte, dass ihm die Zeit davonlief. Jeden Moment konnten bewaffnete Sicherheitsleute hereingestürmt
kommen.
Die Arme fest um Susans Taille geschlungen, zerrte Hale sie unter Aufbietung aller Kräfte rückwärts die Treppe zu Strathmores Büro hinauf. Sie hakte die Fersen unter die unterste Stufe, aber es nützte ihr
nichts. Hale war stärker.
Mit Susan im Schlepptau erklomm Hale Stufe um Stufe. Es wäre vielleicht einfacher gewesen, sie vor sich herzuschieben, aber das obere Treppenende lag im matten Licht von Strathmores Computerbildschirm. Wenn Susan voranging, hätte Hales ungeschützter Rücken ein leichtes Ziel abgegeben, aber so hatte Hale einen menschlichen Schutzschild zwischen sich und Strathmore unten
in der Kuppel.
Nach etwa einem Drittel des Weges nach oben spürte Hale unten an der Treppe eine Bewegung. Strathmore schreitet zur Tat! »Commander, schlagen Sie sich das aus dem Kopf.«, zischte Hale.
»Sie würden höchstens Susan umbringen!«
Hale wartete ab. Kein Geräusch mehr am Fuß der Treppe. Er lauschte in die Stille. Nichts. Hatte er bereits Halluzinationen? Egal. Mit Susan in der Schusslinie würde Strathmore keinen Schuss
riskieren.
Da passierte etwas Unerwartetes. Am oberen Ende der Treppe gab es ein mattes Geräusch. Hale hielt inne. Das Adrenalin schoss ihm bis in die Haarspitzen. War Strathmore irgendwie die Treppe hochgeschlüpft? Gefühlsmäßig musste er noch unten in der Kuppel sein – aber da war dieses Geräusch noch einmal, diesmal etwas lauter.
Eindeutig ein auftretender Schuh, oben am Treppenende!
Entsetzt erkannte Hale seinen Fehler. Strathmore wartet oben am Treppenende, hinter dir! Er kann dich problemlos von hinten abknallen! Er riss Susan auf die treppauf gelegene Seite, wechselte die
Richtung und zog sich rückwärts gehend nach unten zurück.
Auf der untersten Stufe hielt er inne und starrte zum Treppenende hinauf. »Hauen Sie ab, Commander!«, schrie er. »Hauen Sie ab, oder
ich breche Susan ...«
Die Beretta sauste durch die Luft und krachte an Hales Schläfe.
Hale sank zusammen. Verwirrt riss Susan sich los. Strathmore packte sie und presste ihren bebenden Körper an sich. »Schsch«, machte er beruhigend, »ruhig, ich bin's. Jetzt kann Ihnen nichts mehr
passieren.«
Susan zitterte wie Espenlaub. »Com ... mander«, stammelte sie desorientiert, »ich dachte, Sie wären da oben! Ich habe doch gehört...«
»Ganz ruhig«, flüsterte er. »Was Sie gehört haben, waren meine Schuhe. Ich habe sie hochgeworfen.«
Susan lachte und weinte zugleich. Der Commander hatte ihr soeben das Leben gerettet. Ein Gefühl unendlicher Erleichterung überkam sie – nicht ohne Beimischung von Schuldgefühlen. Hale hatte sie nur deshalb gegen Strathmore ausspielen können, weil sie so leichtsinnig gewesen war, sich fangen zu lassen, und jetzt war der Sicherheitsdienst im Anmarsch. Der Commander hatte für ihre Rettung einen ungeheuren Preis bezahlt. »Es tut mir ja so Leid«, sagte
sie.
»Was tut Ihnen Leid?«
»Ihr schöner Plan mit Diabolus ... damit ist es jetzt aus und vorbei.«
Strathmore schüttelte den Kopf. »Keineswegs!«
»Aber ... aber, was ist mit dem Sicherheitsdienst? Das Einsatzkommando wird jeden Moment hier sein! Uns bleibt keine Zeit
mehr, um ...«
»Susan, es kommt niemand vom Sicherheitsdienst. Wir haben Zeit, so viel wir wollen.«
Susan begriff nichts mehr. »Aber Sie haben doch die Einsatzzentrale angerufen ...«
»Ein uralter Trick!«, erwiderte Strathmore lachend. »Ich habe nur so getan.«
KAPITEL 83
Beckers Vespa war mit Abstand das kleinste Fahrzeug, das je die Landebahn des Flughafens von Sevilla hinuntergerast war. Bei seiner Höchstgeschwindigkeit von achtzig Kilometern klang das Vehikel eher nach einem Modellflugzeug als nach einem Motorrad, schien
aber gleichwohl jeden Moment abheben zu wollen.
Becker sah im Rückspiegel das Taxi vierhundert Meter zurück auf die dunkle Landebahn schießen. Der Wagen begann sofort aufzuholen. Becker schaute nach vorne. Ungefähr achthundert Meter voraus ragten die Hangars in den dunklen Nachthimmel. Ob das Taxi ihn vorher schon einholen konnte? Susan hätte seine Chancen im Handumdrehen ausrechnen können. Plötzlich saß Becker die Angst im