einem Raketenstart.
Auf dem Boden regte sich Hale. Er wurde langsam wieder lebendig und zuckte bei jedem Ton des Alarmhorns zusammen. Zu ihrer eigenen Überraschung griff Susan nach der Beretta. Als Hale die Augen öffnete, stand sie über ihm und hielt die Waffe auf seinen
Schritt gerichtet.
»Wo ist der Schlüssel?«, fuhr sie ihn an.
Hale schien sich nicht zurechtzufinden. »Wa .., was ist passiert?«
»Du hast dich verrechnet, das ist passiert! Also, wo ist der Schlüssel?«
Hale versuchte, den Arm zu bewegen. Als er merkte, dass er gefesselt war, wurde sein Gesicht starr vor Angst. »Mach mich los!«
»Erst will ich den Schlüssel!«
»Ich habe ihn doch nicht! Bitte, mach mich los!« Hale versuchte aufzustehen, konnte sich aber nur mühsam auf die Seite rollen.
»Du bist North Dakota, und Ensei Tankado hat dir seinen Schlüssel gegeben«, schrie Susan zwischen den Hornstößen. »Ich will
ihn augenblicklich haben!«
»Du spinnst!«, keuchte Hale. »Ich bin nicht North Dakota.« Er arbeitete gegen seine Fesseln an.
»Lüg mich nicht an!«, schrie Susan zornig. »Warum sind dann lauter E-Mails von North Dakota in deinem Account?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt!«, entgegnete Hale. »Ich habe Strathmore angezapft. Die E-Mails in meinem Account habe ich aus Strathmores Account kopiert! Das sind alles E-Mails, die COMINT
abgefangen hat.«
»Unsinn! In den Account des Commanders würdest du doch niemals hineinkommen!«
»Mein Gott, wie blind bist du eigentlich? Der Account von Strathmore war doch schon angezapft!«, schrie Hale. »Meiner Meinung nach kann das nur Leland Fontaine gemacht haben. Ich bin einfach nur Trittbrett gefahren. Nun glaub mir doch endlich! Auf diese Weise habe ich ja überhaupt erst von Strathmores Plan mit dem Hintertürchen Wind bekommen! Ich habe seine Brainstorm-Aufzeichnungen gelesen.«
Brainstorm-Aufzeichnungen? Susan wurde nachdenklich. Bei der Entwicklung seines Plans hatte Strathmore zweifelsohne die BrainStorm-Software benutzt. Wer in seinem Account geschnüffelt hatte,
konnte auch diese Informationen finden ...
»Diabolus umzuschreiben ist Wahnsinn!«, schrie Hale. »Du weißt genau, was das bedeutet – dann hat die NSA Zugriff auf alles!« Das Alarmgeheul übertönte Hale, aber er war wie besessen. »Glaubst du etwa, wir sind dieser Verantwortung gewachsen? Glaubst du etwa, irgendjemand ist einer solchen Verantwortung gewachsen? Wie kann man nur so kurzsichtig sein? Glaubst du denn, unsere Regierung hat nur das Wohl ihrer Bürger im Sinn? Und wenn schon, was ist, wenn sich das bei einer zukünftigen Regierung einmal ändert? Diese Technologie werden wir nie wieder los, die verfolgt uns bis ans Ende
unserer Tage!«
Susan hörte ihn kaum vor lauter Lärm.
Hale zerrte an seinen Fesseln. »Wie soll sich der Bürger gegen einen Polizeistaat wehren«, schrie er, »wenn der Mann an der Spitze auf allen Kanälen alles mithören kann? Wie soll man da Widerstand
leisten?«
Susan hatte dieses Argument schon oft gehört. Es gehörte zum Standardrepertoire der EFF.
»Jemand muss Strathmore in den Arm fallen«, schrie Hale, »und ich habe mir geschworen, dass ich derjenige bin. Deswegen habe ich den ganzen Tag hier gesessen und seinen Account beobachtet, damit ich den Moment nicht verpasse, wenn er den Austausch vornimmt. Ich wollte den ganzen Ablauf dokumentieren. Ich muss schließlich beweisen können, dass er Diabolus mit einem Hintertürchen versehen
hat! Nur deshalb habe ich seine ganzen E-Mails in meinen Account kopiert. Ich wollte mit diesen Informationen an die Öffentlichkeit gehen!«
Susans Herzschlag setzte einen Moment lang aus. Hatte sie richtig gehört? War das denkbar? Greg Hale wollte Strathmores Pläne gekannt haben, der Öffentlichkeit eine manipulierte Version von Diabolus unterzujubeln? Er wollte seelenruhig abwarten, bis alle Welt
das Programm benutzte, um dann seine Bombe platzen zu lassen?
Susan stellte sich die Schlagzeilen vor: US-REGIERUNG PLANT KONTROLLE DER GLOBALEN INFORMATION!
KRYPTOGRAPH GREG HALE (34) ENTHÜLLT GEHEIMPLAN !
War das eine Neuauflage von Skipjack? Wenn Greg Hale zum zweiten Mal mit Enthüllungen über ein Hintertürchen der NSA Furore machte, würde er berühmter werden, als er es sich in seinen kühnsten Träumen ausgemalt hatte. Und außerdem war es das Aus für die NSA. Susan sah sich auf einmal vor die Frage gestellt, ob Hale vielleicht
doch die Wahrheit sagte.
Nein, entschied sie, natürlich nicht!
Hales Plädoyer war noch nicht zu Ende. »Ich habe deinen Tracer abgebrochen, weil ich dachte, du wärst hinter mir her. Ich habe geglaubt, du hättest Lunte gerochen, dass Strathmore eine Wanze hat. Ich wollte verhindern, dass du das Leck findest und zu mir
zurückverfolgst!«
Das war zwar plausibel, aber unwahrscheinlich. »Und deshalb hast du Charturkian umgebracht?«, giftete Susan.
»Das war doch gar nicht ich!«, schrie Hale. »Strathmore hat ihn hinuntergestoßen! Ich habe den Kampf von unten beobachtet. Charturkian war drauf und dran, das Sys-Sec-Team zu rufen, und dann hätte Strathmore seinen schönen Plan mit dem Hintertürchen
vergessen können!«
Hale ist gar nicht schlecht, dachte Susan. Er hat für alles eine Erklärung.
»Mach mich los«, bettelte Hale. »Ich habe ehrlich nichts getan!«
»Nichts getan?«, schrie Susan. Warum braucht Strathmore eigentlich so lang? »Du und Tankado, ihr habt die NSA zu eurer Geisel gemacht! Jedenfalls bis zu dem Moment, an dem du ihn hintergangen hast. Sag mal, ist Tankado wirklich an einem Herzinfarkt gestorben, oder hat jemand von deinen Kumpanen ein bisschen nachgeholfen?«
»Wie kann man nur so vernagelt sein?«, schrie Hale. »Merkst du denn nicht, dass ich damit nichts zu tun haben kann? Mach mich los,
bevor der Sicherheitsdienst kommt!«
»Es kommt kein Sicherheitsdienst«, sagte Susan kalt.
Hale wurde blass. »Wie bitte?«
»Strathmore hat dich reingelegt. Er hat dir das Telefonat nur vorgespielt.«
Hale riss fassungslos die Augen auf. Er wirkte wie gelähmt, dann begann er, wie wild gegen seine Fesseln anzukämpfen. »Strathmore
wird mich umbringen! Er muss es einfach, ich weiß zu viel!« »Nun mach kein Theater, Greg.«
»Ich bin unschuldig!«, schrie Greg Hale.
»Du lügst doch«, sagte Susan, »und ich kann's auch beweisen!« Sie ging zu ihrem Terminal. »Du denkst, du hättest meinen Tracer gestoppt, aber ich habe ihn noch einmal losgeschickt. Dann lass uns
mal nachsehen, ob er inzwischen etwas gemeldet hat.«
Tatsächlich blinkte auf Susans Bildschirm ein Icon und meldete die Rückkehr der Tracerdaten. Sie nahm die Maus zur Hand und öffnete die Nachricht. Das wird Hale das Genick brechen, dachte sie. Hale ist North Dakota. Das Fenster mit der Meldung ging auf. Hale
ist ...
Die Meldung erschien. Susan hielt erstaunt inne. Das konnte nur ein Fehler sein. Der Tracer hatte eine völlig andere Person ausfindig gemacht. Es war dasselbe Ergebnis, das Strathmore bereits verworfen hatte, als er anfangs selbst den Tracer losgeschickt hatte. Sie hatte
geglaubt, Strathmore sei ein Fehler unterlaufen, aber jetzt wurde ihr klar, dass er den Tracer korrekt konfiguriert haben musste.
Wie auch immer, die Information auf dem Bildschirm war einfach
absurd:
NDAKOTA = ET@DOSHISHA.EDU
»ET?« , rief sie verdutzt aus. In ihrem Kopf ging es drunter und drüber. »Ensei Tankado soll North Dakota sein?«
Es war einfach unvorstellbar. Wenn diese Daten stimmten, waren Tankado und sein Partner ein und dieselbe Person. Susan konnte plötzlich nicht mehr klar denken. Wenn nur dieser Alarm aufhören würde! Warum schaltet Strathmore das verdammte Ding nicht endlich