wenn David Becker ihn bis jetzt nicht gefunden hatte ...
Susan übernahm die Initiative. »Ich werde jetzt dem TRANSLTR den Strom abstellen. Ich gehe runter in die Untermaschinerie und
unterbreche die Stromzufuhr.«
Strathmore sah sie kraftlos an. Er war ein gebrochener Mann.
»Lassen Sie mich das machen«, presste er hervor. Er stand auf, strauchelte aber bereits bei dem Versuch, den Schreibtischsessel hinter sich wegzuschieben.
Susan drückte ihn wieder in den Sitz. »Nein!«, sagte sie in einem Ton, der keine Widerrede duldete. »Ich gehe!«
Strathmore stützte wieder das Haupt in die Hände. »Also gut. Unterste Etage. Neben den Kühlmittelpumpen.«
Susan rannte zur Tür. Auf halbem Weg wandte sie sich noch
einmal um. »Commander«, rief sie Strathmore zu. »Die Sache ist noch nicht gelaufen. Noch sind wir nicht geschlagen! Wenn David
den Ring rechtzeitig findet, können wir die Datenbank retten!«
Strathmore antwortete nicht.
»Rufen Sie die Kollegen von der Datenbank an!«, rief ihm Susan zu. »Warnen Sie die Leute vor dem Virus. Sie sind der Vizedirektor
der NSA! Vergessen Sie nicht, Sie sind ein Überlebenskünstler!«
Strathmore hob in Zeitlupe den Kopf und nickte wie jemand, der die Entscheidung seines Lebens zu treffen hat.
Susan stürmte entschlossen ins Dunkle davon.
KAPITEL 87
Am Ende seiner Querfeldeinfahrt kurvte Becker auf die rechte Spur der Carretera de Huelva. Es war kurz vor der Morgendämmerung, aber auf dieser Autobahn war schon viel los – vor allem Fahrzeuge mit jungen Leuten, die im Morgengrauen von ihren nächtlichen Strandpartys nach Hause fuhren. Ein Lieferwagen voller Teenager rauschte hupend vorbei. Becker kam sich mit seiner
Vespa vor wie auf einem Kinderroller.
Einen knappen halben Kilometer weiter zurück schoss ein ramponiertes Taxi funkenstiebend auf die Fahrbahn. Es schnitt einen
Peugeot 504, dessen Fahrt im grasbewachsenen Mittelstreifen endete.
Becker knatterte an einer Entfernungstafel vorbei. SEVILLA
CENTRO – 2 km. Wenn er es schaffte, die unübersichtliche Innenstadt zu erreichen, hatte er eine Chance. Seine Tachonadel kletterte mühsam auf sechzig Stundenkilometer. Noch zwei Minuten bis zur Ausfahrt. Er wusste, dass ihm kaum so viel Zeit blieb. Das Taxi hinter ihm holte mächtig auf. Becker starrte nach vorne auf die langsam näher kommenden Lichter der Innenstadt. Er hoffte, sie noch
lebend zu erreichen.
Er hatte erst die halbe Strecke zur Ausfahrt zurückgelegt, als er hinter sich Blech über den Beton der Fahrbahn schrappen hörte. Er beugte sich noch tiefer über den Roller und riss das Gas bis zum Anschlag auf. Ein Schuss knallte, eine Kugel zischte vorbei. Becker fing an, im Zickzackkurs über die Fahrspuren zu schwenken, aber es nützte nichts. Als das Taxi bis auf wenige Wagenlängen aufgeholt hatte, waren es bis zur Ausfahrt immer noch gut dreihundert Meter. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, und der Killer hatte ihn entweder über den Haufen gefahren oder mit einer Kugel erledigt. Becker hielt nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau, doch rechts und links der Autobahn stiegen steile Kiesböschungen auf. Wieder knallte
ein Schuss.
Ohne lange zu überlegen, legte sich Becker mit quietschenden Reifen und funkensprühenden Fußrasten in eine scharfe Rechtskurve und schwenkte von der Autobahn herunter. In einer vom durchdrehenden Hinterrad herausgeschleuderten Fontäne aus Kies und Staub arbeitete sich der immer wieder ausbrechende Roller die Böschung hinauf. Becker hatte alle Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Der überlastete kleine Motor heulte jämmerlich. Becker konnte nur hoffen, dass er ihn nicht abwürgte. Er wagte nicht, sich umzuschauen. Jeden Moment konnten Reifen quietschen und ein
Kugelhagel gepfiffen kommen.
Es pfiffen aber keine Kugeln. Becker pflügte über die Krone der Böschung und sah das Zentrum vor sich liegen. Wie ein leuchtender Sternenteppich breiteten sich die Lichter der Innenstadt vor ihm aus. Er schlängelte sich durch ein paar Sträucher und holperte über den Bordstein auf die Avenida Luis Montoto. Die Vespa kam ihm auf einmal sehr schnell vor. Die Straße raste unter seinen Reifen nur so dahin. Zu seiner Linken flog das Fußballstadion vorbei. Er hatte es
geschafft.
Da hörte er wieder das ekelhafte Geräusch von über den Asphalt schrappendem Blech. Er reckte den Kopf. Hundert Meter vor ihm kam das Taxi die Ausfahrt hochgeschossen, schleuderte auf die Straße
hinaus und raste direkt auf ihn zu.
Becker wunderte sich über seine ausbleibende Panik. Er wusste genau, wohin er sich zu wenden hatte. Er bog nach rechts in den
Parque Menéndez Palayo ein und gab Gas. Der Roller fegte durch einen kleinen Park und hinein in den kopfsteingepflasterten Schlauch der Calle Mateus Gago – eine enge Einbahnstraße, die zum Torbogen
des Stadtviertels Santa Cruz hinaufführte.
Nur noch ein kleines Stück, dachte er.
Das Taxi blieb an ihm dran und kam sogar näher. An dem engen Torbogen am Eingang von Santa Cruz fuhr es sich die beiden
Rückspiegel ab, aber Becker wusste, dass er gewonnen hatte. Santa Cruz war das älteste Viertel von Sevilla. Hier gab es keine Fahrstraßen, nur das alte Gassengewirr aus römischer Zeit – für Autos viel zu schmal. In dieser engen Höhlenwelt, wo nur Fußgänger und gelegentlich einmal ein knatterndes Moped verkehrten, hatte sich
Becker vormals hoffnungslos verlaufen.
Als er das letzte Stück der Calle Mateus Gago hinaufraste, wuchs vor ihm wie ein Berg die aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammende spätgotische Kathedrale von Sevilla empor. Direkt daneben stieß der Giralda-Turm dreiundneunzig Meter in den Morgenhimmel. Das war das Viertel Santa Cruz, Standort der zweitgrößten Kathedrale der Welt und zugleich Heimat der ältesten
und frömmsten katholischen Familien von Sevilla.
Becker sauste über den Platz. Ein Schuss bellte, aber zu spät. Becker und sein Roller waren schon in einem winzigen Durchgang
verschwunden, der Calle de la Virgen.
KAPITEL 88
Im Scheinwerferlicht von Beckers Vespa wischten harte Schlagschatten über die Mauern der engen Gassen. In stetem Kampf mit der Gangschaltung knatterte Becker zwischen den weiß getünchten Häusern dahin und verhalf den Bewohnern von Santa Cruz
an diesem Sonntagmorgen zu einem besonders frühen Weckruf.
Seit seiner Flucht vom Flughafen waren noch nicht einmal dreißig Minuten vergangen, in denen er pausenlos in Bewegung gewesen war. In seinem Kopf schwirrten die Fragen. Wer will dich umbringen? Was ist an diesem Ring so Besonderes? Wo ist der NSA-Jet hingekommen? Die ermordete Megan in der Toilettenzelle kam ihm in den Sinn. Der
Gedanke bereitete ihm Übelkeit.
Becker hatte einfach quer durch das Altstadtviertel brausen wollen, bis er auf der anderen Seite wieder herauskam, aber Santa Cruz war ein Gassenlabyrinth voller Scheindurchgänge und Sackgassen. Es dauerte nicht lang, und er wusste nicht mehr, wo er war. Er verdrehte den Hals, um sich am Turm der Giralda zu orientieren, aber die hohen Mauern standen so eng, dass er oben nur durch einen schmalen Spalt
die aufziehende Morgendämmerung erkennen konnte.
Mühsam manövrierte Becker die Vespa um die engen Kurven. Das Geknatter des Zweitakters hallte durch die engen Gassen. Becker gab sich nicht der Illusion hin, sein Verfolger hätte aufgegeben, aber wo
war der Mann mit der Nickelbrille abgeblieben? Er musste inzwischen zu Fuß hinter ihm her sein. In der Stille von Santa Cruz war Becker leicht zu lokalisieren. Sein einziger Vorteil war die Geschwindigkeit. Du musst dich zur anderen Seite durchschlagen!
Nach vielerlei Kehren und kurzen Geraden schleuderte Becker auf ein Plätzchen hinaus, von dem drei Gassen abgingen. Es hieß Esquina de los Reyes. Becker saß in der Tinte – hier war er schon einmal gewesen. Den im Leerlauf stotternden Roller zwischen den Beinen, stand er da und versuchte, sich über die einzuschlagende Richtung schlüssig zu werden. Plötzlich spuckte der Motor und starb ab. Der