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Benzinanzeiger stand auf VACIO Prompt erschien am Ende der nach links führenden Gasse ein Schatten.

Das menschliche Gehirn ist der schnellste Computer, den es gibt. Im Bruchteil einer Sekunde registrierte Beckers Gehirn die Gestalt des Mannes, verglich sie mit dem in der Erinnerung gespeicherten Bild, meldete Gefahr und forderte eine Entscheidung. Sie kam postwendend. Becker ließ den Roller fallen und rannte Hals über Kopf

davon.

Zu Beckers Pech befand sich Hulohot jetzt auf festem Boden und nicht in einem schleudernden Taxi. Der Mörder hob seelenruhig die

Waffe und schoss.

Becker flitzte um die Ecke in Deckung. Die Kugel erwischte ihn gerade noch an der Seite. Erst fünf oder sechs Sätze weiter spürte er, dass er oberhalb der Hüfte an der Seite getroffen worden war. Anfangs war es ein Gefühl wie eine Muskelzerrung, das schnell in ein warmes Vibrieren umschlug. Becker sah das Blut und wusste Bescheid. Er fühlte keinen Schmerz, er kannte nur eines –

weiterrennen durch das verwinkelte Gassengewirr von Santa Cruz.

Hulohot hatte sich an sein Opfer gehängt. Er war kurzzeitig versucht gewesen, Becker in den Kopf zu schießen, aber als Profi ließ

er sich auf kein unnötiges Risiko ein. Becker war ein bewegtes Ziel. Bei einem Schuss auf die mittlere Partie des Opfers war der horizontale und vertikale Streubereich für einen Treffer weitaus größer. Die Risikobegrenzung hatte sich gelohnt. Das Ziel hatte sich im allerletzten Moment bewegt. Anstatt den Kopf des Opfers zu verfehlen, hatte Hulohot die Seite getroffen. Es war nur ein relativ harmloser Streifschuss, aber der Zweck war erfüllt. Der Kontakt war hergestellt. Das Opfer war markiert, der Tod hatte es gezeichnet. Ein völlig neues Spiel begann.

Becker stürmte voran, lief um Kurven, wechselte die Richtung, mied die geraden Gassen. Hinter ihm hallten die gnadenlosen Schritte

des Verfolgers. Beckers Hirn war völlig leer. Wo er war, wer ihn verfolgte - es spielte keine Rolle. Es gab nur noch den Instinkt und den Selbsterhaltungstrieb, keinen Schmerz, nur noch die aus der

Angst geborene rohe Energie der Überlebensreaktion.

Ein Schuss ließ eine Azulejo-Wandfliese in tausend Stücke zerplatzen. Ein Splitterregen prasselte in Beckers Nacken. Er warf sich in eine nach links abgehende Gasse. Inzwischen tat ihm die Seite weh. Er hatte Angst, an den weiß getünchten Wänden eine Blutspur zu hinterlassen. Er spähte nach einer offenen Tür, einem unverschlossenen Tor, einem Fluchtweg aus den erstickenden

Häuserschluchten.

Nichts. Die Gasse wurde noch enger.

»jSocorro!« Beckers Ruf verhallte ungehört. »Hilfe!«

Rechts und links traten die Wände näher heran. Eine Kurve. Becker hielt Ausschau nach einer Kreuzung, einer Seitengasse. Die Gasse verengte sich noch mehr. Verschlossene Tore. Noch enger. Verschlossene Türen. Die Schritte kamen näher. Die Gasse streckte sich, stieg plötzlich an, wurde steiler. Becker spürte die Anstrengung

in seinen Beinen. Er wurde langsamer.

Und dann ging es nicht mehr weiter.

Die Gasse hörte einfach auf - wie wenn beim Bau einer Autobahn das Geld ausgeht. Eine hohe Wand, davor eine hölzerne Bank, sonst nichts. Es gab kein Weiterkommen. Drei Stockwerke senkrecht über sich sah Becker die Dachtraufe. Er fuhr herum, wollte die lange Gasse zurückrennen. Nach ein paar Schritten blieb er wie angewurzelt stehen.

Am Fuß der Steigung war eine Gestalt aufgetaucht. Der Mann kam in gemessener Entschlossenheit auf Becker zu. Eine Pistole

schimmerte im Morgenlicht in seiner Hand.

Während Becker sich wieder zur Wand zurückzog, überkam ihn eine plötzliche Klarheit. Mit einem Mal wurde ihm seine schmerzende Seite bewusst. Er berührte die Wunde. Als er hinuntersah, waren seine linke Hand und der Finger mit Ensei Tankados goldenem Ring blutverschmiert. Er hatte ganz vergessen, dass er den Ring angesteckt hatte und weshalb er in Sevilla war. Verwundert betrachtete er das eingravierte Schriftband. Hatte Megan deshalb sterben müssen? Musste er deshalb sterben? Er sah auf und blickte der näher

kommenden Gestalt entgegen.

Wie ein Schatten kam sie die Gasse herauf. Becker sah ringsum nur Mauern, und hinter ihm ging es nicht mehr weiter. Ein paar vergitterte Hauseingänge lagen noch zwischen ihm und seinem

Mörder. Für Hilferufe war es zu spät.

Becker presste den Rücken gegen das tote Ende der Gasse. Er konnte plötzlich jede Unebenheit im Putz der Mauer, jedes Sandkorn unter den Sohlen spüren. Seine Erinnerung raste zurück in seine

Kindheit, zu seinen Eltern ... zu Susan.

Oh Gott ... Susan.

Zum ersten Mal seit seiner Kindheit begann Becker zu beten. Er betete nicht um die Erlösung vom Tod, denn an Wunder glaubte er nicht. Er betete, die Frau, die er hinterließ, möge die Kraft haben, ohne den Schatten eines Zweifels daran zu glauben, dass er sie geliebt hatte. Er schloss die Augen. Die Erinnerungen schlugen über ihm zusammen wie eine Sturmflut. Es waren keine Erinnerungen an

Verwaltungskram, Fachschaftsitzungen und all das, was neunzig Prozent seines Lebens ausmachte. Es waren Erinnerungen an Susan, an einfache Dinge – wie er ihr gezeigt hatte, mit Stäbchen zu essen, eine Segeltörn an Cape Cod. Ich liebe dich, dachte er. Das musst du

wissen ... für immer und ewig.

Jede Fassade, jedes unreife Gehabe seines Lebens war von ihm abgefallen. In der Sterblichkeit seines Fleisches stand er nackt vor dem Antlitz Gottes. Mit geschlossenen Augen erwartete er den näher kommenden Mörder mit der Nickelbrille. Irgendwo in der Nähe begann Glockengeläut. In seiner selbst gewählten Dunkelheit wartete

Becker auf den Knall, der seinem Leben ein Ende setzen würde.

KAPITEL 89

Die Morgensonne schob sich über die Dächer von Sevilla und schien hinab in die Häuserschluchten. Die Glocken der Giralda riefen zur Frühmesse. Das ganze Altstadtviertel hatte diesem Augenblick in stiller Erwartung entgegengefiebert. Die Türen flogen auf. Überall im alten Santa Cruz strebten die Familien auf die Gassen. Wie frisches Blut in den Adern des alten Barrio strömten sie dem Herzen ihres Pueblo entgegen, dem Kern ihrer Geschichte, ihrer Kathedrale, ihrem

Schrein, ihrem Gott.

Irgendwo in Beckers Gehirn klangen Glocken. Bist du schon tot? Fast mit Bedauern öffnete er die Augen und blinzelte in die ersten Sonnenstrahlen. Er senkte den Blick und hielt Ausschau nach seinem Mörder. Der Mann mit der Nickelbrille war nicht zu sehen, dafür aber zahllose spanische Familien im Sonntagsstaat, die die versperrten Pforten aufstießen und lachend und schwatzend auf die Gasse

heraustraten.

Hulohot stand am Anfang der Gasse und fluchte. Zuerst hatte er noch geglaubt, das einzelne Paar, das zwischen ihm und seinem Ziel aufgetaucht war, würde sich wieder trollen, aber der Klang der Glocken, der durch die Gasse schallte, rief immer mehr Menschen aus den Häusern. Ein weiteres Paar gesellte sich dazu, mit Kindern. Noch eine Gruppe erschien. Man begrüßte sich, küsste sich dreimal auf die Wange, unterhielt sich. Hulohot verlor sein Ziel aus den Augen.

Wütend drängte er sich in die schnell anschwellende Menge. Er musste zu. David Becker vordringen!

Er versuchte, sich zum Ende der Gasse vorzuarbeiten. Schnell steckte er in einem Meer von Leibern fest, zwischen schwarzen Jacketts und Krawatten, schwarzen Kleidern und über bucklige alte Frauen gebreiteten Mantillas aus Spitze. Die schwarz gekleidete Menge wogte ihm entgegen und schien ihn nicht wahrzunehmen. Verbissen kämpfte Hulohot sich durch. Mit erhobener Waffe stürmte er in das tote Ende der Gasse. Ein gepresster, kaum menschlicher

Schrei entrang sich seinem Mund.

David Becker war fort.

Stolpernd und unter ständigem Ausweichen bewegte sich Becker durch die Menge. Immer den Leuten nach, dachte er, sie wissen, wie man hier herauskommt. Unten an der Kreuzung schwenkte er mit der Menge nach rechts. Die Gassen wurden breiter. Allenthalben schwangen die Türen auf, Menschen strömten heraus. Das