«Weil wir uns sehr ähneln, natürlich, und weil ich also ganz dasselbe tun würde, wenn ich nicht glücklicherweise lieber Kunst machen würde als… ihgitt… Politik.«
8. Das gute Leben
Soweit es Ryu von Schnaub-Villalila betraf, machte er das Beste draus und kaufte sich schließlich sogar eine lila Villa, das heißt, sie war erst weiß, dann ließ er sie anmalen, um ganz Hamburg-Blankenese damit zu ärgern, was ihm mühelos gelang.
Alles geschah nach Plan: Er war aus seiner alten Firma ausgeschieden. Nach einer Weile mochte ein Wirtschaftsprüfer, der sich die Verflechtungen besah, die Ryu für den Löwen flocht und wieder auflöste, je nach Fortschritt des großen Werks, gar annehmen, daß inzwischen der Löwe und sein Biopharmaunternehmen für Ryu schufteten statt umgekehrt — dafür nämlich, daß Ryu den ganzen Tag Schöngeistiges und Grundlagenforscherisches begutachten, koordinieren, finanzieren durfte.
Der Herr als Knecht des Knechts — darüber sollten sich andere die Köpfe zerbrechen, Wirtschaftsprüfer und Marxisten, Ryu aber sagte sich:»Wirklich, ich mach das Beste draus«, manchmal sogar beim Rasieren, morgens, und der andere Ryu im Spiegel war seiner Meinung.
Die Geldvernunft, in deren Parametern der Finanzier agierte, schien ihm die vernünftigste Vernunft, die im Diesseits zu haben war. Das Schönste fand er, daß er allmählich ein sehr freies, sehr fungibles Verhältnis zur eigenen Identität bekam und sich nicht mal mehr besonders dran störte, daß selbst seine rund um den Erdball verteilten Leidenschaften (mit Teresa in Santiago, mit Ellen May in Kapstadt, mit Miss Emma Frost (delectable!) im Hellfire Club von Westchester oder dem engelhaften Umberto in Mailand, der ihm danach, während der Mond seinen höchsten Punkt erreichte, auf dem Balkon stundenlang aus D'Annunzio vorlas, und Ryu verstand kein Wort) der Differenzierung von Person und Besitz gehorchen mußten, weil er eben» vermögend «war und immer vermögender wurde, als Katalysator einer großen Weltveränderung, die er bei sich» die Beseitigung der Langeweile und die Überwindung des Menschen «zu nennen begonnen hatte.
Ihm gehörte, was geschah, er besaß es, indem er es vollbrachte, aber er war es gar nicht, es gab ihn immer weniger, und er las im Privatjet Georg Simmeclass="underline" »Der Besitz, der nicht irgend ein Tun ist, ist eine bloße Abstraktion: Der Besitz als der Indifferenzpunkt zwischen der Bewegung, die zu ihm hin, und der Bewegung, die über ihn fortführt, schrumpft auf Null zusammen; jener ruhende Eigentumsbegriff ist nichts als das in latenten Zustand übergeführte aktive Genießen oder Behandeln des Objektes und die Garantie dafür, daß man es jederzeit genießen oder etwas mit ihm tun kann. «Ryu umspielte, umspülte die Dinge, statt sie zu greifen, er verflüssigte sich, und das gefiel ihm und machte ihm angst. Er war nicht zu fassen, er war sich und allen andern entwischt.
Sein Funktelefon dudelte. Er ging ran.
Es war die Komponistin:»Hallo, Ryu. Ich wollte dir was sagen, was mir grad eingefallen ist. «Um mich zu ärgern, dachte er. Um mich zu foltern. Denn inzwischen kannte er sie gut.
Sie lebte jetzt auf einer pazifischen Insel, wo sie, wie sie sagte,»besser arbeiten «konnte — der Löwe hatte ihr das Eiland gekauft. Der Bau, den sie dort bewohnte, entsprach in lächerlich genauer Detailtreue dem Vorbild eines ähnlichen, den sich ein Schriftsteller einst anderswo hatte bauen lassen, den sie bewunderte, Curzio Malaparte. Er sah sie vor sich, jetzt, wie sie dort auf dem Balkon lag, sich räkelte, aalte, umgeben wohl von jungen Mädchen, die sie an der amerikanischen Ostküste aufzulesen pflegte, in exklusiven Clubs, und nach zwei Wochen reich beschenkt und tief gedemütigt nach Hause schickte, please never darken my step again, baby.
«Was willst du?«
«Ich dachte bloß, wegen der Tiere, die wir werden.«
Jetzt würde sie bestimmt gleich irgendeine ganz unfaßbare Unverschämtheit abfeuern: wie er im Grunde doch ein Versuchsäffchen mit Elektrodenklammern im Hirn sei, dessen Lustzentrum auf eigenes Betreiben so lange gereizt wurde, bis das Tier elend Hungers starb und es nicht einmal bemerkte. Vielleicht hat sie sogar, dachte Ryu, wie üblich bei Gesprächen mit der Künstlerin in eine unerklärlich dickflüssige Stimmung abgleitend, ein gewisses Recht, so mit mir zu reden, denn im Gegensatz zu Frau Späth, die ihr augenblickliches Luxusleben nur zu führen imstande ist, weil sie ihre, na, wie sagt man, Seele dem Löwen verkauft hat, hätte ich die freie Wahl gehabt, oder doch die verhältnismäßig freiere, denn ich wurde ja, wie man so sagt, mit einem Silberlöffel im Mund geboren, alter Geldadel, immer steinreich gewesen, werd es bleiben, egal, was passiert.
Aber die Komponistin überraschte ihn:»Ich hab mir gedacht, du könntest doch ein Fuchs sein, nach dieser Revolution oder was er da vorhat.«
Die siebzehn Bildschirme an der gewölbten Wand zeigten eine Welt, die sich würde beherrschen müssen, nicht auseinanderzufallen, um» dieser Revolution oder was er da vorhat«überhaupt noch Gefäß und Schauplatz sein zu können. Ryu wußte vom Bevorstehenden mehr als die meisten, und was er um sich sammelte, kontrastierte gar nicht schön mit dem, was insgesamt an Mangel da war, stündlich erzeugt wurde — soweit es mich betrifft, dachte er, weiß ich viel zu gut, was uns bevorsteht: der Golf von Persien, das kaspische Becken, das Südchinesische Meer, das Nilbecken, die Wasserkriege um den Jordan, den Tigris, Euphrat und Indus, die zunehmenden bewaffneten Auseinandersetzungen um Mineralien und Holz… Wir werden einander ums Nötigste und Einfachste abschlachten; wir werden einander rauben, was wir gemeinsam fördern, technisch aufbereiten, bewahren, durch gleichberechtigte Bevölkerungspolitik vernünftig nutzen könnten.
«Ein Fuchs«, sagte er.
«Ja, du solltest ein Fuchs werden. Das Buschige, das wird dir stehen, glaub's mir.«
Was sie bei diesem Getändel verschwieg und was Ryu sowenig ahnte wie der Löwe, war, daß solche Unterhaltungen, die von seiten der Komponistin scheinbar immer ganz voraussetzungslos und ein bißchen zerstreut initiiert wurden, in Wirklichkeit dem vorsichtigen Abgleich dienten, der strategischen Überprüfung, ob der Tauschhandel noch in Kraft war, denn Cordula Späth wußte genau, daß sie über den Tisch gezogen wurde, mit ihrer vollen Einwilligung allerdings: Unsterblichkeit und alle anderen gimcracks und gadgets, die man ihr zum Luxus überließ, wogen in tausend Jahren nicht auf, was sie ins Projekt investierte.
«Ein Fuchs, hübsch. Und du?«Er hatte nicht vor, jemals einen der Bälle zu fangen, die sie ihm herüberwarf; alles mußte sofort zurückgespielt werden.
«Ich?«
«Ja. Was wirst du? Eine Eule, eine Ratte, ein Haifisch?«Er fand sich geistreich, das war seine Achillesferse und würde es noch durch die nächsten anderthalb Jahrtausende bleiben.