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Schon war sie verschwunden.

Feuer sagte:»Was hat sie gemeint, wir sind… so viele?«

3. So viele

Viele Jahre blieben Padmasambhava und Feuer zusammen.

Es dauerte nicht lang, bis sie wußten, was die Kustosstimme gemeint hatte: Sie fanden in Bruder und Schwester den Wolf und den Dachs, den Zander und den Affen, immer dicht unter der Oberfläche der Inferenzen, oder in kleinen Gesten und Spuren alter Sprachen, und schließlich nahmen sie, aus den Nahrungsmitteln der alten Welt und den Düften, die Stoffe auf, die benötigt wurden, um auch die Körper zu verwandeln — nicht zu sehr, es wurde nie etwas anderes daraus als das geflügelte rote Reptil und das Mädchen mit den langen Armen und Beinen, aber ein bißchen Fell hier und da, andere Ohren, bessere Sicht, schnellere Zungen stellten sich ein und verschwanden wieder, zusammen mit Erinnerungen:»Hier war die Tepperebene. In deiner kurzen Urlaubszeit damals bist du hier gestanden und hast dich gefragt, ob du je glücklicher warst als im Dienst des Löwen.«»Ja, ich erinnere mich. Und dann habe ich dich in der Höhle getroffen, bei der Arbeit an den ersten Speichern für die großen Setzlingshabitate. Danach bin ich weiter in die Stadt, und dort warst du Lasara.«»Und damit deine Tochter, denn du warst nicht nur der Wolf, sondern auch der König, spürst du das? Ich hör's, wenn du laut lachst.«

Am Ende wurde es schwer, die Vielstimmigkeit zu ertragen, die Geschichte, die sie ausleben sollten, und da trennten sie sich,»für eine Weile wenigstens«, sagte Padmasambhava.

Feuer erforschte die Ökotekturen und verliebte sich allmählich in die Werke der Keramikaner: Fein, fast schamhaft waren die Verbesserungen, die sie der Biotik zugemutet hatten — Mutationen an bestimmten Blüten, die wie schon bei den Sondergeburten im Petunien- und Löwenmäulchenreich die Grundordnung der Organe anders arrangiert hatten, um damit wiederum die Bienen zu verändertem Verhalten, neuen Sorten von kollektiver Intelligenz anzuhalten; Sicherungen gegen den Quecksilberausstoß bei brennenden Regenwaldhölzern durch Veränderung der Chemie der Bäume — siebzig Prozent der ausgedehnten Wälder auf der Erde hatten jetzt Regenwaldcharakter; neue Sorten von Muschelschalen, Seeigelstacheln, Kalkskeletten; Zähne bei Tieren aus holzhaltigem Material; überhaupt Hybride zwischen Tier und Pflanze, Tier und Mensch — sie fand Zentauren in den Steppen ums versunkene Borbruck, und Schmetterlinge mit Menschengesichtern; wilder Weizen, der sich nicht mehr nur in Erde, sondern sogar in Felsen bohren und dort überleben, sogar gedeihen konnte.

Padmasambhava untersuchte unterdessen Flüssigkeiten — sammelte Regen in Blättern, schnitt in Pflanzen, ließ Tiere bluten und stellte allen dieselbe Frage, die nicht beantwortet wurde, bis eines Morgens, als er aus wüsten Träumen zu sich kam, auf einer Lichtung im tiefsten Tannholz das Mundstück des Kustosprogamms wieder vor ihm stand, spektral fahl, eine Mahnung in Frauengestalt:»Such nicht mehr, Padmasambhava. Er ist nicht hier — wir hatten ein Abkommen. Wir wollten es, auch wenn er lange unsere versteckte Liaison bei den Gente war, ohne den Fuchs versuchen. Er fügte sich und organisierte den Exodus, zusammen mit Lasara.«

«Aber Spuren von Lasara, die sind überall — warum nicht Spuren von ihm?«

«Wir haben die Zeit angehalten, und Zeit ist Geld, deshalb bleibt Ryuneke aus unserem Rayon verbannt.«

Padmasambhava blieb nichts anderes übrig, als das zu glauben; aber da er in der langen Sehnsuchtsspanne der Trennung von Fiamettina nichts Befriedigenderes gelernt hatte als eben das Suchen, machte er sich nun auf die Suche nach ihr.

Sie aber war es, die ihn fand, und beide freuten sich.

«Wir werden wieder älter, hast du das gemerkt?«fragte die Schwester.»Langsam, sehr langsam, aber der Prozeß ist…«

«Ich nehme an, sie erlauben das aus Gründen. Die Kustoswesen. Damit wir ein Maß bekommen, für den Eigenzeitablauf.«

Gemeinsam reisten sie an Orte, die sie zuvor allein erkundet hatten; meistens zu Fuß, da sie nie in Eile waren.

Ganz selten erlaubten sie sich kleinste Sprünge in der Musik, nie zeitförmig (vor einer Berührung mit den Bändern hatten sie Angst), immer nur im Raum.

Zu ihrer Erleichterung stellten sie fest, daß sie sich jetzt besser miteinander verstanden als in den ersten gemeinsamen Jahren.»Es war wahrscheinlich«, spekulierte Fiamettina eines Abends am Lagerfeuer im Hochgebirge, am Ufer eines klaren, spiegelglatten Sees,»die Absicht unserer Eltern, daß wir…«,»… der Mutter wohl eher, die war«, nickte Padmasambhava,»immer sehr gut in Absichten. Er… hat sich eher treiben lassen«, und Feuer stimmte zu, nach allem, was sie in sich von den beiden wußte.»Ja. Nun, sie dachte wohl, der Geschlechterwechsel mit Eintritt in die… Reifezeit würde uns das Einanderkennenlernen, Einanderverstehen erleichtern, aber so simpel geht das halt doch nicht. Man kann nicht einfach Mann oder Frau werden, wenn man vorher das andere war, und dann auch noch gleich verstehen, was man ist. Was eine Person tut, ist, was sie ist — wir mußten so leben, eine Weile, bevor wir wurden, was wir waren.«

«Yeah«, sagte Padma vage, aber liebevoll, ein hohes Wort in der klassischen Sprache.

Dann küßte sie ihn, damit er sich nicht so anstellte, nur wegen dem bißchen Offenbarung.

Manchmal beobachteten sie Keramikaner der letzten, sechzigmillionsten Generation, manchmal wurden sie von denen beobachtet. Ein lebendiges Totem der Vergangenheit aber, so eins wie der Schwan bei ihrer Ankunft, tauchte nie wieder auf.

Die Comtesse war wohl einzig.

4. Planetarische Abstraktion

Nichts hätte sie darauf vorbereiten können, keine Simulation, keine gefilmte Erinnerung, keine Geruchskonserve, keine Lektion im Innern des Walbauchs, keine Hilfe vom Klappstuhldachs Zagreus oder der Puppe Sankt Oswald: was der Ozean war, wie sich das ausnahm, dieses Meer, vorn fernhin in Weiten, Urmedium des Lebendigen, Mutter, gewaltige planetarische Abstraktion.

«Genug Wasser, um vom Anblick blind zu werden«, fand Padmasambhava.»Genug, um reinzuspringen und drin rumzuschwimmen«, widersprach Feuer, und das war ein so praktischer Vorschlag, daß der Venusjunge sich ergab. Sie faßte seine Hand und zog ihn, bis sie rannten, bis sie sich in die Wellen werfen konnten, unter einem Himmel, der dank dem Spiegel der See darunter noch viel größer geworden war, ins Blaue und Grüne.

5. Biberauge

Eines Morgens, weit landeinwärts, Padmasambhava schlief noch, wusch sich Feuer im eisig klaren Strom zwischen großen Pilzen, als plötzlich zahlreiche Soldaten mit Gewehren den Fluß überquerten, keine zehn Meter weit von da, wo Feuer stand. Alle folgten lauten, rauhen Befehlsrufen, manche strauchelnd, andere wild entschlossen, viele verwundet, alle gehetzt — ein, zwei Dutzend, die, sobald sie das andere Ufer erreichten, sämtlich wieder im Gewesenen verschwanden.

Feuer war, als der Lärm begann, hinter einem glitschig grauen Stein in Deckung gegangen, jetzt, als sie den Kopf wieder zu heben wagte, erschrak sie über ein Pelztier, das auf der andern Seite des Steins genauso abwartend wie eben noch sie selbst verharrte.

Es hob den Kopf, es sah sie an — in seinen Augen war, wie ging das zu, ein Zeichen von Erkennen, Schrift? Pictoglyphen, Intelligenz, der prometheische Funke? Das Tier zog den Mund schief, als wollte es verlegen grinsen. Feuer sah es an und sagte:»Sie haben sich geirrt, was? Die Keramikaner. Sie irren sich. Es ist alles viel komplizierter.«

Der Biber zuckte mit den Schultern, wie ein Mensch das getan hätte, glitt ins Wasser und schwamm davon.

Zurück am Lager fragte Padmasambhava, was Feuer denn Unheimliches begegnet war,»du hast ja eine Gänsehaut«.