Als ihr Ruhm nicht mehr steigerungsfähig schien, ließ Lasara ihren zahlreichen Bewunderern in allen einschlägigen Programmen der Schwingspiegel, Schirme, Blätter, Datenschaumkronen und Pherinfoplexe ausrichten, sie habe sich» im Beobachterparadox verfangen: Wir können nicht sehen, wie Gente sich aufführen, die von niemandem gesehen werden, und deshalb lege ich jetzt meine Namen eine Weile ab, auch mein Gesicht, das ihr alle dauernd küssen oder ficken wollt, und suche mir eine neue leibliche Konfiguration. Es ist nötig geworden, daß ich mir eine Weile selber aus dem Weg gehe.«
«Sie macht's, wie's ihre Mutter gemacht hat«, dachten und sagten viele.
7. Ob man der Tochter trauen sollte
Zwischen dem siebzehnten und dem achtzehnten Esprit-Fest, das Hébert Loskauf als besonders geehrter Gast der Hunde, der Katzen und ihrer gemeinsamen Ziehkinder in Borbruck verlebte, hatte das Laufschwein eine folgenreiche Begegnung: Die Libelle Philomena sprach bei ihm vor. Sie überbrachte eine Warnung des Löwen:»Livienda kann machen, was sie will, mit ihrem Vermögen und auch sonst. Aber das Unternehmen könnte sich als ein riesiger Mühlstein um ihren Hals herausstellten — der Reifen, den sie den Fischen gebaut hat, ist am Ende einer, durch den sie selbst springen muß, wie ein dressierter Pudel.«
Hébert Loskauf gab sich unbeeindruckt:»Ob ich dieses Zeug überhaupt weiterleiten will, weiß ich nicht. Das Motiv für die Drohung scheint mir allzu durchsichtig.«
«Drohung?«
«Er hält ihr vor, daß sie ihr Vermögen, auf das er keinen Zugriff mehr beanspruchen darf, zum Fenster hinauswirft, weil sie damit eine Aufgabe in Angriff genommen hat, vor der er sich seit Ewigkeiten drückt. Die Gente, Frau Libelle, fangen schon an, sich zu fragen: Warum muß eigentlich eine zurückgetretene Ministerin aus eigener Tasche finanzieren, was Aufgabe des Staates wäre? Er droht ihr, das Projekt zu sabotieren, damit sie es bleibenläßt.«
Philomena, deren Gesicht zu klein war, als daß sie Launen darauf hätte erkennen lassen können, erwiderte lässig:»Nun hab dich mal nicht so, kleines Schweinchen. Wenn seine Gründe, ihr zu größerer… Sparsamkeit zu raten, auch durchaus von der Art sein können, die du andeutest, so verdient seine… Mahnung doch, ernstlich erwogen zu werden. Ich nehme schließlich nicht an, daß Madame Livienda so ganz und gar abgeschnitten von den Nachrichten mit ihrer Krone raschelt, daß sie keine Kenntnis davon hat, was man über die Versuche der Fische in… ihrer Heimat behauptet?«
«Wessen Heimat? Liviendas?«Hébert war auf der Hut: Die Libelle versuchte ganz offensichtlich, ihn auszuhorchen.
«Ich meine, und du weißt sehr gut, daß ich das meine, das, was im Meer geschieht. In den… Tiefen und Untiefen, den Schlünden und… Schründen.«
Hébert zog das Schnäuzchen schief:»Die wilden Märchen von der Hasardeursphysik? Daß sie dort, unter Hochdruck, an Methoden gegen die Schwerkraft arbeiten und ihre Physiologie stärker verändern als die andern Gente je? Daß ihre Arbeit im Torus für sie nur ein Weg ist, uns Landbewohnern ihre Rechtsvorstellungen einzutrichtern, weil sie uns langfristig zu beherrschen vorhaben? Daß sie fliegen wollen und daß sie ihre Körper für die Eroberung der Luft, später des erdnahen, in noch fernerer Zukunft gar des interplanetarischen und schließlich des interstellaren Leerraums umrüsten?«
«Es ist alles… belegbar. Es gibt Bilder, Filme, Messungen. Subozeanische Beschleuniger von… Kontinentalplattenausmaßen, alteriertes Cavorit, Tanks voller entartetem Fermionengas, aus denen sie… Fahrzeuge bauen, die unsern trägen… Luftschiffen bald die Manövrierräume streitig machen werden.«
«Geschichten. Geschwätz von pressierlichen Dachsen, die nicht genug Feinde haben und gern mal wieder einen Krieg vom Zaun brechen möchten.«
«Der Löwe…«
«Ja, freilich. Immer macht er sich Sorgen, träumt seine Alpträume. Die Keramikungeheuer in Brasilien sollen ja auch so eine Bedrohung sein — ich frage mich manchmal, ob der Löwe nicht, falsch beraten von dir und Georgescu, einfach nach kriegsrechtsartigen Befugnissen schielt, ob er nicht die Vorfahrenunarten wiederbeleben will. Transkontinentale Sicherheitspolitik, sogenannte Abschreckung, am Ende umfangreiche Waffengänge, nicht nur gegen Menschen.«
«Du gehst sehr weit, mein… Schweinchen. Du wirst dir die Zunge verbrennen.«
Das war das letzte, was Philomena hören ließ, bevor sie grußlos davonschwirrte.
«Sie redet«, vertraute Hébert seinen Eindruck von der Unterhaltung einigen treibenden Blättern im Höhenföhn auf seinem Balkon an, die alles, was er sagte, zu Livienda tragen würden,»als wäre es ihr ein überlebenswichtiges Anliegen, daß man merken soll, wie sehr sie Livienda, von der sie stammt, verachtet und wie groß ihr Respekt vor dem Löwen ist, zu dem sie sich geschlagen hat. Wir kriegen hier neben den Polyarchen, den Dachsen und den Libertären bald neue Parteien, wenn wir nicht aufpassen. Und mit denen zeichnen sich auch schon wieder die Dinge ab, die wir aus der Langeweile kennen.«
8. Was der Zander fand
«Progressive Phylogenie«: Das Projekt, das Livienda angestoßen hatte, erhielt seinen offiziellen Namen von den Pherinfonnetzen. Man munkelte, der käme, auf Umwegen, von der» geschädigten «Lasara — sie stünde, um ihren alten Herrn zu desavouieren, aus der verlarvten Abgeschiedenheit ihres Untergetauchtseins heraus seit längerem mit Westfahl Sophokles Gaeta in Kontakt.
Der war es, der die neue Formulierung schließlich offen in Umlauf brachte — und als Kennung einem Riesenmolekül anheftete, mit dem allen Interessierten, und das hieß: den meisten Gente überhaupt, verkündet wurde, daß der große Tag gekommen war:»Erstmaliges vollständiges Zusammentreten aller Generalkommissionen sämtlicher atlantischer und sonstiger Experten im Gametenrechtsreformtorus am ersten Cusatag des neuen Jahres.«
«Wir entschuldigen uns bei allen, die auf unsere Arbeit an endlich zureichenden Rechtsgrundlagen für die geregelte Reproduktion hoffen, in aller Form dafür, daß das Plenum erst jetzt tagt«, erklärte Westfahl der Vollversammlung eine Woche später leicht verschnupft.
Ein paar weitschweifige Erklärungen folgten; der Zander beruhigte sich erst wieder, als er sah, mit wieviel Wohlgefallen das Laufschwein seinen gütigen Blick von der Loge aus auf dem Vorsitzenden und dessen engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ruhen ließ.
Die eigentliche Auftaktrede konnte beginnen:»Hohes Kollegium, verehrte Aedile, liebe Freunde. Der historische Teil unserer Forschungen, die Auseinandersetzung mit dem Erbe der Überwundenen, stellte uns in den letzten drei Jahren vor Schwierigkeiten, die nicht antizipiert worden waren, weder von der generösen Schenkerin«, ein nervöser Blick in Richtung Hébert Loskauf, ein verständnisvolles Nicken desselben,»noch von uns selbst. Allein die Kalender, die Daten, die Datierung selbst, der ungeheure biometrische Verhau des aus der Langeweile Hinterlassenen, all diese korrumpierten Informationen, der haarsträubende Unsinn von Religionen und Kulturräumen, der sich wie ein Schimmelpilz über alles Interessante gelegt hat und den davon abzulösen nicht selten auch die Unterlagen selbst zerstört — es war entsetzlich. Ein Beispieclass="underline" Islamische und chinesische Kalender waren lunar, christliche und buddhistische waren solar, ich weiß, die Worte sagen den meisten, auch den Fachgelehrten, nicht viel, aber wenn man biologische und geologische Zeiträume in Anschlag bringt… wer sich auskennt, wird wissen, daß erst ein läppisches Halbjahrtausend vergangen ist, seit der letzte wahre Weltkrieg tobte, und wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn die Verheerungen, unter deren…«