Выбрать главу

«Nicht so voreilig, Zivilist. Ich hab von deiner Spinne noch ein paar hochwertige kleine Codefetzchen empfangen. Sie konnte immerhin einen sensiblen Ordner knacken, für interne Memoranda. Du hast sie gut geschrieben, ihre Software: Der Krabbler hat den Ordnerinhalt steganographisch auf den Film gesattelt, den sie uns über Iemelians Vater geschickt haben. Soll ich dir's überspielen, oder bist du zu düster drauf, um die gute Nachricht von der verzweifelten Stimmung zu empfangen, die den ganzen Feldzug treibt? Sie sind in Aufruhr. Sie müssen die bewohnte Erde rasch erobern, sonst bricht diese ganze Flut von Ungeheuern aus… inneren Gründen zusammen.«

«Mach nur«, sagte Dmitri.

Kaum war das ausgesprochen, hörte und sah er Katahomenleandraleal seine Berserkerhaufen mit Erwägungen über die Zukunft anpeitschen, in visueller Form ihren Denkapparaten eingespeist: politische und informationstopographische Lagebeziehungen zwischen den älteren und den neueren Landmassen, Erwartungsgraphen über die Gegebenheiten in schmalen Zonen um die drei Städte, Kosten-Nutzen-Rechnungen über den Energieverbrauch des Feldzugs und über die Notwendigkeit, Ressourcen zu plündern. Ein Aufriß von Kapseits wurde als Insert geliefert, dann folgten lange Kolonnen populationsdynamischer Kennziffern der verschiedensten Gentequasitaxa.

Schmerzliches Zwitschern störte den Wolf bei der Betrachtung der Daten.

Es war ein Lied, eine Klage:»Nun nähert sich ein Wandelstern. Und nun…«

Mitten in der Einöde, oben auf einem von zuviel Zeit zerfressenen Drahtgeflecht, das in verwachsenen Bäumen hing, saß ein Rubinkehlchen, das den Keramikanern entkommen war. Es sprach von den Verwandten, die es nicht mehr gab. Der Wal schickte dem Wolf kurze Warnpulse:»Weg da, komm, laß das sein. Was willst du, du hast einen Auftrag. Ich führ dich zur Landestelle, der Vogel braucht dich nicht zum Jammern.«

«Ich will das aber hören«, der Wolf wurde unwirsch: Für dich, Georgescu, sind das alles Zivilistenschicksale ohne Bedeutung; ich sehe das anders.

Er wandte sich dem kleinen Vogel zu, aber der reagierte auf keinen Zuruf, keine Pherinfone, nicht einmal auf ein gespieltes Zuschnappen Dmitris.

Der Vogel war der Welt abhanden gekommen, er lebte nur noch für sein leises Lied:»Lutarius, und vom Schlamm sind wir alle, aber jetzt bringt man uns etwas Besseres, Grausames bei. Jetzt nähert sich ein Wandelstern. Ich erleide den Stoß eines schrecklichen Windes. Ich klage mit der Stimme des Neugeborenen übers Geheimnis meines ersten Atemzugs, und will woandershin gebracht sein. Wir befahren Reiche, die wir kaum erkennen, vom Anschwellen der Zeit getragen. Wir pflügen magnetische Felder. Die Vergangenheit und die Zukunft treffen aufeinander, in Donnerwolken, und unsere toten Herzen leben mit Blitzen in den Wunden der Götter.«

13. So oder anders

Den Rest des gemeinsamen Weges legten Dmitri und Georgescu zurück, ohne sich miteinander zu unterhalten.

Sie kamen schließlich erneut an einen Fluß; dieser war schildkrötengrün.

Urig und struppig fiel ein Abhang auf beiden Seiten des Stroms steil ab, mit safrangelben und scharlachroten Pilzen und bläulichen Kapseln, groß wie Menschen. Dem Wolf gefiel es hier, er grub die Schnauze ins Erdreich, wälzte sich ein bißchen, sprang durch Gras, das so hoch war wie er. Der Walhai nahm Abschied:»Bleib nur hier in der Gegend, Dmitri, es wird dich bald ein Floß aufnehmen und bis zur Mündung bringen.«

«Was für ein Floß?«

«Du wirst schon sehen. Es bringt dich aufs offene Meer, zum großen Eisschiff unter Käpt'n Patel, das dich zum Löwen zurückträgt. Dem kannst du dann erzählen, wie du dich vor ihm geekelt hast, als dich die Keramikaner aufgeklärt haben, über seine Vergangenheit.«

«Wollen wir so auseinandergehen?«

«Wir sehen uns wieder, so oder anders«, sagte der Walhai und erhob sich ins Blaue.

14. Übersetzen

Dmitri Stepanowitsch Sebassus ließ sich auf einem Stein nieder. Da wollte er die Fähre erwarten. Er sonnte sich ein Weilchen und hatte dabei den Geruch von weißen Federn in der Nase; ein bißchen nämlich, sogar ein bißchen sehr, vermißte er die Comtesse.

Das Floß erschien.

Es kam dem Wolf wenig vertrauenerweckend vor: zu faserig, wie aus Binsen oder Stroh gemacht, auch unförmig, mit zuwenig Tiefgang, aber dafür gelblich golden, eine Theaterbarke mehr als etwas Wirkliches.

In der Mitte, damit er sich draufsetzte, fand sich ein Sessel aus schillernd rötlichen Haaren, die wimmelten, daß Dmitri dachte: Das muß kitzeln. Beeindruckt war er allerdings davon, wie leicht, und mit Mitteln, die man nicht sehen konnte, der Nachen der durchaus heftigen Strömung widerstand und ganz ruhig zu dem Stein gefahren kam, kaum daran stieß und den vorgesehenen Passagier mit Wohlgerüchen lockte: Zimt, Pudermehl, Gummiarabikum.

Das obskure Floß schien sogar Zugang zu Dmitris Erinnerungen zu haben, denn er meinte, etwas vom Duft Clea Doras an den Gerten festzustellen, aus denen man es zusammengebunden hatte. Er hob die linke Vorderpfote, setzte auf, übte Druck aus: Es wankte immer noch nicht. Die rechte Pfote: Es hielt.

So war er schließlich überredet, nicht zuletzt auch aus Heimweh und weil er diesen im Grunde bereits an Katahomenleandraleal gefallenen Kontinent nun wirklich nicht länger bewohnen wollte als unbedingt nötig.

Der Sitz war bequemer, als es den Anschein gehabt hatte. Kein Kitzeln, mehr ein wärmendes Vibrieren.

Dmitri lehnte sich zurück. Der Fahrt fing an. In dem aufgewühlten Wasser brach sich die Gischt mit unebenen Mustern, fallende Regenbogen wurden von dunklem Kielwasser hinter ihm fortgetragen. Zwischen den hohen Gräsern am andern Ufer, erkannte Dmitri blinzelnd und sich wundernd, stand ein alter Orang-Utan mit einem weißen Schild in der Hand. Er winkte dem Wolf langsam, er mußte ihn schon länger beobachtet haben. Auf dem Schild stand ein Symbol, von dem der Wolf leicht erkannte, was es bedeutete: Beeil dich. Ja, dachte der Kurier des Löwen: Sie kommen bald und nehmen uns weg, was wir haben.

Da war nun gar nichts zu machen, und was hieß Beeilung? So lang die Überfahrt dauern würde, so lang dauerte sie eben. Dmitri schloß die Augen und sank in ein vergleichsweise unschuldiges Nickerchen.

Auf den Wellchen, in dem Weichen und recht Vagen, dachte Dmitri Stepanowitsch, er mochte vielleicht gar nicht derjenige sein, der das Zeitalter der Gente noch einmal zusammenhält und seine Zerstörung, Durchseuchung, Zersetzung verhindert, indem er mit langen Reisen ein Netz spinnt, durch das die Feindinnen nicht dringen können. Was, wenn diese Reisen vielmehr nur eine Inventur möglich gemacht hatten, einen abschließenden langen Blick aufs Löwenäon, das wider alles Erwarten kein neues Millennium geworden war, sondern nur ein Intermezzo, in dem sich die Tier- und Pflanzensphäre von den menschenverursachten Verwüstungen ein bißchen hatte erholen dürfen?

Wolf ohne Rudel, letzter Valediktor des Zwischenspiels, vielleicht vorgesehener Verfasser einer Grabrede, weil er davon wußte, was am Werk seines Königs gerecht gewesen war und was nicht.

Da blies ihn das lauteste Nebelhorn, das er je gehört hatte, aus den Nebeln seiner Ahnungen und Planungen. Er hatte eine Menge Häfen besucht, so laut war's nirgends zugegangen; und ein Fahrzeug wie das, welches er jetzt zu sehen bekam, hatte er nie gesehen.

Dieses Eisschiff war weiträumiger als das Reich der Schwanenfrau; die ganze Lewis-Thomas-Anlage in Princeton hätte aufs Zwischendeck gepaßt. Stockwerke, schräge Plattformen, aufeinander aufgesetzt, als könnten sie jederzeit wieder wegrutschen, ausgefrorene Zinnen und Treppen, Vorsprünge und Balkone: eine verfestigte Wolkenburg.

Obwohl der Wolf, der daran emporsah und die Kapitänin erblickte, wie sie in ihrer dicken Eisbärenklaue die Kapitänsmütze schwenkte, um ihn zu begrüßen, sicher wußte, daß dieses Fahrzeug aus verläßlich solidem, auf dieser Welt von nichts zu schmelzendem Substrat gefügt war, kam ihm die zwischen küstennaher Strömung und offenem Ozean verharrende Erscheinung gespenstisch vor, miragehaft, wie aus verfestigten Traumschleiern und — schlieren zurechtgeklobt.