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«Ich glaube, es ist müßig, das abstrakt zu referieren. Du mußt es dir mit eigenen Augen ansehen, denke ich, und auch dafür ist es höchste Zeit.«

Die Eisbärin seufzte, sagte aber nichts.

Dmitri blieb mißtrauisch:»Und was… müßte ich tun, um mir… den eigenen Augenschein zu verschaffen, von… eurer Seite, eurer Sache?«

«Du solltest zur Raketenbasis reisen. Wo wir den Exodus vorbereiten, oder wie ich's lieber nenne: die zweite Befreiung.«

«Reisen. Noch weiter. Nimm's mir nicht übel, Fuchs, aber ich war gerade auf dem Heimweg.«

«Ach was, das Zuhause, zu dem du zurückkehren willst, gibt es längst nicht mehr. Geh von Bord.«

«Jetzt? Mitten im Meer?«

«Wir haben Fische, die dich führen werden. Und deine Kiemen…«

Der Wolf schüttelte sich, wie vorhin Rolfa, und murrte:»Ah, ich hätte gedacht, ich wäre das los.«

«Der Weg ist nicht weit. Die Basis findest du auf der Insel, die früher England geheißen hat.«

Der Wolf dachte nach. Ryuneke ließ ihm Zeit dazu.

Dann sagte Dmitri Stepanowitsch:»Nein, ich bleibe an Bord. Ich verrate euch niemandem — dich nicht, Rolfa Patel nicht«,»Vielen Dank«, brummte die Bärin, und Dmitri fuhr fort,»schon weil ich gar nicht so genau weiß, was ihr da Antileonisches ausheckt. Aber ins Wasser spring ich auf gar keinen Fall. Wieso sollte ich, für Gente, die ich gar nicht kenne und die mir nie etwas Gutes getan haben?«

Der Fuchs blinzelte.»Wie kommst du darauf, daß wir Leute sind, die du nicht kennst? Das wird unsere Anführerin gar nicht gerne hören.«

«Eure An…«

«Lasara. Sie sagt, ich solle dir sagen: Lynxchen wartet nicht gern.«

IX. DER UNTERGANG DER DREI STÄDTE

1. Königsdrama

Das Ornat glitzerte in den politischen Farben der Stunde: Eisencyanblau, Rapsgelb und Maigrün.

So trat Lasara vor ihren Vater, der sein Haupt verhüllt hatte, mit Sichtfiltern und Lesespiegeln, damit er sah, was auf seiner Welt geschah, während niemand erkennen sollte, daß er trauerte.

Die Tochter wußte es dennoch:»Ich habe die Glühwürmchen gesehen, wie sie aus deinem Fenster geflogen sind. Sie schwärmen aus, nicht wahr? Die Belagerung von Landers hat begonnen. Das ist deine größte Niederlage. Die Käfer fliegen. Nichts, was jetzt geschieht, ist mehr rückgängig zu machen. Georgescu, höre ich, findet Gefallen daran, Setzlinge in sämtliche Gentesorten einzumanteln, die ihr früher unheimlich gewesen sind. Sie soll ein Walhai gewesen sein, und jetzt… diese Glühwürmchen… aber eine Dachsin ist sie, und das bleibt sie. Ihr seid Traditionalisten, die nicht mehr verstehen, was kommt. Am liebsten wäre euch gewesen, wenn die alte Lehre, Bene Gente, sich durchgesetzt hätte, so wie bei Robespierre der Kult des Höchsten Wesens. Ihr geratet in Panik, ihr probiert alles aus, was euch an früher erinnert. Aber es gibt keinen Plan.«

«Sie ist eine der Besten«, sagte der Löwe, als hätte er die Vorwürfe nicht gehört.»Mein, wie sagst du immer? Mein Thron wäre ohne sie längst gekippt.«

Lasaras Stimme verriet Mitgefühclass="underline" »Es ist zu spät.«

Er mochte, wie sie redete: erstaunlich tiefsinnig für so ein feingliedriges, verspieltes Wesen.

Sie insistierte:»Du wirst ihn nicht retten können. Den Thron.«

Er lächelte:»Eine Weissagung? Von dir, die gar nichts glauben will, was sie nicht direkt vor sich sieht? Jetzt glaubst du also, du wüßtest, was jenseits deiner Erfahrung liegt? Mein Thron, wie du das Zeichen nennst, das ich nicht mir, sondern den Gente errichtet habe…«

«Kann das Bestand haben? Kann Rohr aufwachsen, wo es nicht feucht ist? Schilf ohne Wasser? Noch steht's in Blüte, aber bevor man es schneidet, da verdorrt es schon vor allem Gras. So geht es jedem, der Gott vergißt, und die Hoffnung des Ruchlosen wird verloren sein. Denn seine Zuversicht vergeht, und seine Hoffnung ist ein Spinnweb.«

«Pfffja… die alten Bücher, die alten Geschichten…«, er schnaufte müde,»und Gott, na, ich dachte, wenigstens bringst du mir was Neues, wenigstens dieses, na, wie heißt es, Wetzelchen…«

Lasara wurde deutlicher:»Deine Freunde verschwinden. Bald müssen sie sterben. Die Glühwürmchen werden zurückkehren mit Geschichten von fürchterlichen Verlusten, jeden Tag.«

Er wandte sich ihr zu; sie sah sein Gesicht hinter den Blenden nicht.

«Schließ dich mit mir zusammen«, sagte der Uralte.»Komm an meine Seite, führ die Geschäfte mit mir. Bereite die Schlachten vor, die wir erwarten.«

Sie schüttelte den Kopf, trat näher heran und setzte sich zu seinen Pfoten.»Wer war es diesmal? Wen hast du verloren?«

«Du kennst ihn… sie nicht. Erste Generation. Hat mit mir die Befreiung möglich gemacht.«

«Die Virenforscherin?«

Er klappte einen Spiegel beiseite, sah sie an. Die klaren Augen des Monarchen waren rot, er gönnte sich weder Schlaf noch Medikamente, die diese nun bereits seit Wochen anhaltende Schlaflosigkeit erträglicher gemacht hätten. Dunkel brütend sagte er:»Du weißt mehr, als ich dachte.«

«Und vielleicht schon mehr, als du selbst weißt. Man sagt dir längst nicht mehr alles, aus Angst vor deinem Zorn, vielleicht schon… aus Angst vor deiner Verzweiflung. Vater, du solltest dich auf diesen Krieg, von dem du glaubst, er wäre unvermeidlich, nicht einlassen. Du solltest meinen Plan noch einmal anhören. Wirklich prüfen.«

Er wurde unwirsch:»Ach was. Ich weiß doch längst, daß du auch nach meinem Verbot an deiner… Arche festhältst. An dieser Ausgeburt deiner Verzweiflung, wenn wir schon von Verzweiflung reden. Du willst sie sammeln, jedes nach seiner… Art, als ob das Wort wieder eine Bedeutung hätte, über den Bauplan hinaus. Willst sie dann wieder ausstreuen, in alle Himmel schießen, wie Sporen. Da sollen sie als Monaden sich verhalten, wie… wie der alte Schleimpilz, an den sich damals, gegen Ende der Langeweile, soviel Hoffnung klammerte. Die Christen haben an den Fisch geglaubt, als die Antike unterging; die Wissenschaftler an Synergetik, an Selbstorganisation und Emergenz, an dictyostelium discoideum und die Menschheit, ans Kollektiv, Weltgesellschaft, Globalisierung, da war der Untergang des homo sapiens längst unvermeidlich. Und jetzt willst du für die Gente dasselbe… Aufgeben, um zu gewinnen. Zerstreuen, um bündeln zu können. Fliehen, um standzuhalten. Wahn.«

«Du hast selbst über Flucht nachgedacht. Warum sonst sollte man die Setzlingstechnologie erfinden und entwickeln lassen? Izquierda hat mir Pläne gezeigt, bevor sie… verschwand.«

«Rückzug. Taktischer Rückzug. Niemals Flucht. Du? Du hörst nicht zu, wenn ich dir solche Unterschiede zu erklären versuche, bei denen es ums Ganze geht. Du mußt deinen Dickkopf haben. Läßt hinter meinem Rücken Projektile zünden, baust deine Knallkörper, spionierst in meinem Satellitennetzen..«

«Sie fallen runter. Deine Satelliten. Sie sind alt, manche älter als du. Niemand wartet sie. Ausfälle. Lücken.«

«Deine lächerlichen… ihr habt immer gemacht, was ihr wollt. Ohne Rücksicht auf… ohne Sinn und Verstand.«

«Ihr«— sie lächelte melancholisch; diese schwermütige Musik kannte sie allzu gut.

«Ihr, ja. Deine Mutter… und auch Paul, oder Élodie, oder wie immer er, sie, es sich zuletzt genannt hat. Schwan! Ja: Eitelkeit. Und Pazifismus. Possen. So stirbt man dann, ausgelöscht, Kerzenflamme im Orkan, und der einzige, den's interessiert, bin ich, dem zum Trotz man sich in all diese Gefahren begeben hat. Fort ist sie — eines der hellsten Gehirne, die je in der Nacht, die uns umstellt hat…«