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«Alte Geschichte oder Zeitgeschichte?«wollte der Marder wissen, und am Gesichtsausdruck des armen Storikal war deutlich zu erkennen, daß er den Unterschied nicht wußte.

«Kennst du dich aus mit Dingen, die früher alles verändert haben, oder mit Dingen, die heute alles verändern?«

Storikal betrachtete den ausgeweideten Schakal und sagte, ohne den Kopf zu heben:»Ich weiß ja nicht, ja, warum sie ihn verschlungen und zerlegt und Teile mitgenommen haben, ja, mich aber nicht. Pfiddel.«

«Bitte?«

«Nichts. Ja.«

«Wir folgen ihnen seit vielen Monaten«, sagte die Tinkerstute,»und haben so etwas immer wieder gesehen — eine sechsköpfige Leopardenfamilie wird angegriffen, zwei läßt man in Frieden, vier werden ausgelöscht. Ein See wird durchkämmt, zwei Fischlein bleiben übrig, niemand weiß, wieso und warum gerade diese beiden. Eine Savanne wird verbrannt, ein Busch steht hinterher alleine da. Vielleicht hat es mit Geometrie zu tun. Mit Maßgaben, die wir nicht kennen.«

«Ja, na ja, ihr wißt es also nicht«, seufzte Storikal, als wäre das schlimmer als der Tod des Schakals und überhaupt die Entropie im Universum.

«Aber wir wissen auch wieder nicht nichts«, sagte Huan-Ti.»Wir haben Teile des Bildes verstanden. Wir sammeln Fetzen, die noch kein… Wie die Keramikaner gebaut sind, ahnen wir mittlerweile. Daß ihr Stoffwechsel so funktioniert, daß sie sich zum Beispiel sehr für Folsäure und Kalzium interessieren. Solche Sachen.«

«Ja aber was das erklärt, ja das wißt ihr nicht«, sagte Storikal und schaute die drei Freunde an, einen nach dem andern.

«Wir wollen es aber herausfinden«, erklärte der Marder Anubis.»Das ist mehr, als die meisten wollen.«

«Würdest du uns gern dabei helfen?«fragte Hecate.

Der Esel nickte.

«Dann«, sagte der Tiger,»komm mit.«

4. Verlust

Es gab nichts, was der Wolf hätte unternehmen können, das war das Schlimmste an Hébert Loskaufs schlimmem Ende. Eben noch waren sie zusammen wie die Jungtiere den mit feuchtem, saftigem Gras bewachsenen Abhang runtergaloppiert, um die Biber zu schockieren, die nie rasteten, immer schufteten und überhaupt viel zu ernst waren.

Danach standen sie am Bächlein, wo Dmitri zwischen Kieseln tollte und sich im Wasser schüttelte, während Hébert ihm vom Ufer aus zusah und rief:»Wer ist hier das Schwein, Herr Wolf?«

Und dann spaltete eine Lanze aus gebündelter, gleißender Hitze das Laufschwein mitten entzwei, vom Kopf her.

Dmitri brauchte Tage, bis er wieder sprechen konnte.

Er magerte ab und schlief schlecht; bekam Schuldgefühle, diffuse, unnütze, bitterste. Wäre er selbst gestorben, hätte er, so redete er sich ein, ja sozusagen vom Jenseits her, aus der ihm vermutlich längst bereiteten Hölle, noch einsehen können, daß ihn das Schicksal gestraft hatte, für den Verrat am Löwen zum Beispiel. Aber das Laufschwein, das doch Livienda und später Lasara gegenüber (Wo blieb die eigentlich die ganze Zeit? In Borbruck, wie man sich erzählte? Wozu?) stets loyal gewesen war?

Das Entsetzen unter den Bibern war groß, die Gerüchte wurden rasch so haarsträubend, daß man Wölfe brauchte, die Werftarbeiter wieder zu disziplinieren. Diese Wölfe waren anders als jene, die Dmitri aus seiner Jugend kannte: schweigsame, harte Burschen, von denen Hébert gesagt hatte, sie kämen aus der sogenannten» Taiga«, was immer das bedeuten mochte. Dmitri konnte sie nicht leiden.

Am dritten Tag der Wirren wurde zumindest ein Teil der Arbeit wiederaufgenommen.

Abends erschien endlich Lasara, zur Inspektion, um den Kopflosen Mut zu machen, den Standhaften ihr Vertrauen auszusprechen und die für den nächsten Tag angesetzte Trauerfeier vorzubereiten.

Als sie zu Dmitri ins Zelt trat, sagte der nur:»Du hast mir gefehlt.«

Lynxchen lächelte:»Natürlich, das ist das mindeste.«

«Das minde…«

«Ja. Daß du meine Liebe, wenn ich dich schon lieben muß und mich nicht dazu zwingen kann, es bleibenzulassen, wenigstens erwiderst.«

Sie liebten sich danach so unordentlich wie möglich, so ängstlich wie nötig, fast so lange wie früher.

Als die Sonne aufging, verriet sie ihm, daß es eine Seebestattung für Hébert Loskauf geben würde.

«Die Atlantiker, die Fische überhaupt, haben ihn gemocht, und er mochte die Fische. Ich glaube, am glücklichsten war er als Mutters offizielle Liaison für die Gruppe im Torus.«

Damals haben auch wir einander kennengelernt, dachte Dmitri. Da war alles einfach, wenn auch schon abenteuerlich gewesen. Sie legte ihren Kopf auf seine Brust, die Ohrenpinsel kitzelten sein Kinn.»Hast du gehört«, sagte sie leise,»der Torus ist jetzt eingerissen worden, glaubt man das? Sie haben das Wasser abgesaugt und auf die Felder geleitet, auf diese neuen riesigen Plantagen für ihren denkenden Mais. Die Rüstungsanstrengung frißt alles, sogar Vaters Vorliebe für den Erhalt historische Baudenkmäler. Kapseits schrumpft, die Agrarfläche wächst. Dasselbe in Borbruck. Und es wird alles nichts nützen.«

«Weil du, würde er sagen, gegen ihn arbeitest. Ein Haus, das…«, er kam nicht dazu, das Zitat zu beenden, sie knurrte:»Unfug. Mutter hat mir seinerzeit über den Zander ein paar Auszüge aus den Taktikprogrammen von Katahomenleandraleal geschickt — da sind sämtliche möglichen Konstellationen…«

«Sämtliche? Sämtliche möglichen…«

«Na ja, alle, die wir in erträglicher Zeit würden spieltheoretisch gegenrechnen können. Ein geeintes Löwenhaus wär längst nicht der Garant für stabilen Burgfrieden, den Vater sich wünscht. Die Polyarchen, die verschiedenen Kapitulanten… Es würden sofort andere, zum Teil ganz neue Fraktionen herausbrechen aus seinem Konsens, es gäbe Kollaborateure, die sich von Katahomenleandraleal was versprächen…«

«Gibt es wahrscheinlich auch so.«

«Ja, wahrscheinlich«, sie lächelte wieder dieses Lächeln, das er so bestrickend fand, weil es ihm immer auch ein bißchen Angst machte.»Aber man sieht jedenfalls, wenn man sich die Stemmata der möglichen Brüche und Koalitionen im Heerlager der Gente anguckt, daß das, was ich tue, noch das Sicherste ist, im Hinblick aufs Überleben wenigstens einer Minderheit.«

Er blies in ihre Härchen an den Ohren, sie ließ sich nicht ablenken:»Und da also Uneinigkeit bei der derzeitigen Situation sowieso entstehen muß, dann ist es noch das beste, wenn innerhalb dieser Uneinigkeit ein paar Einige…«

Er leckte ihren Nacken, sie schnurrte.

Eine Weile schwiegen sie, sachte atmend, dann fing Lasara, die keine Ruhe fand, erneut an, das Problem zu diskutieren:»Weißt du, er hat einfach nicht verstanden, daß er gar nicht mit dem Rücken zur Wand steht. Er glaubt, er muß kämpfen, weil ein Rückzug nur die Front verschieben würde. Er denkt, selbst wenn er gar nicht weiß, daß er so denkt, Katahomenleandraleal würde uns nachsetzen, wenn wir fliehen, und uns überall stellen, und in den lebensfeindlichen Umwelten, die ich uns als Ausweichort erschließen will, hätten wir viel weniger Manövrierraum, viel weniger Ressourcen…«

«Stimmt das denn nicht?«

«Es ist eine Fehleinschätzung, was Katahomenleandraleals Ziele anbelangt. Mein Vater denkt alles vom Territorialinstinkt aus — wie ein Tier vor der Befreiung. Schon lustig. Gerade er. Sie will aber gar nicht expandieren. Jedenfalls nicht nach außen, wie er das versteht. Nicht in die vierdimensionale Raumzeit.«

«Ah, Mathematikunterricht«, ächzte Dmitri, gespielt entnervt.

Sie gähnte, um abzuwiegeln.»Gar nicht. Aber… soviel nur: Was die Dimension im topologischen Raum ist, weißt du? Lebesgue? Der Mantel?«

«Na ja, ein Maß dafür, wie ein Gegenstand den Raum füllt«, quengelte der Wolf; er fühlte sich bei diesem Zeug nicht wohl und holte sich dergleichen Wissen, wenn er's denn überhaupt mal brauchte, meistens aus Pherinfonarchiven.