«Erklär mir's«, forderte er.
«Der Vater ist, sagen die Menschen, der Mann, und die Mutter ist die Frau. Ich könnte Mutter sein, und nicht Vater.«
«Was war meine Mutter für eine?«
«Wie meinst du die Frage?«
«Denk dich hinein, sag mir, was sie sagen würde, wenn sie hier wäre. Was würdest du sagen, wenn du sie wärst? Was hätte sie zu mir gesagt, was getan, wenn ich bei ihr gewesen wäre auf der alten Welt, so, wie ich hier jetzt stehe?«
«Ich würde… das ist ein schwieriges Spiel. Ich würde mich an seine letzten Worte erinnern und mich fragen, ob ich sein Schicksal hinnehmen muß oder mich von diesem schlimmen Ort davonstehlen kann, irgendwohin, wo ich an den Schrecken nicht mehr denken muß, an die Nacktheit nicht und an die Narrheit nicht, an die Gewalt nicht und auch nicht ans Leiden. Ich würde… am Tag, da die drei Städte fallen… würde ich eine Glocke läuten hören, als Alarm, in einem der Befestigungstürme. Ich würde einen kleinen Vogel singen hören, und ich wüßte, der arme Wolf hat keine Wahl, er will zuviel. Und meine Pflicht würde ich tun gegen den Sohn, gegen die Tochter.«
«Deine Pflicht.«
«Mich wie die andern Frauen erheben über die Flut aus Scharlach, die über uns hinweggeht und die Witwe von der Braut trennt.«
«Der Mann hat dich verlassen? Der Vater?«
«Der Vater, der Wolf… greift hinaus über seine eigene Entscheidungskraft, läßt sich einfangen von der Maschinerie irgendwelcher Schwindler, die sich zu seinen Königen und Geldgebern, zu seinen Löwen und Füchsen aufwerfen, die alles zu Geld machen können und Geld in alles verwandeln, und die Dunkelheit der Nacht muß ihn umfangen, bis sie weicht, und dann dämmert es und ich, die Mutter, bleibe allein zurück, und muß mich fragen: Warum wollte ich ihn, wenn ich ihn doch verlieren muß?«
Feuer wußte nicht, was Könige und was Löwen und Füchse und Geld waren.
Aber er verstand, daß das Leben seiner Mutter und das Leben seines Vaters traurig gewesen waren.
Die Freundin mit Fell wandte sich ab und ließ Feuer am warmen Ofen stehen.
8. Höhepunkte
Als Feuer zweiundfünfzig Tage alt war, kam der Vasch Wempes, wie er selbst ihm sagte,»zum vorläufig letzten Mal«. Es gab, so erläuterte Wempes sachlich,»noch etwas Biologisches, was ich dir nicht beigebracht habe: deine Sexualität, denn die ist kompliziert«.
Ein bißchen wußte Feuer davon schon. Nächtliche Samenergüsse hatte er erlebt und angenehme Erektionen, nah am warmen Stein. Ein Freund mit Fell hatte ihm gezeigt, was er tun konnte, wenn ihm davon zu heiß wurde. Das ging allein; aber auch die Salamander halfen,»ein bißchen Rumvögeln hat noch niemandem geschadet«, fand der Salamander Shikibu.
Jetzt zeigte der Vasch mit Hilfe der Holowürfel dem Prinzen Frauen und Mädchen, Jungen und Männer, von menschlichem Phänotyp ebenso wie von der Art alter Gente. Feuer mußte still daliegen, seine Brust, seine Lenden, sein Penis und seine Schläfen waren mit Meßplättchen belegt, was er peinlich und lustig fand. Um seinen Hals hatten zwei der Freunde auf Anordnung des Vaschen einen neurostimulierenden Gürtel gelegt.
«Wir kalibrieren nur ein bißchen. Wir wollen dich jetzt schon, sehr früh, richtig vorbereiten, auf den Paarungserfolg, wenn du den Tempel findest und dort deine Braut, deinen Bräutigam.«
Die Kalibrierung war nicht unangenehm, aber anstrengend. Sie ging drei Stunden und brachte sieben Höhepunkte. Der intensivste war einer mit der Simulation der Luchsin (»das Ödipusmuster, es sitzt eben doch tief«, flüsterte Wempes dazu, aber ein Freund mit Fell widersprach:»Na was, sie haben es halt reingeschrieben, die Alten. Ein Beweis fürs kollektive Unbewußte ist das nicht.«).
Ein großer Rausch war's auch mit einem Echsenwesen, das nicht zwinkern konnte, aber melancholische Augen hatte.»Wer war… was war das?«fragte Feuer, außer Atem.
«Deine Braut«, sagte der Vasch, und gleichzeitig sagte der Freund mit Felclass="underline" »Dein Bräutigam.«
Feuer verstand den Witz nicht, aber er beschloß, sich die Pointe gut zu merken.
9. Die gute Maschine
Als Feuer fünfundfünfzig Tage alt war, kam eine große Maschine zu Besuch.
Erst fürchtete sich der Prinz, als er erkannte, was das war. Aber die Freunde mit Fell fürchteten sich nicht, also beschloß er, abzuwarten, achtzugeben.
«Das ist er? Der Prinz?«fragte die Maschine in gereizt blechernem Tonfall und besah sich Feuer mit sieben Stielaugen an langen metallischen Schläuchen. Feuer klatschte in die Hände, drehte sich, als sollte er für eine Darbietung auf einer der lichtbelebten Oberflächen aufgenommen werden, aber der älteste Freund mit Fell schickte ihn auf den Felsvorsprung, aus dem Raum:»Das ist kein Spaß hier, wir haben ernste Geschäfte.«
«Ich bin gekommen, um nachzusehen, ob er soweit ist, und falls ja, ihn zu begleiten«, schnarrte die Maschine, die einen zerschlissenen gelben Mantel trug. Der Freund mit Fell sagte:»Er kann den Tempel nicht suchen, er kann den Tempel nicht finden. Die Geographie hat sich verändert, seit die Venus bewohnt ist, auch wenn sich das physische Substrat nicht geändert hat. Er wird viele Gefahren bestehen müssen, wenn er sich an die Aufgabe wagt, und dafür ist er noch nicht gerüstet. «Der so redete, sah, daß Feuer sich auf dem Felswulst wieder an den Raum herangetastet hatte, und drohte ihm von weitem mit Krallen. Feuer lachte, wich aber zurück. Draußen pfiff der Wind, so konnte Feuer nur verwehte Fetzen des Gesprächs mithören:»Leerheit… voll Scham und…«
«Mißbraucht, gehetzt, verzettelt«,»nicht geheuer«,»Verpflichtung«.
«Es ist mir gleich, was die Minderlinge machen«, bellte die Maschine schließlich, das war so laut, daß Feuer draußen den ganzen Satz verstehen konnte und auch die Antwort des Freundes mit Felclass="underline" »Dir mag es gleich sein, aber man sieht es inzwischen aus der Luft! Drei Siebenvierer haben Aufnahmen gemacht, das sind richtige Städte da drüben.«
«In Sedna Planitium…«
«Nicht wie die Kuppeln in Sedna Planitium. Das waren Treibhauskolonien. Niobe hat, ich sag's dir noch mal, Städte — vierzehn Bezirke in jeder, mit Menschen, die…«
«Minderlingen. Nicht Menschen. Es sind Minderlinge, Karikaturen, es ist ein Hohn auf jede…«
«Aber sie bauen…«
«Und wenn sie Ninive und Ur und Babylon und New York und Landers und Borbruck und Kapseits in doppelter Größe wiedererrichten würden: Er muß den Tempel finden, und er muß durch das Tor. Die Wärmesignatur der Erde ist eindeutig! Es ist erloschen — alles da unten ist erloschen! Wir müssen zurück, wir müssen es untersuchen! Tausendzweihundert Jahre! Weißt du, was das bedeutet, bei exponentiellem technologischem…«
«Grimbart…«
«Tausendzweihundert Jahre, verflucht!«
Am Ende wurde die Maschine fortgeschickt, noch schroffer, als der Freund Feuer aus dem Raum verwiesen hatte. Sie schlurfte weg, ohne sich umzudrehen.
«Sie sieht beleidigt aus«, sagte Feuer, fast mitleidig.
«Der kommt wieder. Vergiß es.«
Etwas von den Worten der Maschine zeigte bei den Freunden mit Fell dennoch Wirkung.
Das Lernen war für Feuer jetzt vor allem körperliches Einüben in allerlei Geschicklichkeiten, die er für seine Aufgabe brauchen würde. Man ließ ihn über die breitesten Lavaflüsse springen oder durch sie waten, bis er dampfte, man ließ ihn von den hohen Wällen springen und sich im rotbraunen Staub wälzen, man griff ihn von vier Seiten an, daß er sich mit Waffen, mit einem Stock oder den bloßen Händen und Füßen verteidigen mußte, man knuffte ihn und trietzte ihn, forderte ihn und hetzte ihn, ließ ihn Gewichte heben und ziehen, schwere Dinge werfen, schnelle Dinge fangen, achtete auf seine Ernährung, auf sein Gewicht, auf seine Muskelmasse, und die Spione aus Atalanta, die ihn mit optischen Geräten beim Sport in den Ebenen und beim Klettern neben den großen grünen Scheinwerferaugen an den Wänden unter seinem Zuhause sich abmühen sahen, waren bestürzt, wie gut er alles meisterte.