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Futurismo?» Ich schlag's nach«, versprach sie ihrem Hausgenossen.

Sankt Oswald winkte ab, dann fiel ihm noch was ein (und sie sah sich um, über die Schulter: Ist nicht doch das da meine Mutter, dieses Zackentier, statt der Luchsin, von der das Buch spricht?):»Was lernen wir aus alledem? Wie hat ein Weiser mal gesagt: Ja, man kann eine Ratte dressieren. Wenn man stundenlang, tagelang, wochenlang, monatelang, jahrelang mit der Ratte arbeitet, dann kann man eine Ratte dressieren. Aber alles, was man dann hat, ist eine dressierte Ratte.«

3. Akkorde statt Treppen

Das Leben in Ausschweifung, das Padmasambhava im Haus (»am Hof «sagte sie jetzt gern) von Eon Nagegerg Bourke-Weiß geführt hatte, ließ sich bei und mit Sankt Oswald nicht fortführen.

Obwohl er mitunter an den obligatorischen Orgien teilnahm und ab und zu auch, seinem Stand als den Aristoi irgendwie seitlich Affiliierter gemäß, bei sich selbst welche abhielt, spielte derlei in seinem Leben eine untergeordnete Rolle. Sie war's zufrieden, hatte» den Blödsinn «ohnehin satt und nahm sich lediglich einen jungen Geliebten. Sankt Oswald sagte:»Ja, laß dich mit einem von diesen Knaben in Strumpfhosen ein, mit schwarzer feuchter Nase und Fell auf der Schulter, dann bist du die Sorge los, wer dir nachstellt.«

Der Kerl war» ursuform«, wie das Buch des Lebens ihr verriet, das heißt: ein Humanoide mit Bärenanlagen. Er bewährte sich als guter Liebhaber, großzügiger Wirt, führte sie in Konzerte und Museen, zeigte ihr auch die andern Burgen, nahm nicht zuviel von ihrer Zeit in Anspruch und hieß Lodas Osier (sie mußte das öfter im Buch nachschlagen, es entglitt ihr immer wieder, wer und was er war, nämlich vor allem ein bißchen gesichtslos und ein wenig zu schlank — auf dem Schlachtfeld hätte sie ihn mangels Masse nicht einmal gefressen).

Lodas Osier besaß ein Luftschiff, von dem aus man die Burgen verlassen und das Getümmel in den Gräben verfolgen konnte, was sie besorgter und neugieriger tat, als ihm auffiel, der solche Ausflüge nur für einen besonders dekadenten Spleen seiner Liebsten hielt.

Da sie ihm bei diesen Touren durch die Luft ein bißchen davon verriet, wie sich das Dasein aus der Sicht der Kämpfenden ausnahm, gab sich der Arme eine Weile, als teilte er die agonale Weltsicht der Grabenbewohner: Er rempelte auf Festen Bekannte an, übte sich in Kampfsportarten, entwickelte eine ganz überflüssige und schrille Eifersucht gegen andere Liebhaber der Echsenfrau, besonders den dummen Eon, der doch nur bei den langweiligsten Orgien überhaupt noch zum Zuge kam, und führte schließlich die seit vierhundertvierzig Jahren vergessene Unsitte des Sichduellierens wieder in der heimatlichen Burg ein. Zweimal schlug er sich nach atavistischen Regeln mit Eon Nagegerg, beide Male wurde er getötet und natürlich umgehend wieder auferweckt, dann verlor er glücklicherweise das Interesse an der ganzen primitiven Idee, hatte aber unterdessen Nachahmer in anderen Burgen gefunden. Wäre er in dieser Sache nicht schließlich zu Verstand gekommen, dachte Padmasambhava, gleichermaßen abgestoßen wie gereizt, so hätte sie ihn vielleicht doch noch gefressen.

Jede Minute, die sie nicht mit eitlen Beschäftigungen an der Seite ihres Galans verbrachte, schenkte sie der Erziehung durch Sankt Oswald und seine Roboter.

Hinter allem, was die lehrten, stand, wie er bald verriet, seine Prophetin und Bekannte, Frau Späth:»Die darfst du fürchten. Sie hat direkt unter der Nase der Herrin der Erde gelebt, sie kennt Katahomenleandraleal persönlich.«

Viel von dem, was unterrichtet wurde, eigentlich das meiste, hatte mit Musik zu tun, und mit Mathematik: die Abbildbarkeit von optischer Wahrnehmung euklidischer und nichteuklidischer Projektionen in Mustern auditorischer Wahrnehmung. Kontrapunkt. Infinitesimalrechnung. Lieder der ausgestorbenen Vögel und Wale der alten Erde. Die ehemalige Echse lernte, Akkorde in Treppen zu übersetzen. Morphismen zwischen Architektur und Klang waren sogar das Herz der Ausbildung. Ihr» Gesellenstück«, wie Sankt Oswald sagte, bestand darin, die Form des vier-zu-siebzehn-dimensionalen Turms, in dem sie mit Sankt Oswald lebte, in einem Kanon zu codieren, Frequenzen wurden ihr zu Faserbündeln und umgekehrt, die tongrammatischen Regeln der Vorzeit, von der Sonatenform bis zu den Clustern, an denen sich die Aristoi berauschten, mußte sie zergliedern und Stemmata dafür schreiben lernen. Musikinstrumente waren mit dem abstrakten Begriff des nichtlinearen Oszillators zu vermitteln, das Verständnis der Vibration von Saiten verlangte ihr die Erarbeitung eines nahezu vollständigen neuen Systems der Physik ab…

«Ich frage dich lieber nicht, wozu ich das alles brauche«, sagte die Echse,»aber es wär schon lieb, wenn du mir zum Lohn für die Torturen wenigstens erklärst, was ich sonst so wissen will, auch wenn es sich um Dinge handelt, die… weitab liegen von Musik und Mathematik.«

«Was wüßtest du denn gern?«neckte er sie.

«Geschichte.«

Also gingen sie gemeinsam, unterstützt von einer wahren Sintflut an altem Bild- und Tonmaterial, die seine Spintronik barg, noch einmal den gesamten Gang der Angelegenheiten des Lebens seit der Befreiung des Gentegenoms von den Zwängen der Langeweile durch — erstens im Gröbsten: wie der Löwe zu seinen proteischen Mitteln gekommen war und woher er seine prometheischen Zwecke hatte; warum man so lange gebraucht hatte, die Menschen, obwohl sie bereits besiegt waren, aus den Ökotekturen zu drängen; wie man auf die Offensive gegen die menschlichen Hände verfallen war; welche Rolle dabei ihr Vater gespielt hatte; wie dieser und Lasara die Luchsin zusammengekommen waren; dann die große Landnahme durch die Keramikaner; der Exodus auf den Mond; die nächste genetische Selbstverwandlung als Parallelschöpfungsakt der Bewohnbarmachung von zugleich Venus und Mars; endlich die Saat — sie und ihr Geschwister —, die erst aufging, als die kontinuierliche Beobachtung aus sicherer Entfernung die erwarteten Neuigkeiten von der Erde brachte.

Als zweites ging's in die Details, darunter vor allem die strategischen und taktischen der kleinen und kleinsten Wendungen des allgemeinen Geschicks:»Also, das alles, daß sie da knapp dem Tod von der Schippe gesprungen sind, die vier — na ja, bis auf den armen Storikal —, das war von Ryuneke ausgeheckt, deshalb kam Hilfe zwar spät, aber doch gerade noch rechtzeitig, richtig?«

«Selbst Katahomenleandraleal war eingeweiht, ja«, erklärte Sankt Oswald, hörbar nicht frei von Bewunderung für die Winkelzüge der Puppenspieler jener weit entfernten Vergangenheit,»und der Sinn…«, das konnte Padmasambhava nun ohne Mühe selbst ergänzen:»…der Zweck war, für alle, die im Pherinfonnetz hingen, die heroische Statur von Anubis, Huan-Ti und Hecate hervorzuheben: Sie hatten den Keramikanern die Stirn geboten, sich mit ihnen geschlagen, wie wir das hier in den Gräben tun. Also wäre es jedenfalls keine Feigheit, diesen dreien auf den Mond zu folgen. Der Exodus, hieß die Botschaft, ist keine Flucht, sondern die kühne Tat von…«