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Die riskanteste unter diesen war die Politik.

Analyse und Aneignung der allgemeinen Grundsätze der Verwaltung der Burgen waren in wenigen Stunden zu leisten, die schönen Phrasen der Verfassungen dieser Stadtstaaten (»Plebiszite lehnen wir ab. Wer nur das Recht hat, ja oder nein zu sagen, gibt bereits die Sprache her«,»Ein primitiven Zahlenschlüsseln gehorchendes repräsentatives System wäre für die angemessene Selbstverwaltung unzulänglich, daher haben wir uns geeinigt, daß…«) lernte sie in Sekunden auswendig. Die Struktur des gouvernementalen Organogramms zu begreifen dagegen fraß immerhin zwei Wochen: Führungsausschüsse, Generalausschüsse, Generalsekretariat des Kongresses, Regionale Komitees, Basiskongresse, der supraterritoriale Generalkongreß in der Burg I, die virtuellen Sitzungen der Bünde und Vereinigungen, zum Teil geordnet nach sogenannten Berufen oder Zünften (die es ja längst nicht mehr gab). Als Padmasambhava das alles aufgenommen hatte, besorgte sie sich gegen den anfangs entschiedenen, dann immer kleinlauteren Widerstand ihres Lehrers Unmengen kostspieligster Software, die ihr am Ende nur verriet, was sie gleich geahnt hatte: Da sie nun schon vier Jahre in der Burg lebte und auch alle andern Burgen besuchte, wie es ihr paßte, da sie Anteil hatte an der Produktion, der Verteilung und dem Verbrauch von Gütern, da sie mit den Aristoi Meinungen und sexuelle Gefälligkeiten tauschte, kam ihr de facto der Status einer Vollbürgerin zu, wenngleich er ihr nicht formell verliehen worden war.

Gewohnheitsrecht, zum Teil sogar in schummrigen Hypertextwinkeln der Verfassungsdokumente locker kodifiziert, sorgte dafür, daß es ihr freistand, eine politische Plattform zu gründen, eine Kampagne loszutreten, und genau das tat sie.

Aus ethischen, ressourcenökonomischen, ästhetischen und anderen Erwägungen, so forderte die von Padmasambhava initiierte Forengruppe, der sich überraschend schnell viele lokale Aristoi, ja sogar Eon und Raphaela anschlossen, sei das experimentum crucis so bald wie möglich einzustellen.

Als die Adligen erst einmal begriffen hatten, daß sie hier keineswegs dazu überredet werden sollten, die Tore der Burgen für endlose Flüchtlings- oder Geschädigtenhorden zu öffnen, da es vielmehr Padmasambhavas, wie sie sagte,»heiligstes Ziel «war, daß die Leute in den Gräben nicht etwa unter die Burgenzivilisation subsumiert werden, sondern endlich Gelegenheit erhalten sollten, ihre eigene Zivilisation zu gründen, als also klar wurde, daß der Spaß niemanden ernstlich etwas kosten würde, war ihr der Sieg sicher.

Ein bißchen Leben kam nur noch kurz vor der Ratifizierung der entsprechenden Kongreßbeschlüsse in die Diskussion. Da nämlich legte jemand eine Untersuchung vor, wonach die Stilllegung der Erdstoßvorrichtungen im Innern des Marsmantels möglicherweise Instabilitäten zur Folge haben könnte, die für eine Weile die Statik der den Gräben nächstgelegenen Burgen belasten würden.

Erdbeben, bei uns?

Ein Gezeter brach los, auf das Padmasambhava glücklicherweise längst vorbereitet war. Sie parierte mit einer glänzenden Rede vor dem supraterritorialen Generalkongreß:»So ist das also. Dieselbe Unruhe wie immer, wenn die Leute in den Räten kalte Füße bekommen. Wir sind verloren, nicht wahr? Am Ende. Verdammt als adlige Individuen, verdammt als Gemeinden, verdammt als Burgenbewohner, verdammt als Zivilisation. Wir müssen sofort handeln, nämlich mit aller Energie geplante Handlungen unterlassen. Wir müssen schwere Entscheidungen treffen. Soll heißen: Wir müssen einen Ausschuß bilden, wir müssen einen Bericht abfassen, wir müssen einen Plan machen und Millionen von Arbeits- und Rechenstunden ausgeben, damit alles wieder in Ordnung kommt, nämlich einfach so bleibt wie zuvor, denn das Vorhaben, unseren simpelsten ethischen Ansprüchen an uns selbst wenigstens einmal in tausend Jahren zu genügen, bringt nur alles in Unordnung, läßt dem Verderben freien Lauf. Wir werden zerquetscht werden unter den Rädern dieses furchtbaren Unglücks. Wir müssen daher umgehend akkurate Statistiken der Erdbebenhäufigkeit auf der alten Erde aus den Archiven kramen, wir müssen Graphiken zeichnen, wir müssen einen Schritt zurückgehen und das Ganze aus der Ferne noch mal objektiv betrachten, möglichst lange, möglichst kontemplativ, wir müssen erst einmal ein Mandat von künftigen Generationen einholen… nein, meine Freunde, das alles müssen wir nicht. Was so spricht, ist nichts als ein Schuldgefühl, das sich als Angst vor Strafe äußert. Uns — nun, einigen von uns — beginnt sehr spät zu dämmern, was für ein Unrecht hier begangen wurde, und das Verhängnis, vor dem wir uns fürchten, ist in Wahrheit nichts als die Züchtigung, von der wir glauben, sie verdient zu haben. Aber die Evolution, das sollten alle wissen, ist keine moralische Anstalt, und dieses Parlament ist keine Schule, die Verhaltensnoten ausgibt. Alles, was wir tun müssen, ist das praktisch und technisch Richtige. Das Vernünftige. Und wenn zu den Kosten gehört, daß wir die Statik der Burgen überprüfen und verbessern, dann hat das doch manchen Nebennutzen — etwa den, daß wir gegen künftige Meteoriteneinschläge und deren Folgen besser gerüstet sind. Es gibt überhaupt keinen Grund, sich zu fürchten. Nicht einmal das Urteil der Nachwelt steht unserer freien Entscheidung im Weg — wir werden diese Nachwelt nämlich, das scheint man zu vergessen, selbst erleben. Die meisten von uns haben noch viele Jahrhunderte vor sich! Also warum nicht anständig handeln, um darauf lange, lange stolz zu sein?«

Im Grunde war es der Gebrauch des winzigen Fürworts» wir«, was dieser Rede und damit der ganzen Kampagne den Erfolg sicherte — diese Art, sich auszudrücken, stellte die eigentlich erst angestrebte Versöhnung zwischen denen, die in den Gräben wohnten, und den Adligen in den Burgen als bereits vollendet dar.

«Keine üble Finte«, fand selbst Sankt Oswald, der Politik auch jetzt noch verabscheute, obgleich er Padmasambhavas Ziel guthieß.

Bernsteller Kurppheijn Tisla und andere, die zu den lautesten Erdbebenwarnern gezählt hatten, vollzogen binnen kürzester Zeit eine Kehrtwendung und waren nun, um ihre Klientel nicht zu verlieren, der breit ausgeführten Meinung, daß die Einstellung des Experiments langfristig weit über das von Padmasambhava angesetzte Maß hinaus Gewinne an Rechen- und Arbeitszeit abwerfen werde, die man etwa in dringend benötigte Verbesserungen der Energiemeteorologie investieren konnte:»Die nun schon seit Dekaden jährlich um rund zweihundert Prozent anwachsende Nachfrage in den Burgen nach genaueren Informationen über die topographische Struktur der Sonneneinstrahlung zum Zweck der Planung neuer Kollektoren-Arrays wird so befriedigt werden. Die Satelliten, die man bislang zur Protokollierung des Experiments eingesetzt hat, lassen sich zu Sonnenmeßplattformen umrüsten, und aus diesen Daten kann man die Strahlungsflußdichte am Erdboden über die Strahlungsbilanz gewinnen.«

«Von mir aus«, war Padmasambhavas Meinung dazu.»Ich weiß nicht einmal, ob sie das alles selber glauben«, erklärte sie Sankt Oswald,»aber sie sagen's, um sich als Unterstützer meines Programms zu inszenieren, weil sie sonst in der Obskurität zu versinken fürchten. Und das wiederum sagt mir, was ich hören will. «Sie konnte nicht zwinkern, ihr fehlten die Lider, aber er verstand sie auch so.

«Du hast gute Musik gespielt, Rattenfängerin.«

Nicht schön gesagt, aber schön gesehen.

6. Beben und Nachbeben

Triumph, Ruhm und höchste Ehren — der einzige echte Verlust, den Padmasambhava im Zusammenhang mit ihrer politischen Arbeit zu verschmerzen hatte, war die Trennung von Lodas Osier, dem irgendwann» der ganze Wahnsinn, das Gehetze «zuviel wurden.

Weinerlich kam er ihr obendrein:»Ich war für dich ja nur ein Lückenbüßer, bis du wieder Aufnahme findest in die erlauchten Kreise der Eons und Raphaelas«, nun ja.