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»Ihr bleibt hier, ich versuche, ob es hier ein Durchkommen gibt. Bin ich nach einer Stunde nicht zurück, dann kehrt um und benachrichtigt Marcian.«

Lysandra stieß ihre Fackel ins Erdreich, das den Tunnel blockierte. Wenn sie kriechen mußte, würde die Fackel sie mehr behindern, als daß sie Nutzen bringen würde.

»Ich wünsche dir Glück«, erklang Nyrillas Stimme.

Einen Augenblick zögerte die Amazone und überlegte sich, sich zum Abschied noch einmal umzudrehen. Doch mochte auch das eine Falle sein. Ein subtiler letzter Versuch, sie doch noch durch die Macht ihrer Elfenaugen in einen Bann zu schlagen. Nein, sie würde darauf nicht hereinfallen! Vorsichtig kroch Lysandra in den engen Schacht. Erdmassen und herabgestürzte Felsbrocken hatten den ursprünglichen Gang fast völlig verschüttet. Nur ein enger gewundener Weg war übriggeblieben.

Bald mußte sich die Amazone flach auf den Bauch pressen, um noch weiter zu kommen. Ihre Hände und ihr Gesicht waren bald völlig verschmutzt. Lysandra grinste vor sich hin. Wie ein Maulwurf würde sie aussehen, wenn sie hier wieder herauskam. Wenigstens hatte sie bisher Glück, und der Durchgang war nicht plötzlich völlig verschüttet.

Unermüdlich kroch sie weiter durch die Finsternis. Die Dunkelheit war so absolut, daß sie kaum ihre eigenen Hände sehen konnte. Wenn nur das Erdreich nicht nachgab! Schon eine leichte Erschütterung mochte ausreichen, um den kleinen Durchgang einstürzen zu lassen. Sie erschauderte. Es wäre unmöglich, ihr dann noch rechtzeitig zu Hilfe zu kommen. In aller Deutlichkeit stand ihr vor Augen, was für ein Ende sie in diesem Fall nehmen würde. Die Erde würde sie ersticken. Wenn sie Glück hatte, würde herabstürzendes Gestein sie zerquetschen, oder Staub und Dreck würden ihr in den Mund gepreßt, so daß sie daran erstickte.

Sie mußte an etwas anderes denken! Kalter Schweiß rann ihr über den Rükken. Lysandra versuchte schneller vorwärtszukommen. In der Dunkelheit stieß sie sich das Bein auf. Es mußte ein tiefer Schnitt sein, doch es war zu eng, um sich aufzurichten und die Wunde zu versorgen.

Weniger denn je, verstand sie in dieser Lage, wie es ganze Völker geben konnte, die freiwillig unter der Erde lebten. Was mochte die Zwerge nur dazu bewegen, sich in Sumus Leib zu graben und ein Leben in Finsternis zu führen?

Endlich wurde der Gang ein wenig breiter! Lysandra konnte sich jetzt auf allen vieren vorwärtsbewegen. Schließlich konnte sie wieder aufrecht stehen. Doch es war immer noch unmöglich, etwas zu erkennen. Es war, als habe man ihr ein Tuch vor die Augen gebunden. Lysandra tastete nach den Wänden des Tunnels. Hier schien der Gang wieder von der selben Beschaffenheit wie vor der Einsturzstelle zu sein.

Was war das?

Angespannt lauschte sie in die Finsternis. Hatte sie nicht ein Geräusch gehört? Ein Kratzen oder Schaben ... Ob es hier Ratten gab?

Die Amazone hielt den Atem an. Da war es wieder ...

Es schien links von ihr durch die Erdwand zu kommen. Sie preßte das Ohr an den feuchten Lehm. Jetzt hörte es sich fast wie dumpfe Schläge an. Wieder fielen ihr Himgis Worte ein.

Der Zwerg hatte unrecht gehabt. Die Orks waren nicht unter ihren Füßen... Sie waren schon viel weiter! Das waren Geräusche von Spitzhacken, die in weiches Erdreich schlugen.

Wie weit sie wohl noch entfernt waren? Zwei oder drei Schritte? Oder ein Dutzend Schritte? Sie mußte Himgi holen. Er würde das besser abschätzen können.

Lysandra drehte sich um und suchte tastend nach dem Einstieg in den halbverschütteten Tunnel. Einen Moment zögerte sie. Alles in ihr sträubte sich dagegen, sich noch einmal wie ein Wurm durch’s Erdreich zu winden.

»Rondra schütze mich, und schenke mir einen Tod auf dem Schlachtfeld, so daß ich mich würdig erweisen kann, dereinst an deiner Ehrentafel zu sitzen«, betete die Amazone leise. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und zwängte sich wieder in den engen Durchgang.

»Du hast was?« Marcian war außer sich vor Wut, als Himgi ihm von seiner Entdeckung berichtet hatte. »Wie konntest du nur Lysandra sagen, was du gesehen hast? Was glaubst du wohl, wo sie jetzt ist? Sie hatte von Anfang an keine Angst vor dem Runenstein, und du hast ihr jetzt einen Grund geliefert, ihn aus der Mauer zu brechen.« Himgi blickte verlegen zu Boden und schwieg.

»Los, hol zehn deiner Leute und komm so schnell wie möglich ins Purpurgewölbe.«

»Jawohl, Kommandant!« Der Zwergenhauptmann salutierte und verließ im Laufschritt das große Turmzimmer, in dem Marcian sein Quartier genommen hatte.

Hastig zerrte der Inquisitor den schweren, schwarzen Wollumhang vom Haken neben dem Kamin. So hatte es ja kommen müssen ...

Im Grunde hatte Lysandra recht mit dem, was sie tat. Viel zu lange hatten sie schon gezögert, den Stein aus der Wand zu brechen. Wahrscheinlich lag dahinter nichts anderes als ein Labyrinth halbverschütterter Gänge. Er hätte Himgi nicht so anschreien sollen. Im Grunde war es nicht sein Fehler. Er, Marcian, hätte wissen müssen, daß es auf Dauer nicht gutgehen konnte, wenn er die heißblütige Lysandra den vermauerten Eingang bewachen ließ.

Ärgerlich warf der Inquisitor die Tür zum Turmzimmer hinter sich ins Schloß und stieg die lange Wendeltreppe hinab. Er würde jetzt Lancorian holen. Auf alle Fälle wäre es besser einen Magier dabei zu haben. Vielleicht würde der Zauberer spüren, wenn sich nach dem Durchbruch durch die Mauer etwas verändert hatte.

Und wenn Lysandra nun nicht gegen seinen Befehl verstoßen hatte? Was machte ihn so sicher, daß sie in den Tunnel eingedrungen war? Vielleicht hielt sie immer noch ihre Wache? Dann wäre es an ihm, den Stein aus der Mauer zu lösen. Von seinen Leuten würde er das nicht verlangen.

Marcian erreichte den Hof der Garnison und blickte zum Himmel. Blaß schimmerte das Praiosgestirn zwischen den Wolken. Sein Gott würde ihn schützen. Schließlich war er Inquisitor! Er verkörperte die Gerechtigkeit des Praios unter den Menschen. Tief atmete er die kalte Winterluft ein. Ja, er würde es tun! Und sollte ihm etwas passieren, dann war das die gerechte Buße für seine Verfehlungen in den letzten Wochen.

Wie konnte er nur so dumm sein und glauben, die Orks würden es dabei bewenden lassen, tatenlos vor den Mauern der Stadt zu lagern und darauf zu warten, daß schließlich der Hunger die Bürger zur Übergabe Greifenfurts treiben würde.

Er hätte vorhersehen müssen, daß sie sich damit nicht begnügen würden. Er war der Kommandant, und er allein trug die Verantwortung.

Wütend schritt er aus und passierte das obere Burgtor. Was wohl aus Cindira werden würde, wenn er jetzt den Tod fand? Er versuchte nicht mehr an ihr feingeschnittenes Gesicht zu denken. Ihre seidige Haut. Ihre zärtliche Stimme und die Geborgenheit, die er in ihren Armen fand.

Leise begann er die Ordensregeln der Praios-Geweihten vor sich her zu murmeln, die auch er hatte erlernen müssen, bevor er das Amt eines Inquisitors bekleiden durfte. Doch das Bild Cindiras konnte er damit nicht aus seinem Geist bannen. Vielleicht war das einer der Gründe, warum man ihn nie in die Geweihtenschaft aufgenommen hatte. Er konnte sich nie nur den göttlichen Dingen widmen.

Als Lysandra aus dem halb eingestürzten Abschnitt des Tunnels hervorgekrochen kam, war sie so sehr von Schmutz bedeckt, daß selbst das leuchtende Rot ihrer langen Haare nur noch zu erahnen war.

Noch immer hielt sie dem stechenden Blick Marcians stand. Er hatte sie vor ihren Kriegerinnen mit scharfen Worten zur Rechenschaft gezogen. Doch die Amazone legte nur trotzig den Kopf in den Nacken und starrte ihn an.

»Hätte ich die Wand nicht aufbrechen lassen und wäre durch den verschütteten Tunnel gekrochen, dann wüßten wir jetzt nicht, wie nahe die Orks ihrem Ziel sind.«

»So, du weißt wie nahe die Orks dem Ziel sind?« Marcians Stimme klang kalt und zynisch. »Hast du ihn denn gesehen, den erschlagenen Greifen und den Streitkolben des Tairach?«