»Whoo-hoo!«, jubelte Jonas. »Was sagen Sie dazu, Gruppenleiter Briggs! Das sollten Sie bei der Pfadfinderprüfung zur Aufgabe machen!«
»Oh, gut!«, sagte Andrea und schenkte Jonas ein seltenes Lächeln. »Jetzt kann der Mann am Feuer trocknen.«
»Wir können alle am Feuer trocknen«, verbesserte sie Katherine.
Das Feuer war winzig und es gab kein trockenes Holz mehr, um es weiter anzufachen. Jonas hatte noch nie eine Mathematikaufgabe lösen müssen, in der X der Größe eines Feuers entsprach, Y die Geschwindigkeit darstellte, mit der Wasser verdampfte, und Z die Wahrscheinlichkeit, dass jemand überlebte, der fast ertrunken war, sich den Kopf angeschlagen hatte und im bazillenverseuchten Dreck lag, oder dass drei Kinder jemandem ein Schnippchen schlugen, der ihre Reise durch die Zeit sabotiert hatte. Ihm war klar, dass das Feuer keinen allzu großen Unterschied machen konnte. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass es so war, dass sie jetzt alle eine Chance hatten.
»Komm«, sagte er zu Andrea. »Ich helfe dir den Mann näher ans Feuer zu schieben, damit er sich schneller aufwärmt.«
Jonas schob an der Hüfte, Katherine an den Schultern und Andrea bettete vorsichtig seinen Kopf um. Jonas war vor allem darauf bedacht, den Mann nicht ins Feuer zu schubsen, deshalb achtete er kaum auf andere Dinge. Er hatte völlig vergessen, dass die Markerjungen den Markermann direkt neben dem Markerfeuer abgelegt hatten, das sich an der gleichen Stelle befand wie Jonas' Feuer, und auch, was geschah, wenn sich eine Person mit ihrem Marker vereinigte.
Er schob den Körper des Mannes noch ein kleines Stück vor und plötzlich erlosch das Leuchten des Markers. Der Mann war ganz und gar in die Umrisse seines Markers geschlüpft.
Sein Gesicht nahm auf der Stelle Farbe an. Er bewegte die Lippen, auch wenn er die Augen weiter geschlossen hielt.
»Habgierige Kaperer«, murmelte er. »Haben nichts als Profit im Sinn . Gelangen viel zu spät im Jahr nach Roanoke . Gefährliche Winde, gefährliche See . Zu Hilfe! Die Felsen! Die Felsen! Nehmt euch vor den Felsen in Acht!« Erschöpft rang er nach Luft. »Nein! Nein! Unser Schiff! Wir sind verloren! Wir werden alle zugrunde gehen . Es geschieht! Oh, lieber Gott! Alle außer mir sind dahin!«
Jonas riss den Mann von seinem Marker fort.
Siebzehn
»Warum hast du das gemacht?«, wollte Andrea wissen.
Es war nur ein Impuls gewesen, eine unwillkürliche Angst. Der Mann und sein Marker bewegten immer noch die Lippen, doch jetzt, wo sie getrennt waren, war kein Laut mehr zu hören. Jonas erriet, was sie sagten, allerdings nur, weil sie sich ständig wiederholten: Alle außer mir sind dahin, alle außer mir sind dahin, alle außer mir...
Jonas schauderte.
»Was ist?«, fragte Andrea herausfordernd. »Kannst du es nicht ertragen, noch eine traurige Geschichte zu hören?«
Jonas rieb sich das Gesicht.
»Nein, ich wollte nur . was ist, wenn es den Mann zu sehr verwirrt, mit seinem Marker vereint zu sein und mit seinem Verstand zu denken?«, fragte er und suchte nach einer vernünftig klingenden Erklärung. »Der Marker weiß, dass er von zwei Jungen gerettet wurde, die wie Indianer aussahen, und nicht von drei Kindern in T-Shirts, Jeans und Shorts. Und wenn er uns sieht statt der Markerjungen - weil Menschen in ihrer angestammten Zeit ja keine Marker sehen können -, dann bringt ihn das erst recht durcheinander.«
»Aber der Mann hat überhaupt nicht mitbekommen, dass wir ihn gerettet haben«, wandte Katherine ein. »Er wird einfach glauben, die Markerjungen hätten ihn gerettet und wären fortgegangen. Und dann sind wir gekommen. Wir haben im fünfzehnten Jahrhundert auch Leute gesehen, die in ihren Marker geschlüpft sind, nachdem sie andere Dinge gesehen hatten. Ich glaube nicht, dass das irgendwelche negativen Auswirkungen hatte.«
Jonas ging noch etwas anderes durch den Kopf.
»Du glaubst, wenn der Mann aufwacht, ist es für ihn kein Problem, uns in Klamotten aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert zu sehen?«, hakte er nach. »Hier und jetzt, wo wir absolut nicht hingehören? Wo alles nur das abgekartete Spiel eines geheimnisvollen Zeitreisenden ist, der Andrea belogen hat?«
»Nein«, gab Katherine zu und erschrak. Vermutlich dachte sie daran, wie sie den Mann am Strand geschüttelt hatte, um ihn aufzuwecken: Sir? Sir? Das war ein Fehler gewesen. Sie konnten von Glück sagen, dass der Mann nicht aufgewacht war.
Behutsam nahm Katherine die Hand von seiner Schulter.
»Moment. Heißt das, du willst dich einfach . davonschleichen?«, fragte Andrea ungläubig. »Ihn hier allein zurücklassen, obwohl er verletzt ist?«
Der Mann stieß immer noch seine lautlosen Klagen aus: Alle außer mir sind dahin, alle außer mir sind dahin, alle außer mir sind dahin .
Mit der gleichen Behutsamkeit wie Katherine nahm Andrea die Hand des Mannes und hielt sie fest.
»Sch, sch, es ist vorbei«, flüsterte sie ihm zu. »Sie sind in Sicherheit.« Dann sah sie wieder zu Jonas und Ka-therine. »Habt ihr nicht gehört, was er gesagt hat? Er ist der einzige Überlebende eines schrecklichen Schiffsunglücks. Also wird niemand nach ihm suchen. Er ist genauso gestrandet wie wir. Wir können ihn nicht im Stich lassen.«
Jonas schüttelte den Kopf.
»Niemand hat gesagt, dass wir ihn im Stich lassen wollen«, sagte er. »Wir versuchen nur herauszufinden, wie wir uns um ihn kümmern können, ohne die Zeit zu ruinieren.«
Aber war das überhaupt möglich? Oder war es wieder eine Falle, in der sie wohl oder übel gezwungen sein würden, die Zeit zu gefährden?
»Hätten wir doch nur den Definator noch, um uns unsichtbar zu machen«, sagte Katherine.
Andrea seufzte.
»Tut mir wirklich leid«, sagte sie. Sie starrte sekundenlang ins Feuer, ihr Gesicht fast ebenso unergründlich wie das der Markerjungen. »Nein, wisst ihr was? Es tut mir nicht leid. Wenn ich den Code nicht verändert hätte, wäre dieser Mann jetzt tot.« Sie drückte seine Hand. »Könnt ihr euch vorstellen, wie oft ich mir im letzten Jahr gewünscht habe zurückgehen und jemanden vor dem Tod bewahren zu können?«
»Andrea«, sagte Katherine. »Das hier ändert nichts an der Sache mit deinen Eltern. Du kannst sie nicht retten.«
»Ich weiß, ich weiß, aber . es ist trotzdem ein kleiner
Sieg über den Tod«, erwiderte Andrea erregt. »Eine Möglichkeit, ihm ein Schnippchen zu schlagen und zu sagen: >Ha, hier ist jemand, den du noch nicht haben kannst! Du magst am Ende gewinnen, aber jetzt noch nicht. Nicht dieses Mal.<«
Der Mann kann immer noch sterben, dachte Jonas. Ist es wirklich ein Sieg über den Tod, wenn er auch im ursprünglichen Verlauf der Geschichte gerettet werden sollte? Oder ist es nicht eher ein Sieg über ... die Zeit?
Andrea war ein wenig rot geworden, als hätte sie mehr von sich preisgegeben als beabsichtigt. Jonas musste den Blick abwenden, weil er einfach nicht klar denken konnte, wenn er sie ansah.
»Sollen wir uns vor ihm verstecken, wenn wir uns nicht gerade um ihn kümmern müssen?«, fragte Kathe-rine. »Oder sollen wir ihn wieder mit seinem Marker zusammenschieben und ihn so belassen, weil wir damit die Zeit wieder in ihren vorgesehenen Verlauf bringen? Oder ist es besser, ihn von seinem Marker fernzuhalten, bis wir die echten Gegenstücke der Markerjungen gefunden haben? Aber wie sollen wir sie und Andreas Marker finden und was sonst noch notwendig ist, um die Zeit zu reparieren und von hier zu verschwinden?«
Sie klang völlig durcheinander.
Genau das muss Andreas Unbekannter beabsichtigt haben, als er sie dazu gebracht hat, den Definatorcode zu ändern, überlegte Jonas und starrte ins Feuer. Er wollte uns verwirren. Um uns dazu zu bringen, dass wir . was tun?
Jonas' Gedanken wirbelten durcheinander wie der