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Auf ihrer letzten Reise durch die Zeit waren Jonas und Katherine so dicht davor gewesen, eine der heiligen Grundregeln des Zeitreisens zu verletzen, dass HK sie in null Komma nichts aus dem fünfzehnten Jahrhundert herausgerissen hatte. Jonas erwischte sich bei dem Wunsch, das Gleiche würde jetzt mit Andrea geschehen. Drohte sie nicht auch damit, die Zeit gänzlich über den Haufen zu werfen? Musste man sie nicht aus der Vergangenheit reißen?

Nichts geschah. Andrea zog trotzig die Nase hoch. Ihr Großvater gab ein leises Stöhnen von sich. Einer der Markerjungen drehte sich im Schlaf um und vergrub seinen Arm in Dares Fell. Und das Feuer, das Jonas so mühsam in Gang gebracht hatte, ging flackernd aus.

Das ist der Beweis, dachte Jonas düster. Ihm wurde klar, dass er trotz allem noch die winzige Hoffnung gehegt hatte, HK könnte genau wissen, wo sie waren, und alles laufe nach Plan. Wenn HKs Zeitanalyst wirklich der Allerbeste war, hätte er dann nicht vorhersehen müssen, dass Andrea den Code verändern und der Defina-tor verschwinden würde und dass Jonas und die Mädchen den Mann vor dem Ertrinken retten würden? War es nicht denkbar, dass die drei auf sich gestellt etwas taten, was besser war als alles, was sie erreichen konnten, wenn HK sie herumkommandierte? So ähnlich hatte es im fünfzehnten Jahrhundert funktioniert.

Aber was Andrea vorhatte, war einfach nur tollkühn. HK würde es nie erlauben. Also gab es auch keine Chance, dass er wusste, wo sie waren. Niemand wusste, wo sie waren.

Außer Andreas mysteriösem Unbekannten, dachte Jonas.

Das war kein beruhigender Gedanke.

»Andrea ...«, sagte Jonas.

»Ich habe mich entschieden«, sagte diese. »Ich werde es mir nicht mehr anders überlegen.«

Sie bückte sich, um John White etwas ins Ohr zu flüstern, doch Jonas verstand jedes Wort.

»Morgen. Morgen reden wir.«

Zwanzig

Jonas rechnete damit, die ganze Nacht sorgenvoll wach zu liegen und nach dem richtigen Argument zu suchen, mit dem er Andrea aufhalten konnte.

Das hier ist wie beim Risikospielen, dachte er. Es gibt zu viele Seiten, zu viele Komplikationen. Da ist das, was Andrea will, dann das, was ihr mysteriöser Unbekannter im Schilde führt, der ursprüngliche Verlauf der Zeit und die historische Überlieferung ...

Es war schwer, im Stockdunkeln und inmitten dieser absoluten Verzweiflung und Verwirrung wach zu bleiben. Jonas döste ein, und ehe er sich's versah, strömte das Sonnenlicht durch den Eingang.

Allerdings war es ein merkwürdiges Sonnenlicht: Es schien nicht ganz bis auf den Boden vorzudringen. Jonas konnte weder die schlafenden Umrisse von Andrea oder Katherine erkennen noch die von John White. Nicht einmal die Marker konnte er sehen.

Hastig setzte er sich auf. Das Problem waren nicht die Sonnenstrahlen oder seine Augen. Das Problem war, dass sich außer ihm niemand mehr in der Hütte befand.

Er wollte sich gerade seiner Panik überlassen, als Jo-nas draußen vor der Tür ein Schnarchen vernahm: Es war ein tiefer, männlicher Laut, der von John White stammen musste. Jonas konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum die Mädchen den schlafenden Mann vor die Hütte gebracht hatten. Wollte Katherine ihn von seinem Marker trennen oder versuchte Andrea beide zusammenzulassen? Es tat richtig gut, den Mann schnarchen zu hören und zu wissen, dass er immer noch tief und fest schlief, dass noch nichts geschehen war, was sich nicht mehr rückgängig machen ließ. Jonas beruhigte sich und suchte weiter nach Argumenten, die er Andrea gegenüber vorbringen konnte.

Die Zeit ist ihr egal, aber nicht ihr Großvater . Und wenn wir ihr sagen, dass sie nicht mit ihm reden soll, weil ihn das belasten und sie ihm damit Angst einjagen würde .

Ein Gedanke kratzte am Rand seines Bewusstseins, eine Idee, die ihm in der vergangenen Nacht gekommen sein mochte, kurz bevor er eingeschlafen war, vielleicht sogar mitten im Schlaf. Irgendetwas Wichtiges im Zusammenhang mit Andrea. Doch er war noch nicht wach genug; der Gedanke entglitt ihm und blieb vage.

Neben dem Schnarchen hörte Jonas draußen eine gedämpfte Mädchenstimme. Allerdings war sie so leise, dass er nicht unterscheiden konnte, ob sie Andrea oder Katherine gehörte.

Das Reden passt eher zu Katherine, aber der Lautstärke nach müsste es eher Andrea sein, dachte er mit einem kleinen Grinsen.

Dann hörte er eine grollende Männerstimme, die antwortete.

Jonas lauschte wie erstarrt. Das war bestimmt nur der Mann, der wieder im Schlaf sprach, nicht wahr? Er fantasierte. Es konnte einfach nicht John White sein, der Andrea da draußen Antwort gab. Sie verachtete die Zeit so sehr, dass sie glatt imstande war, etwas zu sagen wie: Hallo, Opa. Lange nicht gesehen.

Plötzlich hatte Jonas das perfekte Argument für sie, jenen Gedanken, der schon einmal in ihm aufgeblitzt war, der ihm schon vor Stunden hätte einfallen sollen, als noch Zeit genug gewesen war, um Andrea aufzuhalten.

Hatte er jetzt noch genug Zeit?

Mit einem Satz sprang Jonas auf und stürzte zur Tür hinaus. Um ein Haar wäre er über Dare gestolpert, der ausgestreckt und fest schlafend direkt vor dem Eingang lag. Na toll, es war der Hund, der geschnarcht hatte. Jonas sah sich blitzschnell um und suchte nach Andrea und ihrem Großvater.

Sie saß direkt vor ihm auf der Lichtung und hatte Jonas mehr oder weniger den Rücken zugewandt. Ihr Mund stand offen. War sie gerade im Begriff, die Worte auszusprechen, die hier und jetzt alles ruinieren würden?

Jonas machte einen Hechtsprung auf sie zu. Eigentlich wollte er nur nahe genug an sie herankommen, um ihr etwas zuzuflüstern, doch er hatte sich verschätzt. Stattdessen vollführte er ein Tackling und warf sie seit-lich um. Er stemmte sich hoch, um ihr ins Ohr zu flüstern, was ihm gerade eingefallen war.

»Es waren nur drei Jahre, Andrea!«, zischte er. »Du hast es selbst gesagt: Gouverneur White ist drei Jahre später nach Roanoke zurückgekehrt! Das bedeutet . die Enkelin, nach der er sucht, ist drei Jahre alt!«

Einundzwanzig

Andrea reagierte nicht richtig.

In Jonas' wildesten Träumen hätte sie vielleicht die Arme um ihn geschlungen, ihm einen leidenschaftlichen Kuss gegeben und gerufen: »O danke! Vielen Dank! Du hast mich davor bewahrt, mein Leben zu ruinieren. Und das meines Großvaters!«

Doch im Grunde seines Herzens rechntete er nicht wirklich damit.

Allerdings hoffte er schon auf ein »Ja, du hast recht. Daran hätte ich denken müssen!«. Oder wenigstens auf ein »Danke, du hast mich gerade noch rechtzeitig aufgehalten!«.

Andrea lag einfach auf der Erde und murmelte: »Und wennschon.« Jonas lehnte sich zurück.

»Du hast doch noch nichts zu ihm gesagt, oder?«, fragte er leise. Andrea zuckte die Achseln. »Spielt keine Rolle.«

»Spielt keine Rolle?«, wiederholte Jonas ungläubig. »Natürlich spielt es .« Er verstummte, weil in diesem Moment Katherine he-rankam und ihm einen Stoß versetzte, der ihn wieder umwarf.

»Jonas, du Vollidiot! Wenn John White dich jetzt gesehen hätte?«

Jonas sah sich um und ging im Kopf noch einmal alles durch. Er war aus der Hütte gerannt... und John White hatte direkt auf der anderen Seite der Lichtung gesessen, zwischen den beiden Markerjungen.

Jonas duckte sich.

»Er sieht genau zu uns rüber!«, zischte er Katherine zu. »Was sollen wir tun?«

Er hatte sich solche Sorgen gemacht, dass Andrea die Zeit ruinieren könnte, indem sie mit John White sprach. Und nun - was hatte er selbst getan?