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Das Kanu schoss vorwärts. Andrea paddelte noch kräftiger als zuvor, was Jonas so beschämte, dass er ebenfalls beschleunigte.

Er glitt durch den Körper des ersten Markerjungen. Zog mit John Whites Füßen gleich, mit seinem Bauch, dann mit seinem Kopf. Das Kanu stockte, es fiel zurück, holte auf, fiel wieder zurück, holte auf. Und dann sorgte Jonas mit einem letzten Paddelschlag dafür, dass sich das echte Kanu und sein Marker exakt überlagerten.

Jonas sah zu dem zweiten Markerjungen hinüber, der direkt neben ihm paddelte.

»He«, murmelte er. »Wird es nicht langsam Zeit für eure Kaffee-, äh, Trockenfleischpause?«

Hungrig, durstig und erschöpft, wie er war, kam ihm das unglaublich witzig vor. Richtig sehen konnte er den Markerjungen nicht, nur als Echo seiner selbst: Hin und wieder löste sich ein Arm von Jonas' Arm; oder eine extra Nase beugte sich aus seinem Gesicht nach vorn. Es war, als spreche er mit seinem eigenen Schatten, als gleite er durch Nebel.

Und dann hörte der Marker urplötzlich auf wie ein Schatten oder Nebel auszusehen. Er hörte auch auf wie ein Marker auszusehen. Stattdessen wirkte er wie ein richtiger Junge mit Armen und Beinen, einem Oberkörper und einem Kopf, und er versuchte den gleichen Platz einzunehmen wie Jonas. Es war, als würde jemand von oben auf ihn drauffallen, von unten anspringen und von allen Seiten auf ihn einstürmen - alles auf einmal. So als hätten Zeit und Raum einen Schluckser von sich gegeben und die andere Person hätte aus irgendwelchen Gründen einen größeren Anspruch auf Jonas' Platz als dieser selbst.

Er fiel augenblicklich aus dem Kanu.

Neunundzwanzig

Jonas schlug hart auf, das kühle Wasser auf seiner verschwitzten Haut war ein Schock. Er ging unter, fing an zu strampeln und kam prustend wieder nach oben. Seine Beine verkrampften sich bereits; er hatte große Mühe, auch nur den Kopf über Wasser zu halten.

Deshalb haben sie im Ferienlager immer darauf bestanden, dass wir Schwimmwesten tragen, dachte Jonas. Für den Fall der Fälle.

Jetzt allerdings brauchte er einen Reserveplan.

Mal sehen. Wie wär's mit etwas zum Festhalten; etwas, das schwimmt und dich über Wasser halten kann?

Dort, wo Jonas aus dem Kanu gefallen war, gab es kilometerweit nichts als Wasser. Er war so weit vom Ufer entfernt, dass schon eine göttliche Intervention erforderlich wäre, um hier einen einzelnen Ast oder einen in der Nähe treibenden Baumstamm zu entdecken. Oder Zweis Intervention, aber darauf wollte sich Jonas lieber nicht verlassen. Allerdings hatte er ein Paddel umklammert, als er ins Wasser gefallen war ...

Jonas hob die Hände vors Gesicht und betrachtete sie sorgfältig. Hielt er das Paddel vielleicht immer noch fest?

Nein. Seine Hände waren leer.

»Jonas!«, schrie Katherine. Ihre Stimme klang verzerrt, weil Jonas so viel Wasser in den Ohren hatte. »Schwimm zum Kanu zurück!«

Oh. Ja, das würde es auch tun. Daran konnte er sich festhalten.

Jonas war mit dem Rücken zum Kanu wieder aufgetaucht, dennoch war es ein wenig seltsam, dass er es fast völlig vergessen hatte. Vielleicht wollte sich sein Kopf einfach nicht mit der merkwürdigen Geschichte befassen, die ihm soeben zugestoßen war?

Jonas holte tief Luft und wirbelte herum.

Das Kanu war inzwischen einige Meter entfernt und trieb stetig von ihm fort. Doch es hatte sich wieder in zwei einzelne Kanus aufgeteilt - vielleicht auch nur in anderthalb? Oder eindreiviertel?

Dies war kein Zeitpunkt, an dem es auf zahlenmäßige Genauigkeit ankam, befand Jonas.

Die Markerversion des Kanus war im Begriff, wieder davonzugleiten, allerdings nicht in einer geraden Linie, sondern in ziemlich schrägem Winkel, wobei es heftig vor- und zurückruckte. Nein, es war das echte Kanu, das so heftig ruckte, als würde es von Verrückten gepaddelt.

Vorn im echten Kanu, dort, wo sich kurz zuvor noch Jonas befunden hatte, saß ein Junge mit kurzen dunklen Haaren, gepiercten Ohrläppchen und einem T-Shirt, auf dem stand: Sarkasmus - nur eins meiner vielen Talente. Der Junge starrte völlig perplex auf das Paddel in seiner Hand.

Andrea schrie dem Sarkasmus-Jungen von hinten zu: »Paddel weiter! Wir erklären dir alles nachher. Aber jetzt paddel!«

Hoffentlich kann Andrea mir nachher auch alles erklären, dachte Jonas.

Wenn sie nicht gerade den Jungen vorn im Boot anschrie, stritt sich Andrea mit einem Jungen - oder waren es zwei verschiedene? -, der mehr oder weniger auf ihr saß. Jonas kniff die Augen zusammen und blinzelte, um das Doppelbild zu verscheuchen. Der Junge, den er jetzt sehen konnte, genau wie jener, den er noch einen Augenblick zuvor zu sehen geglaubt hatte, war dunkelhäutig. Sein Haar war extrem kurz geschoren, fast wie abrasiert, und er trug ein Beatles-T-Shirt. Wieder blinzelte Jonas und plötzlich war der Junge verschwunden und stattdessen saß der andere da. Dieser war von der Taille aufwärts nackt - mehr konnte Jonas nicht sehen - und sein Haarschnitt kam ihm merkwürdig bekannt vor.

Na klar. Er sieht aus wie einer der Markerjungen, denen wir gefolgt sind.

Vor Jonas' Augen schwenkte das hintere Ende des Kanus aus und der Junge im Beatles-T-Shirt war wieder da, neben ihm die Markerversion des Jungen mit dem nackten Oberkörper.

»Nein, nein, du musst genauso paddeln wie dein Marker!«, schrie Andrea. »Du musst an der gleichen Stelle sitzen! Du musst alles zusammenhalten, damit ich dem Kerl da vorn helfen kann!«

Sie schubste den Jungen nach rechts; eine erstaunliche Leistung, denn er war größer und kräftiger als sie. Dann legte sie die Hände über die Hände des Jungen mit dem Paddel und tauchte es ins Wasser. Sie versuchte das Kanu wieder so auszurichten, dass es mit seinem Marker übereinstimmte. Versuchte sie auch die Jungen so auszurichten, dass sie mit ihren Markern übereinstimmten?

Also das sind die Jungen, die so urplötzlich aufgetaucht sind, dachte Jonas, dessen Verstand endlich wieder in die Gänge kam. Der Sarkasmus- und der Beatles-Junge sind die echten Gegenstücke unserer Markerfreunde, der falschen Indianer.

Jonas strampelte einen Augenblick lang einfach nur auf der Stelle und genoss den Triumph, endlich etwas enträtselt zu haben. Sein Hirn weigerte sich weitere Fragen aufzunehmen. Schon gar nicht jene von der verstörenden, unlösbaren Sorte, die sich einfach einzuschleichen drohten.

»Jonas, hörst du vielleicht mal auf, da draußen rumzuhängen?«, schrie Katherine. »Wir brauchen deine Hilfe!«

Oh, dann ging es ihr also doch nicht nur darum, ihm das Leben zu retten? Sie wollte, dass er die Probleme im Kanu löste.

»Klettere nach vorn und übernimm das Paddel, Katherine!«, rief Andrea. »Wir verlieren die Marker!«

»Nicht, bevor wir Jonas gerettet haben!«, schrie Katherine zurück.

Na gut, vielleicht war es ihr doch wichtig, ihm das Leben zu retten.

Lag Andrea so wenig an ihm, dass sie bereit war, ihn zurückzulassen?

Jonas sank ein wenig tiefer, seine verkrampften Beine wurden von Schmerzen durchzuckt und seine erschöpften Arme waren kaum noch in der Lage, das auszugleichen. Das Wasser ging ihm jetzt bis über den Mund; er musste den Kopf ein wenig schief legen, um die Nase über Wasser zu halten. Zum ersten Mal im Leben konnte er nachvollziehen, wie jemand, der das Schwimmen beherrschte, trotzdem ertrinken konnte.

»Schwimm, Jonas!«, befahl Katherine. »Hör auf Wasser zu treten und schwimm!«

Wasser zu treten war einfacher und Jonas hundemüde, dennoch wandte er sich gehorsam dem Boot zu. Sein Kraulbeinschlag brachte gar nichts, wie war es dann mit Grätschschlag? Scherenschlag? Delfin?