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»Sag es nicht!«, unterbrach ihn Antonio. »Sag bloß nicht >Großer Geist< oder so was Ähnliches. Das drückt es nicht richtig aus. Es lässt sich nicht übersetzen und sie würden doch bloß lachen.« Er löste seinen Arm vom Marker und gestikulierte aufgebracht in Jonas', Katherines und Andreas Richtung.

»Wir?«, fragte Katherine mit gespielter Unschuld. »Dann sag es in Algonkin. Das verstehen Jonas und ich. Wir helfen euch, es zu übersetzen.«

»Ist doch egal«, murmelte Antonio und wandte sich wütend ab. Verstohlen neigte er den Kopf seinem Marker zu, sodass nichts außer seinem Mund von ihm getrennt blieb. »Die Marker räumen auf und bereiten ein Nachtlager vor«, sagte er unwirsch. »Brendan, du soll-test dich besser wieder mit deinem Typen zusammentun, damit wir es auch richtig machen.«

»Alles klar«, sagte Brendan achselzuckend.

»Jonas, kannst du mir helfen, etwas beim Kanu zu suchen?«, fragte Katherine.

»Was denn?«, fragte Jonas.

»Ich, äh, ich glaube, ich habe ein Haarband verloren«, erwiderte Katherine. Jonas sah seine Schwester an.

»Du hast es im Haar«, stellte er fest.

Sie schüttelte den Kopf, dass ihr Pferdeschwanz hin-und herschwang.

»Doch nicht das Haarband«, sagte sie. »Ein anderes. Es könnte die Zeit für immer ruinieren, wenn wir es nicht finden.«

Obwohl er den ganzen Tag geschlafen hatte, war Jonas immer noch sehr müde. Allein der Gedanke ans Aufstehen erschien ihm unerträglich, ganz zu schweigen davon, zum Kanu laufen und nach einem blöden kleinen Haarband suchen zu müssen, das inzwischen vermutlich unter einer dicken Sandschicht begraben lag. Wie wichtig konnte ein einzelnes Haarband schon sein? Zwei hatte ganze Farbpötte in ein falsches Zeitalter geworfen.

Und fünf Kinder samt Hund.

»Kann dir Andrea beim Suchen nicht besser helfen?«, fragte er. »Sie ist ein Mädchen. Sie kennt sich mit Haarbändern viel besser aus.«

Katherine sah blitzschnell zu den anderen hinüber. Antonio und Brendan, die wieder ganz und gar mit ihren Markern vereint waren, beugten sich über das Feuer.

Andrea, mit Dare neben sich, sah auf ihren schlafenden Großvater hinab. Keiner von ihnen blickte in ihre Richtung.

Katherine stieß Jonas den Ellbogen in die Rippen.

»Au!«, rief dieser. »Was -«

Aber Katherine hatte bereits einen Finger auf den Mund gelegt. Sie wies mit dem Kopf nach rechts, in Richtung Kanu. Dann zeigte sie blitzschnell auf sich und Jonas und gab ihm mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie reden mussten.

»Ach, du meinst -«, begann Jonas.

Katherine schüttelte entschieden den Kopf und legte wieder den Finger auf den Mund. Sie packte Jonas am Arm und begann ihn mit sich zu ziehen.

»Also gut, also gut, ich komme ja schon!«, murmelte Jonas.

Sobald sie ein paar Schritte gegangen und außer Hörweite waren, platzte es aus Katherine heraus: »Du bist vielleicht schwer von Begriff! Du wärst garantiert der lausigste Spion der Welt! Meine Freundinnen hätten schon vor Ewigkeiten begriffen, dass ich mit ihnen allein reden will!«

»Kein Wunder!«, murmelte Jonas. »Die interessieren sich auch für Haarbänder.«

Katherine verdrehte die Augen. In der Nähe des Kanus ließ sie sich auf die Knie fallen und begann den Sand mit den Fingern durchzusieben.

Jonas stöhnte.

»Bitte sag mir, dass du nicht wirklich ein Haarband verloren hast«, sagte er.

Katherine hob gerade lange genug den Kopf, um ihn wütend anzufunkeln.

»Nein, aber es muss so aussehen, als ob du nach einem Gummiband suchst«, erinnerte sie ihn. »Für den Fall, dass jemand hersieht.« Sie wies mit dem Kopf zu den anderen hinüber.

Widerstrebend kniete sich Jonas neben seine Schwester und begann mit den Händen willkürlich Sand aufzuwerfen. Seine Knie taten weh. Seine Schultern ebenfalls. Und sein Kopf war immer noch benebelt. Der in der Sonne verschlafene und mit Albträumen verbrachte Tag hatte ihn nicht annähernd kuriert. Am schlimmsten aber war, dass es ihn schon wieder kalt überlief; kleine Angstschauer jagten ihm den Rücken hinunter und warnten ihn vor einer herannahenden Gefahr.

»Was hast du?«, fragte er Katherine, wobei seine Stimme rau und vorwurfsvoll klang. »Vertraust du Antonio und Brendan am Ende doch nicht?«

Katherine schob Sand beiseite und legte neuen Sand frei.

»Das ist es nicht«, flüsterte sie. »Ich ... ich traue ihren Markern nicht.«

Zweiunddreißig

Jonas ließ eine Handvoll Sand fallen, sodass eine dicke Staubwolke aufstieg.

»Spinnst du?«, fragte er. »Hast du dir heute Nachmittag einen Sonnenstich geholt? Was meinst du damit, dass du den Markern nicht traust? Das sind Marker! Sie sind gar nicht richtig da! Und sie wissen nicht, dass wir hier sind! Ihnen ist es egal, ob wir nach einem Gummiband suchen oder nicht. Für sie existieren wir gar nicht!«

Der Staub stieg ihm in Mund und Nase und brachte ihn zum Husten. Dabei fiel ihm ein neues Argument ein.

»So wie ich das sehe, sind die Marker vielleicht die Einzigen, denen wir überhaupt trauen können!«, sagte er. »Wir wissen, dass sie nur das tun, was sie tun sollen, weil sie, na ja, weil sie eben Marker sind! Sie müssen sich korrekt verhalten! Ich mag Andrea .«

»Du magst sie zu sehr«, fiel ihm Katherine ins Wort.

Jonas ging darüber hinweg.

»... aber ihr ist egal, was mit der Zeit passiert«, fuhr er fort. »Brendan scheint in Ordnung zu sein, aber wie können wir sicher sein, dass er und Antonio nicht für Zwei arbeiten?«

»Du hast sie am Anfang nicht gesehen«, sagte Kathe-rine. »Sie hatten nicht den blassesten Schimmer und waren total verängstigt. Sie wussten überhaupt nicht, was los war.«

»Stimmt, aber sobald sie mit ihren Markern zusammenkamen, hätten sie .« Was Jonas hatte sagen wollen, war: alles wissen müssen. Doch er sprach nicht weiter. Er dachte an Brendan, der gesagt hatte, er wisse nicht, ob sein Marker etwas Großartiges vollbracht hatte und was er über die Insel Croatoan dachte. Brendan wusste nicht einmal, in welchem Jahr sie sich befanden. Und Antonio - vielleicht war es doch nicht nur Pampigkeit gewesen, als er sich mit der Begründung »Daran denken unsere Marker im Augenblick nicht!« geweigert hatte, ihnen zu sagen, wie weit es noch bis nach Croatoan war.

»Du glaubst...«, begann er und musste noch einmal ansetzen, um es auszusprechen. »Du glaubst, die Marker haben Geheimnisse?«

Mit großen furchtsamen Augen nickte Katherine. Jetzt, wo sie nicht mehr mit den anderen zusammen waren, erkannte Jonas, wie verängstigt sie wirklich war -und wie aufgesetzt ihre tapfere Miene und ihr fröhliches Geplapper zuvor gewesen waren.

»Chip und Alex haben im fünfzehnten Jahrhundert alles gewusst, was ihre Marker auch wussten, nicht?«, überlegte er. »Von dem Moment an, als sie sich mit ihren Markern zusammentaten, wussten sie doch alles?«

»Das nehme ich an«, sagte Katherine. »Jedenfalls hat es immer so ausgesehen. Egal was wir sie gefragt haben, sie wussten auf alles die Antwort. Außer es war etwas, was ihre Marker auch nicht wussten.«

»Vielleicht haben wir sie immer nur zu Dingen befragt, über die sie selbst auch nachgedacht hatten?«, gab Jonas zu bedenken.

»Kann sein«, stimmte Katherine ihm zu. »Wir haben sie nie etwas gefragt wie: >Welche Farbe hatte das Hemd, das dein Marker am Montag vor einer Woche anhat-te?<«

»Das könnte ich auch nicht beantworten«, sagte Jonas. »Ob mit oder ohne Marker.«

»Wohl wahr«, sagte Katherine, verkniff sich aber einen spöttischen Kommentar darüber, dass er eben nur ein blöder Junge war, während sie sich an jedes einzelne Outfit erinnern konnte, das sie seit Beginn der sechsten Klasse getragen hatte.