Jonas hatte nicht den leisesten Schimmer, wer Robert Oppenheimer war, fand es aber trotzdem ein bisschen beleidigend, als Eidechse bezeichnet zu werden.
»Moment«, sagte Katherine und stampfte mit dem Fuß auf. »Sie wollen uns wirklich einreden, das hier wäre so ähnlich, als hätten Sie gerade die Atombombe erfunden?«
Oh, dachte Jonas. Also das hat Robert Oppenheimer gemacht.
»Ich will hier keinen moralischen Vergleich anstellen«, sagte Zwei. »Ich sage nur ... dass es genauso bahnbrechend ist. Die Auswirkungen werden bis in alle Ewigkeit nachhallen.«
Katherine sah ihn wütend an.
»Sie sind verrückt«, sagte sie. »Und anmaßend.«
»Na, na«, sagte Zwei. »Findet ihr den ursprünglichen Verlauf denn gut?«
Jonas öffnete den Mund. Und machte ihn wieder zu. Auch Katherine gab keine Antwort, fiel ihm auf.
»Im ursprünglichen Verlauf der Geschichte fanden Virginia Dare und ihr Großvater nie wieder zusammen«, sagte Zwei und zum ersten Mal schlich sich ein Anflug von Trauer in seine Stimme. »Es ging knapp daneben, wie wir sagen. Die Zeit wird dort, wo etwas so knapp danebengeht, fast durchscheinend . Virginia Dare stand da und ihr Großvater war nur wenige Meter von ihr entfernt und trotzdem würden sie das nie herausfinden. Es war ihnen bestimmt, ins Grab zu sinken, ohne etwas über das Schicksal des anderen zu erfahren. Und das Grab wartete schon bald auf sie, das könnt ihr mir glauben. Findet ihr nicht, dass die Zeit da einen Fehler gemacht hat? Sollte man den nicht korrigieren?«
Die Frage hing in der Luft. Jonas sah Zweifel über das Gesicht seiner Schwester huschen.
»Sie manipulieren uns schon wieder«, warf er Zwei vor. »Das machen Sie die ganze Zeit!«
Zwei hob eine Augenbraue.
»Vielleicht«, sagte er. »Aber vielleicht auch weniger, als du denkst.«
»Sie haben Andrea belogen, damit sie den Definator verstellt!«, sagte Katherine.
»Stimmt«, bestätigte Zwei. »Das war notwendig, auch wenn ich bedaure, dass sie dadurch leiden musste.«
»Sie wollten, dass wir den Definator verlieren!«, forderte ihn Jonas heraus.
»Natürlich«, stimmte Zwei ihm zu.
»War Ihnen nicht klar, welche Angst uns das einjagen würde?«, fragte Jonas.
»Ich hatte allen Grund anzunehmen, dass ihr klarkommen würdet«, sagte Zwei.
»Und dann haben Sie ... irgendwie dafür gesorgt, dass Geht Voller Stolz und Der Vieles Überlebt nicht da waren, um John White zu retten«, sagte Katherine.
Zwei zuckte die Achseln.
»Ich habe Brendans und Antonios Rückkehr in ihre angestammte Zeit nur um ein paar Tage verzögert«, erwiderte er. »Genauso wie ich Andreas Rückkehr nur leicht verändert - und sie nach Roanoke statt nach Croatoan geschickt habe.«
»Das haben Sie getan, damit wir John White retten, nicht?«, vermutete Jonas. »Damit . Andrea ihn lieb gewinnt?«
»Bingo!«, sagte Zwei, der schon wieder grinste.
»Und wenn wir ihn nicht gerettet hätten?«, hakte Katherine nach. »Wenn er ertrunken wäre?«
»Tja, ich musste Dare zwar mit ein paar Hundekeksen bestechen, damit er rechtzeitig bellt«, gab Zwei zu. »Das war ein bisschen heikel. Aber als ihr dann am Strand wart und den Mann gesehen habt, gab es praktisch keine Chance mehr, dass ihr nicht versuchen würdet ihm zu helfen.«
»Andrea hätte ertrinken können!«, sagte Jonas. »Oder ich!«
»Nö«, sagte Zwei kopfschüttelnd. »Das ist nicht mal statistisch möglich. Ihr wart beide kräftig und entschlossen genug dafür.«
Jonas runzelte die Stirn. Etwas machte ihm immer noch zu schaffen.
»Woher wussten Sie überhaupt, dass wir Dare dabeihaben würden?«, fragte er. »Das hatte HK gar nicht für uns geplant. Er hat Dare nur mitgeschickt, weil sein Zeitanalyst gesagt hat .«
Jonas brach ab, weil Zwei eine Art Zeitmesser aus der Tasche zog.
»Hmm«, machte dieser. »Eigentlich hatte ich vorhergesehen, dass ihr das inzwischen herausgefunden haben würdet. Ihr liegt elf Sekunden daneben. Aber ein kleiner Tipp ist in Ordnung. Wie ihr euch vielleicht schon gedacht habt, ist Zwei T. Chance nicht der Name, den meine Eltern mir gegeben haben. Ich habe ihn mir erst kürzlich zugelegt, weil er so gut zu meinem Bestreben passt, die Geschichte zu verändern. Es könnte sein, dass ihr schon früher von mir gehört habt, unter einem anderen Namen: Sam vielleicht? Sam Chase?«
Sam, überlegte Jonas. Sam Chase. Zu Hause, in der Schule, kannte er zwei Sams und einen Samuel und einen Sammy in seiner Fußballmannschaft. Aber all das schien so weit weg, so lange her zu sein - oder noch so lange hin. Selbst das letzte Mal, als er den Namen Sam gehört hatte, schien schon ewig zurückzuliegen. Es war HK gewesen, der gesagt hatte: Sam ist der genialste Zeitanalyst, mit dem ich je zusammengearbeitet habe.
Jonas blieb der Mund offen stehen und er spürte, wie ihm die Augen aus dem Kopf traten.
»Sie sind HKs Zeitanalyst?«, keuchte er.
Einundvierzig
Zwei drückte mit dem Daumen auf das Ding in seiner Hand. Vielleicht war es eine Stoppuhr?
»Wow«, sagte er. »Sechsunddreißig Sekunden daneben. Ich lasse wirklich nach. Oder ihr beide.«
»Dann stimmt es also?«, fragte Katherine. »Sie arbeiten für HK?«
»HK unterschreibt meine Gehaltsschecks«, sagte Zwei, dessen arrogantes Grinsen wieder da war.
»Dann . wusste er die ganze Zeit über, was mit uns geschieht?«, fragte Jonas. Es fiel ihm schwer, das zu glauben. »Er wusste von Anfang an, dass Andrea den Definator verstellen würde, dass wir den Kontakt verlieren, John White retten und . auf das hier zusteuern würden?« Ohne aufzusehen, deutete er auf die anderen und auf Andreas Großvater, die immer noch unten beim Kanu waren.
»Sagen wir einfach, HK lässt einem als Chef ziemlich freie Hand«, sagte Zwei. »Ihm geht es nur ums große Ganze und weniger um die winzigen Details auf dem Weg dahin. Er sieht den Wald, aber nicht die einzelnen Bäume. Die überlässt er mir.«
Jonas hatte nicht den blassesten Schimmer, was all das zu bedeuten hatte. Er musste ununterbrochen daran denken, wie sicher er sich in jener Hütte auf Roa-noke gewesen war, dass HK keine Ahnung hatte, wo sie waren. Hatte er ihnen nicht versichert, dass sie diesmal alle auf der gleichen Seite stünden, als er ihnen ganz am Anfang die Hand geschüttelt hatte? Dass es bei dieser Reise keine Geheimniskrämerei geben würde?
Nein, begriff Jonas da. Das hat HK nicht gesagt. Er hat gesagt, dass es keine »unnötige« Geheimniskrämerei geben wird.
Jonas fühlte sich betrogen. Wie Andreas Großvater mitten in einem seiner Albträume wollte er losschreien: »Schwindel! Verrat! Betrug!«
»Aber . aber . beim großen Ganzen geht es doch darum, dass Andrea die Geschichte verändert hat«, wandte Katherine ein. »HK will die Geschichte aber nicht verändern. Er will die Kinder dahin zurückbringen, wo sie hingehören, damit die Geschichte ihren vorgesehenen Verlauf nehmen kann.«
»Glaubt ihr wirklich, HK wäre immer noch der strenge Zeitapostel, der er war, als ihr ihn kennengelernt habt?«, fragte Zwei. »Glaubt ihr, wenn er das geblieben wäre, hätte er zugelassen, dass ihr Chip und Alex aus dem fünfzehnten Jahrhundert rettet?« Zwei grinste höhnisch. »Wisst ihr denn nicht, dass Leuten bei Waisenkindern und Hunden das Herz dahinschmilzt wie Butter in der Sonne?«
Er zeigte auf Andrea und Dare, aber Jonas ließ ihn nicht aus den Augen.
»HK hätte nie zugelassen, dass Sie Andrea Essen mit Anabolika geben«, sagte er.