»Sie haben uns angelogen!«, schrie sie ihn an. »Sie haben die ganze Zeit für Gary und Hodge gearbeitet, stimmt's? Sie wollten Andrea, Brendan und Antonio und . und Jonas klauen und sie in die Zukunft verschleppen, damit sie dort adoptiert werden. Und mich hätten Sie hier wahrscheinlich alleingelassen .«
Sie hätte wieder zugetreten, wenn HK sie nicht weggezogen hätte.
»Katherine«, sagte er warnend. »Er hat dir wirklich keine Lügen erzählt. Ein paar Ausflüchte schon, ein paar Teilwahrheiten, aber keine richtigen Lügen.«
Katherine hielt verwirrt inne.
»Aber er hat doch gesagt, dass er für dich arbeitet! Er hat gesagt, er ist dein Zeitanalyst!«
»Und das stimmt«, bestätigte HK düster. »Oder besser gesagt, es hat gestimmt.« Er machte die Augen ganz schmal und sah zu Zwei hinab: »Du bist gefeuert.«
»W-was?«, stöhnte Zwei.
»Du hast gehört, was ich gesagt habe«, raunzte HK. »Willst du auch meine Gründe hören? Erstens: Weil du eine entscheidende Zeitmission sabotiert und dabei den Zweck, diese Kinder in die Vergangenheit zurückzuschicken, komplett untergraben hast. Zweitens: Weil du sechs Menschenleben, das der Kinder und das von John White - nein, sagen wir sieben. Ich zähle den Hund auch mit -, wiederholt gefährdet hast. Und drittens: Weil du alle meine Bemühungen, Jonas, Katherine und Andrea wiederzufinden, nachdem der Kontakt abgebrochen war, hintertrieben hast.«
Der letzte Punkt auf HKs Liste stimmte Jonas merk-würdig froh. Er hatte gewusst, dass HK sie auf Roanoke nie allein und verängstigt ihrem Schicksal überlassen hätte.
»Haben Sie denn nicht nach Brendan und mir gesucht?«, unterbrach ihn Antonio. Jonas war überrascht. Er hatte gar nicht bemerkt, dass die anderen beiden Jungen und Dare neben ihnen aufgetaucht waren.
HK sah Antonio verständnisvoll an und brach seine Aufzählung ab.
»Nach meinen Informationen, die offensichtlich nicht die besten waren, ging ich davon aus, dass ihr euch nach wie vor sicher im einundzwanzigsten Jahrhundert befindet«, erklärte er. »Ihr solltet euer Leben weiterleben und warten, bis die Reihe an euch kommt, in die Vergangenheit zurückzureisen. Und ...«, HK funkelte Zwei an, »und sie waren noch nicht an der Reihe.«
»Aber ... aber Andrea und wir«, wandte Brendan ein. »Wir sind doch miteinander verbunden.«
»Eigentlich nicht«, sagte HK. »Oder nur deshalb, weil Gary und Hodge extrem faul und nachlässig waren, als sie euch aus eurer Zeit herausholten.« Er seufzte schwer. »Das war alles so unnötig.«
»Wie können Sie das sagen?«, fragte Andrea erregt und aufgewühlt. »Mein Großvater -«
»War ein bemerkenswerter Mann«, sagte HK. »Die Geschichte hat ihm nie den Respekt entgegengebracht, den er verdient hat. Ebenso wenig wie die Zeit.« Wieder seufzte er. »Alle seine Bemühungen waren zum Scheitern verurteilt. Seine Verbindung zu dir sollte, außer als Märchen, einer schönen Geschichte, die deine Mutter dir erzählt hat, eigentlich enden, als du noch ein Baby warst. Es war nicht vorgesehen, dass du ihn jemals wiedersiehst.«
»Aber das ist so verkehrt!«, widersprach Andrea und gab sich keine Mühe mehr, ihre Tränen zu verbergen.
»Niemand weiß besser als du, dass im Leben ständig Dinge verkehrt laufen«, sagte HK sanft. »Ich weiß, das ist kein Trost, aber als Zeitreisender habe ich unzählige Male mit angesehen, wie sich Falsches in Richtiges verkehrt, wie Schlechtes zu Gutem führen kann und dass man das Gute erst nach dem Schlechten haben kann.«
»Sie haben recht«, sagte Andrea kurz angebunden. »Das ist kein Trost.«
HK zuckte hilflos die Achseln.
»Es tut mir leid«, sagte er.
»Was sollte denn aus Andrea, Brendan und Antonio werden?«, fragte Katherine. »Was sollten sie tun, wenn sie in ihre Zeit zurückkehren?«
HK nickte, als ließe sich darüber leichter reden.
»Gary und Hodge haben Andrea von Croatoan entführt, als sie dabei war, die Skelette und Leichname zu begraben«, sagte er. »Eigentlich wäre sie für die beiden tatsächlich eine gute Kandidatin gewesen, um sie mit in die Zukunft zu nehmen, sie hätten nur ein paar Tage warten müssen, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war.«
»Es waren nur noch die Tierknochen übrig«, murmelte Andrea.
Jonas brauchte einen Moment, um das zu kapieren.
»Augenblick«, mischte er sich ein. »Das war alles, was du von Katherine und mir erwartet hast, als wir mit
Andrea hierherkamen? Wir sollten ihr helfen, ein paar Knochen zu verscharren?«
»Nicht einmal das«, sagte HK und schüttelte den Kopf. »Ihr solltet einfach nur da sein. Mein genialer Zeitanalyst hat mir erklärt, dass ihr und der Hund ihr den >emotionalen Halt< geben würdet, den sie für ihre Aufgabe braucht, die ansonsten >zu traumatisch< gewesen wäre.« Er klang, als ziehe er jedes einzelne Wort in Zweifel. Er schnaubte wütend. »Und ich bin darauf reingefallen!« Mit der Fußspitze stieß er Zwei gegen die Schulter. »Du musst mich für einen kompletten Idioten gehalten haben! Dir zu vertrauen!«
»War nicht alles gelogen«, murmelte Zwei. »Jonas ... total verschossen .in Andrea ... Liebelei... gute Ablenkung .«
In diesem Moment hätte Jonas ihm am liebsten auch einen Tritt versetzt. Er brachte es nicht über sich, Andrea - oder sonst jemanden - anzusehen, um festzustellen, wie sie die Neuigkeit aufnahmen. Und er war dankbar, als HK Zwei ignorierte und mit seiner Erklärung fortfuhr.
»Man sollte nicht meinen, dass ein paar zerstreute Tierknochen im großen Strom der Geschichte eine Rolle spielen würden«, fuhr HK fort. »Aber ohne Virginia Dare hätte Croatoan seinen Ruf als Insel des Bösen behalten. Die Erinnerung an die Seuche, die die Kolonisten von Roanoke verbreitet hatten, wäre nicht verblasst und hätte zu Massakern geführt, als die nächste Welle der englischen Kolonisten eintraf.«
»Also hat Virginia Dare der Geschichte tatsächlich einen großen Dienst erwiesen«, sagte Katherine. »Es war nicht nur ihre Geburt, die sie berühmt gemacht hat.«
Andrea senkte den Kopf. Jonas konnte nicht ersehen, ob sie es aus Bescheidenheit tat oder weil sie immer noch auf HK wütend war.
»Aus welchem Grund hat man mich entführt?«, fragte sie. »Weil ich etwas Wichtiges getan habe oder nur dafür, dass ich geboren wurde?«
Ihre Stimme klang bitter und Jonas kam zu dem Schluss, dass sie immer noch gekränkt war.
»Das lässt sich nur schwer mit Gewissheit sagen«, erwiderte HK sanft. »Generationen von Menschen kannten dich nur als das erste englische Kind, das in Amerika geboren wurde. Ehe die Zeitreisen begannen, war das alles, was es über dich zu wissen gab. Und für Gary und Hodge war es genug, um dich bei ihrer BabyschmuggelAktion dabeihaben zu wollen. Aber einer ihrer Kunden verlangte ausdrücklich nach einem berühmten Kind, das mutig und loyal war und bereit sein würde, in Zeiten der Not Risiken einzugehen. Wir wissen also, dass Gary und Hodge vorhatten, mehr Geld für dich zu verlangen, weil sie mehr über deine Geschichte wussten.« Er machte eine hilflose Geste. »Wer kann schon sagen, wie sehr das die Zeit und die Geschichte beeinflusst?«
»Deshalb dachtet ihr, dass es unbedingt Andrea sein muss, die zurückkommt und die Knochen begräbt«, sagte Jonas, bei dem der Groschen jetzt gefallen war. »Deshalb konnten Katherine oder ich oder irgendein anderer Zeitreisender das nicht übernehmen.«
HK nickte.
»Authentizität ist ein wichtiger Faktor«, sagte er. »Wir können nie alle Konsequenzen einer Handlung überschauen, also haben wir versucht lieber übervorsichtig zu sein und so viel wie möglich wiederherzustellen.«
Jonas warf einen Blick auf Zwei, der nicht übervorsichtig gewesen war und die Zeit genüsslich verändert hatte, statt sie wiederherzustellen. Alle schwiegen einen Moment.
»Was ist mit Brendan und mir?«, fragte Antonio. »Dem Ex-Sklaven und dem zum Indianer gewordenen spanischen Waisenjungen? Was hat uns so berühmt gemacht, dass wir es wert waren, entführt zu werden?«