„Also geht die gereimte Prosa nicht mehr?“
„Wer will sie kaufen? Privatleute? Die sehen vornehm herab und nennen alles Verselei. Gelehrte? Die bekommen es vom Autor, damit sie ihn gnädiger rezensieren möchten. Leihbibliotheken? Die führen nur Romane, weil sie ihr Publikum kennen. Und diese Leihbibliotheken sind noch unser Unglück. Jedes Städtchen hat ein paar solcher Anstalten. Das Publikum denkt: Warum sollen wir für ein Buch soviel Geld wegwerfen, wenn wir es in der Leihbibliothek lesen können? Man kauft sich Groschenübersetzungen oder wohlfeile Taschenausgaben, um doch eine Bibliothek zu haben, und der Buchhändler, der ein Buch verlegen will, kann also höchstens noch auf fünfhundert Leihbüchereien rechnen. Und wenn heute wieder ein Goethe oder ein Schiller geboren würde, man könnte keine fünfhundert Exemplare absetzen. Das Publikum hat Glauben, Vertrauen und Lust an unserer Literatur verloren.“
„Und von dem allen sollten Scott und die Taschenausgaben die Schuld tragen?“
„Ja! Und diese unselige Zersplitterung durch alle Zweige ist auch mit schuld! Die Schriftsteller zersplittern ihr Talent in Almanachs und Zeitschriften, weil sie dort gut bezahlt werden. Das Publikum zersplittert sein Geld für diese Luxuswaren, weil sie Mode geworden sind. Wir selbst überbieten uns. Jeder will einen Almanach, eine Zeitung haben. Und diese Taschenkrebse sind es, die unsere Krebse erzeugen.“
„Aber, Herr Salzer,“ sagte ich zu dem Unmutigen, „warum schwimmen Sie gegen den Strom? Warum veranstalten Sie nicht selbst Taschenausgaben? Warum gründen Sie keine Zeitschrift? Oder schämen Sie sich vielleicht, selbst mitzumachen?“
„Schämen würde ich mich eigentlich nicht“, erwiderte er nach einigem Nachdenken. „Was ein anderer tut, kann Salzer und Sohn auch tun. Aber ehrlich gestanden, ich fürchte, mit einer Zeitschrift zu spät zu kommen. Und wer soll sie schreiben? Etwas Neues muß heutzutage auffallend, pikant sein, wenn es Glück machen soll. So habe ich mich schon lange auf einen ausgezeichneten Titel besonnen; denn der Titel muß jetzt alles tun. Hätte ich hier nur einige tüchtige Männer vom Fache, eine kritische oder belletristische Zeitschrift sollte bald dastehen; denn ich bin ein unternehmender Geist so gut wie einer.“
5. Der unternehmende Geist
Man hat jetzt Morgen-, Mittag-, Abend- und Mitternachtblätter, man hat alle Götter- und Musentitel erschöpft, man sieht sich genötigt, zu den sonderbarsten Namen seine Zuflucht zu nehmen, will man Aufsehen erregen; denn nur der neue Klang ist es, der das Alte, längst Gewöhnte übertönt, und jeder Vernünftige sieht ein, daß eine neue Zeitschrift nicht an und für sich besser ist als eine alte. Erzählungen, Gedichte, Kritiken finden sich hier wie dort, und gute Mitarbeiter werden nicht zugleich mit dem Namen des Blattes erfunden.“
„Aber, Herr Salzer,“ erwiderte ich, „warum verlassen denn die Menschen oft die längst bekannten Zeitschriften, um auf ein paar Probeblätter hin eine neue anzuschaffen?“
„Das liegt ganz in unserer Zeit; Veränderung macht Vergnügen, und neue Besen kehren gut“, antwortete er. „So wetterwendisch ist nun einmal das Publikum und weiß nicht warum. Kleider machen Leute, und eine hübsche Vignette, ein auffallender Titel tun in der Lesewelt so viel wie eine neue Mode in einer Gesellschaft. Wer diesen Charakter der Menschen recht zu nützen versteht, kann in jetziger Zeit noch etwas machen. Hätte ich nur einen Titel!“
„Da unsere Zeitschriften gegenwärtig so vielseitig sein müssen,“ sprach ich, „was denken Sie zu dem Titeclass="underline" ‚Litera-risches Hühnerfutter ‘?“
„Wäre nicht so übel. Man könnte in der Vignette das Publikum als ein Hühnervolk darstellen, dem von der Muse kleingeschnittenes Futter vorgestreut wird. Aber es geht doch nicht! In dem Futter könnte eine Beleidigung liegen, weil es schiene, als wollte man das Publikum mit dem Abfall von dem großen Mittagstisch der Literatur füttern; geht nicht!“
„Oder etwa: ‚Die Abendglocke‘?“
„Abendglocke? Wahrhaftig! Ei, das ließe sich hören! Es liegt so etwas Sanftes, Beruhigendes in dem Wort. Will mir doch den Gedanken merken. Aber ein kritisches Beiblatt müßte dazu. Ich habe schon gedacht, ob man es nicht der ‚Destillateur ‘ nennen könnte.“
„Es liegt etwas Wahres in Ihrer Idee“, entgegnete ich. „Die Bücher werden allerdings neuerer Zeit durch einen chemischen Prozeß rezensiert oder abgezogen. Man destilliert so lange, bis sich das X-Geist, das man suchte, verflüchtigt oder bis der gelehrte Chemiker der Welt anzeigen kann, aus welchen verschiedenen Bestandteilen das Gebräue bestand, das er zersetzte. Aber das Blatt röche doch zu sehr nach einer Materialhandlung oder nach gebrannten Wassern. Was aber halten Sie von einem ‚kritischen Schornsteinfeger ‘?“
Der Buchhändler sah mich eine Weile schweigend an und umarmte mich dann voll Rührung. „Ein Fund, ein trefflicher Fund!“ rief er. „Was liegt nicht allein in diesem einzigen Wort! Die deutsche Literatur stellt den Kamin dar. Unsere Rezensenten sind die Schornsteinfeger. Sie kratzen den literarischen Ruß ab, damit das Haus nicht in Brand gerate. Ein Oppositionsblatt soll es werden. Aufsehen muß es machen, das ist jetzt die Hauptsache. ‚Der kritische Schornsteinfeger ‘! Und die Kunstkritiken geben wir unter dem vielversprechenden Titeclass="underline" ,Der artistische Nachtwächter‘!“ Hastig schrieb er sich den Namen auf und fuhr dann fort: „Herr! Sie hat mein Schutzengel in meinen Laden geführt. Wenn ich so hinter meinem Arbeitstische sitze, bin ich wie vernagelt. Aber schon oft habe ich bemerkt, wenn ich mich ausspreche, kommen mir die Gedanken wie ein Strom. So, als Sie vorhin von Walter Scott und seinem Einfluß sprachen, ging mir mit einem Male eine herrliche Idee in der Seele auf. Ich will einen deutschen Walter Scott machen.“ „Wie? Wollten Sie etwa auch einen Roman schreiben? “ „Ich? o nein, ich habe Besseres zu tun; und einen? nein, zwanzig! Wenn ich meine Gedanken nur schon geordnet hätte! Ich will mir nämlich einen großen Unbekannten verschaffen. Das soll aber niemand anders sein als eine Gesellschaft von Romanschreibern. Verstehen Sie mich?“ „Noch ist mir nicht ganz klar, wie Sie - “ „Mit Geld kann man alles machen. Ich nehme mir etwa sechs oder acht tüchtige Männer, die im Roman schon etwas geleistet haben, lade sie hierher ein und schlage ihnen vor, sie sollen zusammen den Walter Scott vorstellen. Sie wählen die historischen Stoffe und Charaktere aus, beraten sich, welche Nebenfiguren anzubringen wären, und dann - “
„Oh, jetzt verstehe ich Ihren herrlichen Plan. Dann errichten Sie eine Fabrik, etwa wie jene in Scheerau. Sie lassen sich Kupferstiche von allen romantischen Gegenden Deutschlands kommen. Die Kostüme alter Zeiten kann man von Berlin verschreiben. Sagen und Lieder finden sich in des Knaben Wunderhorn und andern Sammlungen. Sie setzen ein paar Dutzend junger Leute in Ihr Haus. Die Sechseinigkeit, der neue Unbekannte, gibt die Umrisse der Romane. Hier und da zeichnet und korrigiert er an einem Charakter. Die vierundzwanzig oder dreißig anderen aber schreiben Gespräche, zeichnen Städte, Gegenden, Gebäude nach der Natur - “
„Und“, fiel er mir freudig ins Wort, „weil der eine mehr Talent für Gegendmalerei, der andere mehr für Kostüms, der dritte für Gespräche, ein vierter, fünfter fürs Komische, andere wieder mehr für das Tragische - “