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Die Hymne Ars wurde gesungen, doch die Melodie ging im allgemeinen Getöse beinahe unter.

Man konnte kaum etwas erkennen.

»Er ist da!« rief der Mann neben mir.

Ich stellte mich auf den Rand unserer Sitzreihe und blickte in die Tiefe. Auf der Bühne entdeckte ich in der Robe der Spieler Scormus aus Ar, den temperamentvollen jungen Champion aus Ar. Er befand sich in Begleitung etlicher Männer aus seiner Heimatstadt. Der Tisch mit dem Kaissabrett stand in der Mitte der Bühne, zu Füßen des riesigen, schräg emporragenden halbkreisförmigen Amphitheaters. Er kam mir winzig vor, so weit entfernt.

Scormus hob der Menge die Hände entgegen, und die weiten Ärmel seiner Robe rutschten ihm über die Arme zurück. Das Cape wurde ihm von zwei anderen Spielern aus Ar abgenommen. Seine Mütze warf er in die Menge. Die Zuschauer rauften darum.

Wieder hob er die Arme.

Im gleichen Augenblick ertönte neues Jubelgeschrei, denn nun trat Centius aus Cos mit seinem Gefolge auf die Bühne. Die Hymne von Cos wurde angestimmt.

Centius aus Cos trat an den Rand der Steinbühne, etwa fünf Fuß über den unteren Reihen, und hob eine Hand. Er lächelte.

Das Amphitheater dient natürlich nicht nur der Präsentation von Kaissaspielen, sondern erlebt auch Dichterlesungen, Konzerte, Theateraufführungen und Opern. Genaugenommen ist so ein großer Rahmen für ein Kaissaspiel eher die Ausnahme. Die meisten Sardarspiele finden auf freiem Feld statt, vor sanft ansteigenden Zuschauerreihen auf den Flanken kleiner Hügel, und viele Kämpfe finden gleichzeitig statt. Hinter jedem Spielbrett steht eine große senkrechte Tafel, auf deren linker Seite die Züge nacheinander mit Kreide vermerkt werden, während der Hauptteil der Tafel die Quadrate des Spielbretts und die Stellung der Spielsteine wiedergibt. Auf diese Weise hat man sowohl eine Liste der bisher gemachten Züge wie auch eine Darstellung des Spielstandes vor Augen. Junge Spieler nehmen diese Eintragungen und die Verschiebungen der Figuren-Nachbildungen vor. Die gültige Registrierung des Spiels obliegt drei Offiziellen, von denen mindestens einer der Kaste der Spieler angehören muß. Diese Männer sitzen an einem Tisch in der Nähe der Gegner. Wenn es nicht zur Eroberung eines Heimsteins kommt, wird über die Spiele von fünf Schiedsrichtern entschieden, die ausnahmslos der Kaste der Spieler angehören und von denen mindestens drei in der Meisterklasse spielen müssen.

»Scormus aus Ar wird ihn am Boden zerstören«, sagte ein Mann.

»Ja!« rief ein anderer.

Hinter dem Tisch, ein wenig seitlich versetzt, stand der Tisch für die Registratoren des Spiels. Dazu gehörten ein Mann aus Ar und ein Mann aus Cos und ein Spieler aus Turia namens Timor, der angeblich von großer Integrität war und der, so wurde vorausgesetzt, aus einer Stadt stammte, die weit genug von den Problemen von Cos und Ar entfernt war, um sich als echter Unparteiischer zu erweisen. Außerdem gab es natürlich in den Zuschauerreihen Hunderte von Männern, die gleichzeitig und inoffiziell das Spiel für sich aufzeichnen würden. Die Gefahr, daß ein Zug nicht richtig festgehalten wurde, war gering. Hätte ein Offizieller so etwas versucht, wäre er wohl von den Menschenmassen in Stücke gerissen worden. Die Goreaner nehmen ihr Kaissa ernst.

Auf der Bühne erschien Reginald aus Ti, der gewählte Vorsitzende der Kaste der Spieler. Ein Mann in seiner Begleitung trug die Sanduhren. Diese Uhren haben jeweils einen winzigen Sandausfluß, der geöffnet und geschlossen werden kann. Die Uhren sind so miteinander verbunden, daß nur jeweils ein Durchgang geöffnet ist; wenn ein Spieler an dem Hebelchen dreht, beendet der den Durchfluß seines Sandes und öffnet den seines Gegners. Müssen die Uhren angehalten werden, etwa bei einer Spielvertagung oder Unterbrechung, werden sie von dem Oberschiedsrichter des Spiels, in diesem Falle Reginald aus Ti, auf die Seite gelegt. In der Uhr jedes Spielers befindet sich Sand für zwei Ahn. Jeder Spieler muß vierzig Züge gemacht haben, ehe der Sand verbraucht ist, oder er wird als Verlierer gewertet. Die Uhren verbessern das Turnierspiel, das sonst nicht als Kaissawettbewerb, sondern als Geduldsspiel ausgetragen würde: ohne Uhr mochte der Sieg dem Manne zufallen, der länger stillsitzen konnte als sein Gegner. Unter jüngeren Spielern war eine Bestrebung im Gange, den Sand so aufzuteilen, daß jedem Spieler eine Ahn für die ersten zwanzig Züge und eine weitere Ahn für die nächsten zwanzig Züge zustand. Damit sollte erreicht werden, die Qualität des Kaissaspiels in der zweiten Ahn zu verbessern. Es stimmte schon: oft kamen selbst Meister des Spiels in der zweiten Ahn unter Zeitdruck und hatten womöglich nur noch wenige Ehn Sand für acht oder zehn Züge. Andererseits war nicht damit zu rechnen, daß diese Neuerung sehr bald akzeptiert wurde. Zunächst stand die Tradition dagegen. Außerdem hielten es viele für besser, wenn ein Spieler die Dauer seiner Überlegungen ohne ein zweites Zeitlimit bestimmen konnte. Dieser Ansicht war ich auch. Zwar gibt es Präzisions-Chronometer auf Gor, die eine noch genauere Zeitbestimmung möglich gemacht hätten, aber die Sanduhren sind im Turnier-Kaissa ein Traditionsfaktor.

Auch Centius aus Cos schleuderte seine Kopfbedeckung in die Menge, und die Zuschauer rauften darum. Er hob die Arme. Er schien guter Stimmung zu sein.

Er ging quer über die Bühne, vor dem Spieltisch vorbei, um Scormus aus Ar zu begrüßen. Er streckte ihm die Hand entgegen. Scormus aus Ar jedoch wandte sich arrogant ab.

Centius aus Cos schien dieser Affront nichts auszumachen. Er drehte sich um, hob noch einmal beide Hände dem Publikum entgegen und kehrte auf seine Seite zurück.

Zornig schritt Scormus aus Ar über die Bühne. Er wischte sich die Hände an seiner Robe ab.

Er vermied es, Centius aus Cos mit einer freundlichen Geste zu begegnen oder ihn auch nur anzuschauen. Das hätte die Intensität seiner Einstimmung, seines Hasses, seine Kampfbereitschaft schwächen können. Seine Geisteskraft, sein Können, sein Kampfgeist mußten auf dem Höhepunkt stehen. Scormus aus Ar erinnerte mich an die Angehörigen der Kaste der Attentäter; auch sie gebärden sich manchmal so, ehe sie auf die Jagd gehen. Ablenkung darf es nicht geben.

Die beiden Männer näherten sich dem Tisch.

Hinter ihnen erhob sich ein senkrechtes Brett, das gut vierzig Fuß hoch und fünfzig Fuß breit war. Der größte Teil der Fläche war von einer riesigen Nachbildung des Kaissaspielfelds eingenommen. Auf den Quadraten hingen an Pflöcken die Spielsteine in ihren Ausgangsstellungen. Das Publikum würde den Kampf auf dieser Anzeigetafel verfolgen. Auf der linken Seite der Tafel waren zwei Spalten eingezeichnet, die eine gelb, die andere rot; hier würden die einzelnen Züge notiert werden. Ähnliche, wenn auch kleinere Tafeln standen überall auf dem Jahrmarkt, damit auch die Leute, die sich das Eintrittsgeld für das Amphitheater nicht leisten konnten, dem Spiel zu folgen vermochten. Die einzelnen Züge wurden durch Boten auf dem Jahrmarktsgelände bekanntgemacht.

Es wurde still in der Menge.

Wir setzten uns.

Der Schiedsrichter, hinter dem sich vier weitere Angehörige der Spielerkaste versammelt hatten, wandte sich von Scormus und Centius und den Registraturen ab.

Kein Laut war aus der Zuschauermenge zu hören.

Centius aus Cos und Scormus aus Ar nahmen ihre Plätze am Tisch ein.

Die Stille in dem weiten Rund war beinahe furchteinflößend.

Scormus aus Ar neigte leicht den Kopf. Reginald aus Ti drehte das Knöpfchen an Centius’ Uhr, woraufhin in Scormus’ Uhr der Sand zu fließen begann.

Scormus hob die Hand. Er zögerte nicht. Der Zug wurde gemacht. Dann drehte er den Knopf an seiner Uhr, unterbrach den Sandstrom, gleichzeitig strömten die Sandkörner in Centius’ Uhr.

Der Zug war natürlich Ubaras Speerträger auf Ubara fünf.

In der Menge wurde Jubelgeschrei laut.

»Das Ubara-Gambit!« rief ein Mann in meiner Nähe.

Wir sahen zu, wie die große gelbe Scheibe, die den Ubara-Speerträger darstellte, vor Ubara fünf auf den Pflock gehängt wurde. Dies wurde von zwei jungen Männern, Lehrlingen in der Spielerkaste, erledigt, die sich auf einer Art Gerüst bewegten. Ein dritter Jüngling verzeichnete den Zug mit roter Kreide links an der Tafel.