»Ich hatte gehofft, zusammen mit Scormus etwas zu schaffen, das der Schönheit des Kaissa würdig wäre. Statt dessen bin ich der Versuchung des Sieges erlegen.«
Aber man wußte ja, daß Centius aus Cos ein seltsamer Bursche war.
»Es war die Aufregung, der Druck, die Begeisterung der Zuschauer«, fuhr Centius aus Cos fort. »Ich war schwach. Ich hatte mir vorgenommen, dem Kaissa Ehre zu erweisen, doch ich habe das Spiel schon beim ersten Zug verraten. Ich erkannte plötzlich, was zu schaffen sein müßte. Ich erlag der Verlockung. Im Rückblick stimmt mich das traurig. Ich entschied mich nicht für das Kaissa, sondern für eine gnadenlose, brutale Eroberung. Ich bin traurig.«
Niemand sonst jedoch teilte diese Einwände, die der große Meister aus Cos vorbrachte. An diesem Abend wurde überall auf dem Jahrmarkt der Triumph Cos’ gefeiert.
Seine Reaktion auf Ubaras Speerträger auf Ubaras Speerträger fünf und die daraus folgenden Züge wurde bereits die Telnus-Verteidigung genannt, getauft nach Centius’ Geburtsort, der Hauptstadt der Insel Cos. In Dutzenden von Variationen wurde diese Aktion bereits gespielt und analysiert und notiert. Im Zelt der Cos-Anhänger fand ein rauschendes Fest statt, während auf der anderen Seite des Amphitheaters Stille herrschte. Im Lager Ars gab es keinen Grund zum Feiern. Scormus, so hieß es, befand sich gar nicht mehr in der Stadt. Niemand wußte, wo er sich aufhielt. Er hatte ein Kaissabrett, die Figuren und sogar sein Spielergewand zurückgelassen.
Ich wandte meine Gedanken von Centius aus Cos und Scormus aus Ar ab; ich mußte nach Port Kar zurückkehren.
Mich hielt nichts mehr auf diesem Jahrmarkt. Immer wieder sah ich Tarns aufsteigen; viele der Reitvögel waren mit Tarnkörben beschwert – darin Männer und Frauen, die in ihre Heimatstädte zurückkehrten. Mehr als eine Karawane wurde zur Abfahrt vorbereitet. Mein Tarn befand sich in einem Mietstall; es handelte sich um ein braunes Tier aus den Thentis-Bergen, die für ihre Tarnschwärme berühmt waren. Meine Habseligkeiten halte ich bereits während des Tages in den Satteltaschen verstaut. Das Abendessen hatte ich zu mir genommen; nichts hinderte mich daran, den Heimweg noch heute abend anzutreten.
Ich freute mich auf meine Rückkehr nach Port Kar. Es ist wunderschön, bei Nacht über die endlosen Felder zu fliegen, im Schein der drei Monde an einem sternenübersäten schwarzen Himmel. Auf einem solchen Flug ist man mit seinen Gedanken und den Monden und dem Wind allein.
Ich bog in die Straße der Teppichmacher ein.
Ich war mit dem Ausflug zu diesem Jahrmarkt nicht unzufrieden und nahm an, daß es meine Männer auch nicht sein würden.
Ich lächelte vor mich hin. In meinem Gürtelbeutel befanden sich Quittungen und Versandpapiere für fünf Sklavinnen – das Mädchen, das ich im Hotelzelt erworben hatte, dazu vier Sklavinnen, die ich nahe dem großen Zelt auf Plattformen erstanden hatte. Sie waren mir günstig zugefallen, weil ich mich unmittelbar nach dem großen Spiel umgetan hatte, zu einer Zeit, da das Geschäft der Sklavenhändler ausgesprochen schlecht war.
Ich bog in die Straße der Tuchweber ein. Die meisten Stände waren geschlossen.
Ich dachte an die Herde von Tancred, die nicht in den Norden zurückgekehrt war, ich dachte an den Berg, der sich nicht bewegte, den riesigen Eisberg, der aus irgendeinem Grund seine Position zu halten schien, inmitten des unruhigen, dahinströmenden Polarmeeres. Ich hoffte, daß die Nahrungsmittel, die Samos auf mein Geheiß nach Norden geschickt hatte, zur Rettung der rothäutigen Jäger beitragen konnten. Ich dachte außerdem an Tersites’ seltsames Schiff, dessen Form mich irgendwie interessierte. Und an die Botschaft auf dem Wickelband: »Grüße an Tarl Cabot. Ich erwarte dich am Ende der Welt. Zarendargar. Kriegsgeneral des Volkes.«
In diesem Augenblick hörte ich den Schrei. Er wurde von einem Mann ausgestoßen, ein Laut, wie ich ihn im Kampf oft genug gehört hatte. Eine Stahlklinge war in einen menschlichen Körper gedrungen. Ein zweiter Schrei ertönte. Der Angreifer hatte wieder zugestochen. Ich rannte los und zwängte mich zwischen einigen Verkaufsständen hindurch. Ich trat Schachteln und eine Zeltplane zur Seite und erreichte die benachbarte Zeltgasse. »Hilfe!« schrie jemand. Ich befand mich in der Gasse der Kunsthandwerker. »Nein!« hörte ich eine Stimme flehen. Andere Männer eilten wie ich auf den Ausgangspunkt der Schreie zu. Ich erblickte das geschlossene Verkaufszelt in dem die Auseinandersetzung stattfand. Ich riß das festgelaschte Tuch zur Seite, mit dem oberhalb des Verkaufstresens das Zelt verschlossen war. Drinnen beugte sich ein in weite schwarze Roben gekleideter Mann über einen am Boden liegenden Mann, den Inhaber der Bude. In der Hand des Angreifers funkelte ein Dolch. Die Bude wurde durch eine kleine, schwach brennende Tharlarionöllampe erleuchtet, die auf der Seite an einer Deckenstrebe hing. Der Helfer des Kaufmanns, der Schreiber, stand mit blutendem Gesicht und Arm in einer Ecke. Der Angreifer wirbelte zu mir herum. In der linken Hand hielt er einen in Fell eingewickelten Gegenstand, in der rechten den Dolch, mit der Spitze nach oben. Ich blieb stehen und duckte mich zum Sprung. Ein Bauchhieb von unten ist sehr schwer abzuwehren. Ich mußte Vorsicht walten lassen.
»Ich wußte gar nicht, daß du den Kriegern angehörst – du, der du dich Bertram aus Lydius nennst«, sagte ich lächelnd. »Oder bist du Mitglied der Attentäterkaste?«
Der verwundete Kaufmann versuchte von seinem Angreifer fortzurobben.
Der Dunkelgekleidete ließ den Blick hin und her wandern. Weitere Männer waren in Anmarsch. Mit Übeltätern seiner Sorte gehen Goreaner nicht gerade sanft um. Selten leben solche Männer lange genug, um noch auf den Mauern einer Stadt aufgespießt zu werden.
Der Angreifer ließ die Hand mit dem seltsamen Gegenstand – offenbar irgendein kunsthandwerklicher Gegenstand in einer Fell-Verpackung – nach oben zucken. Ich konnte eben noch den Kopf abwenden, ehe brennendes Öl aus der Lampe mich bespritzte. Die Lampe wurde von ihrer dünnen Kette gerissen und wirbelte an mir vorbei. Ich ließ mich in der plötzlichen Dunkelheit zur Seite rollen, doch der Mann griff nicht an. Ich hörte, wie sein Dolch die hintere Zeltplane durchtrennte. Er wollte anscheinend fliehen. Genau wußte ich das nicht, aber das Risiko mußte ich eingehen. Die Dunkelheit wurde mir Deckung bieten. Ich warf mich auf das Geräusch, am Boden dahinrollend, um das Messer zu unterlaufen, mit den Füßen voran, ein möglichst kleines Ziel bietend, die Füße herumreißend. Wenn ich ihn umwerten konnte, mochte es mir trotz der Dunkelheit gelingen, als erster wieder auf die Füße zu kommen, um ihm das Zwerchfell oder den Hals einzutreten oder ihm einen tödlichen Tritt in den Nacken zu versetzen.
Aber er hatte gar nicht fliehen wollen. Das Herumgeschneide am Zeltstoff war nur eine Täuschung gewesen – er reagierte ungemein kaltblütig.
Dafür hatte ich den Schutz der Dunkelheit. Er wartete seitlich und sprang auf mich herab, doch ich drehte und wand mich blitzschnell und erwies mich als schwer zu packen. Die Dolchklinge fuhr mir durch den Kragen meiner Robe; im nächsten Augenblick legten sich meine Finger um sein Handgelenk.
Wir rollten in der Schwärze auf dem Boden des Verkaufsstandes herum. Waren fielen von den Regalen und zerschellten. Ich hörte Männerstimmen von draußen. Die Plane an der Vorderseite der Bude wurde zur Seite gerissen.
Schwankend kamen wir auf die Füße. Er war stark, doch ich spürte, daß ich ihm im Kampf überlegen war.
Er gehörte bestimmt der Kaste der Attentäter an, denn der Trick mit der zerschnittenen Leinwand war nichts anderes als eine Variante der im Fliehen offengelassenen Tür, ein Lockmittel für den Unvorsichtigen, hindurchzustürzen und in das lauernde Messer zu rennen.
Er schrie auf vor Schmerz, und das Messer fiel zu Boden. Verschlungen, miteinander ringend, stolperten wir gegen die Rückseite des Zeltstandes und fielen durch den Schlitz nach draußen. Dort wartete ein Komplize meines Gegners, der mir blitzschnell eine Schlinge um den Hals warf. Ich schleuderte mein Opfer fort und fuhr herum, was zur Folge hatte, daß die tödliche Schnur sich in meinen Nacken grub. Ein dritter Mann hielt sich abseits. Ich ließ beide Hände hochfahren, und der Kopf des Schlingenwerfers ruckte zurück. Die Garrotte baumelte mir lose auf der Brust. Ich machte kehrt. Der erste Mann war geflohen, dichtauf gefolgt von einem der anderen. Ein Bauer bog um die Ecke des Zeltstandes, zwei weitere Männer blickten durch die zerrissene Zeltplane zu uns heraus; sie waren über den Tresen gestiegen. Ich ließ die Schlinge zu Boden fallen. »Nicht«, sagte ich zu dem Bauern. »Schon passiert«, antwortete er und wischte sich das Messer an der Tunika ab. Ich nahm an, daß ich dem Mann mit meinem Hieb das Genick gebrochen hatte, doch er hatte noch gelebt. Jetzt war ihm der Kopf halb abgetrennt, und Blut bedeckte die Sandalen des Bauern. Mit Leuten seines Schlages haben Goreaner wenig Geduld. »Und der andere?« fragte der Mann.