»Es waren noch zwei«, gab ich zurück. »Beide sind geflohen.« Ich schaute in die Dunkelheit zwischen den Zelten.
»Ruft einen Arzt!« rief eine Stimme aus dem Zelt.
»Er muß gleich da sein«, antwortete jemand.
Ich stieg geduckt durch den Riß in der Leinwand. Im Zelt standen zwei Männer mit Fackeln, ein dritter hielt den Kaufmann in den Armen.
Ich zog sein Gewand zur Seite. Er war schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt.
Dann wandte ich mich an den Schreiber. »Du hast deinen Herrn nicht gut verteidigt.«
»Ich hab’s versucht«, antwortete der Mann und deutete auf sein blutendes Gesicht, auf den Schnitt an seinem Arm. »Aber dann konnte ich mich nicht mehr bewegen. Ich hatte Angst.«
Vielleicht hatte er einen Schock erlitten.
Ich wandte mich wieder dem Besitzer des Verkaufsstandes zu. Es interessierte mich zu sehen, wie die Wunden angeordnet waren.
»Muß ich sterben?« fragte er.
»Der Mann, der dich angegriffen hat, war sehr ungeschickt. Du wirst es überleben.« Ich fügte hinzu: »Wenn die Blutung zum Stehen gebracht wird.«
»Bei den Priesterkönigen! Verbindet mich doch!« flehte der Mann.
Darum sollten sich andere kümmern. Ich richtete mich auf und blickte den Schreiber an. »Was hast du zu berichten?«
»Wir kamen ins Zelt und überraschten dabei einen Mann, der bestimmt etwas stehlen wollte. Er griff uns beide an und verwundete dabei meinen Herrn schwer.«
»Wofür interessierte er sich?« In einem solchen Andenkenladen gab es bestimmt keine wertvollen Waren, die einen Dieb anlocken konnten. Würde man seinen Hals riskieren für ein Holzspielzeug oder eine kleine Elfenbeinfigur?
»Dafür – und nur dafür«, sagte der Kaufmann und deutete auf den Gegenstand, den der Dieb umklammert und bei unserem Kampf verloren hatte. Das Ding lag in ein kleines Fell gewickelt auf dem Boden des Verkaufsstandes. Männer drückten Tücher auf die Wunden des Kaufmanns.
»Das Ding ist so gut wie wertlos«, sagte der Schreiber.
»Warum hat er es dann nicht gekauft?« fragte der Kaufmann. »Es ist nicht teuer.«
»Vielleicht wollte er nicht als Käufer identifiziert werden«, meinte ich, »denn hättest du dich an den Verkauf erinnert, hätte man ihn vielleicht aufspüren können.«
Einer der Männer reichte mir den Gegenstand.
Ein Arzt betrat das Zelt; er war in eine grüne Robe gekleidet und trug seine Instrumente und Medikamente in einem Beutel über der Schulter. Er begann sich um den Verwundeten zu kümmern.
»Du wirst es überleben«, beruhigte er den Liegenden.
Ich erinnerte mich an den Angreifer. Ich dachte daran, wie er die Klinge umgedreht hatte. Ich erinnerte mich an die Kaltblütigkeit, mit der er mich zu täuschen versuchte. Ohne das Fell zu öffnen, wußte ich, was ich da in der Hand hielt.
Als der Arzt die Wunden gereinigt, sterilisiert und verbunden hatte, entfernte er sich wieder, gefolgt von der Mehrzahl der Zuschauer. Der Schreiber hatte den Arzt aus einem kleinen Eisenkasten für seine Dienste bezahlt – eine Tarsk-Münze wechselte den Besitzer.
Ein Mann hatte die winzige Lampe gefüllt und wieder angezündet. Schließlich war ich mit dem verwundeten Händler und seinem Schreiber allein. Die beiden musterten mich.
»Die Falle ist nicht zugeschnappt«, sagte ich.
»Falle?« fragte der Schreiber.
»Du gehörst nicht der Kaste der Schriftgelehrten an«, sagte ich. »Schau dir doch mal deine Hände an!« Das Zischen der winzigen Flamme war in der nun eintretenden Stille deutlich zu hören.
Die Hände des Mannes waren größer als die eines Schreibers und narbig und aufgerauht. Die Finger waren kurz und wiesen keine Tintenflecke auf.
»Du machst Witze«, sagte der Mann in der Robe des Schreibers.
Ich deutete auf den Kaufmann. »Schau dir seine Wunden an«, sagte ich. »Der Mann, gegen den ich gekämpft habe, war ein Meister seines Fachs, ein geübter Kämpfer, entweder ein Angehöriger der Kriegerkaste oder der Attentäterkaste. Er hat genau das getan, was er wollte – der tödliche Angriff war nur vorgetäuscht.«
»Du hast selbst gesagt, er war ungeschickt«, sagte der Mann in der blauen Robe der Schriftgelehrten.
»Verzeih meinem Kollegen«, sagte der Händler. »Er ist dumm. Er hat nicht erkannt, daß deine Worte ironisch gemeint waren.«
»Du arbeitest für die Kurii«, behauptete ich.
»Nur für einen«, antwortete der andere.
Vorsichtig wickelte ich den Gegenstand aus, den ich in der Hand hielt. Es war eine Schnitzarbeit aus einem bläulichen Steinmaterial, ziemlich rund gestaltet und ungefähr zwei Pfund schwer. Der Stil erinnerte mich an die Kunstwerke der rothäutigen Jäger, die Darstellung eines Tierkopfs. Natürlich handelte es sich um den Kopf eines großgewachsenen Kur. Die Gestaltung war erschreckend realistisch, bis hin zu dem zottigen Haar, den hochgezogenen Lippen und den gebleckten Reißzähnen. Das linke Ohr des Unwesens schien halb abgerissen zu sein.
»Grüße von Zarendargar«, sagte der Händler.
»Er erwartet dich«, fuhr der blaugekleidete Mann fort, »am Ende der Welt.«
Natürlich! dachte ich. Die Kurii haben für Wasser nichts übrig. Für sie, die nicht auf Gor geboren waren, konnte das Ende der Welt nur an einem der Pole liegen.
»Er hat gleich gewußt, daß die Falle nicht klappen würde«, sagte der Händler. »Damit behielt er recht.«
»Das gleiche gilt für die erste Falle, die mit dem Sleen.«
»Damit hatte Zarendargar nichts zu tun«, sagte der Budenbesitzer.
»Er war damit nicht einverstanden«, meinte der andere.
»Er wollte nicht um die Begegnung mit dir betrogen werden«, fuhr der Händler fort. »Es freute ihn, daß der Anschlag mißlang.«
»Im Oberkommando der Kurii gibt es also Spannungen«, stellte ich fest.
»Ja.«
»Aber ihr – ihr arbeitet nur für Zarendargar?«
»Ja«, antwortete der Händler. »Das entspricht seinem Willen. Er braucht seine eigenen Leute.«
»Der Angreifer von vorhin und seine Gefährten?«
»Die Männer gehören zu einem anderen Kommando«, sagte der Händler, »zu einer Gruppierung, die auf den Schiffen wirkt. Auch Zarendargar ist diesem Kommando unterstellt.«
»Ich verstehe«, sagte ich und hob den Kur-Kopf hoch.
»Ihr habt dieses Kunstwerk von einem rothäutigen Jäger erworben, einem Mann mit nacktem Oberkörper und einem Bogen und einem Seil über der Schulter. Das stimmt doch?«
»Ja. Aber er hatte das Stück von einem anderen Mann. Er war aufgefordert worden, uns den Kopf zu bringen, zum Kauf anzubieten.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Wenn ich nicht in die Falle gegangen wäre, hätte ich vermutlich auch nichts gemerkt. Ihr hättet mir diese Schnitzerei geschenkt – aus Dankbarkeit dafür, daß ich den Angreifer vertrieben hätte. Ich hätte dann Vermutungen über die Bedeutung des Kopfes angestellt und wäre nach Norden geeilt, in der Annahme, Halb-Ohr dort überraschen zu können.«
»Ja.«
»Dabei hätte er mich erwartet.«
»Ja«, sagte der Händler.
»Einen Aspekt des Plans habt ihr allerdings alle noch nicht begriffen«, sagte ich.