»Da hast du recht«, sagte ich. »Sicher gäbe es für sie besseres zu tun, als auf deinen Mauern zu sterben.«
»Gib mir dein Wort, Kapitän!«
»Da habe ich wohl kaum eine andere Wahl.«
»Verzeih mir, Kapitän.«
Ich drehte mich um, ergriff die gekreuzten Speere der Türwächter und zerrte sie mit einem Ruck in meine Richtung. Die beiden Männer reagierten nicht schnell genug und ließen los. Einen Speer ließ ich zu Boden fallen, mit dem anderen huschte ich zwischen den beiden Männern hindurch in den Korridor.
»Halt!« rief Samos.
Ich schloß den Durchgang hinter mir, indem ich den Speerschaft durch die Türgriffe schob. Sofort wurde heftig gegen das Holz gehämmert. Ich griff nach dem Schlegel eines Alarmgongs, der im Korridor hing, und hämmerte energisch darauf ein. Das metallene Dröhnen übertönte alle anderen Geräusche. Schritte hallten durch die Gänge, ich hörte Waffengeklirr. Ich eilte durch den Korridor und bediente dort einen weiteren Alarmgong.
Ein Wächter erschien. »Dort!« rief ich. »Im großen Saal! Beeilt euch!« Vier weitere Männer tauchten auf.
»Kommt!« rief der erste Wächter. Die Gruppe stürmte los.
Immer mehr Wächter eilten herbei. »Zum großen Saal!« rief ich, und sie hasteten weiter.
Gleich darauf hatte ich das Doppelportal erreicht das ins Freie führte.
»Was ist denn los, Kapitän?« fragte einer der Wächter.
»Ich glaube, es ist nichts Besonderes«, antwortete ich. »Ein neuer Wächter hat sich von einem Schatten ins Bockshorn jagen lassen und Alarm gegeben.«
»Dann ist also nichts passiert?«
»Ich glaube nicht.«
»Vielleicht ist ein Sleen ausgebrochen«, meinte ein anderer Mann.
»Das wäre schlimm«, sagte ich.
»Vielleicht sollten wir helfen gehen.«
»Ich finde, ihr solltet auf eurem Posten bleiben.«
»Er hat recht«, sagte ein anderer.
»Ist mein Boot fertig?« fragte ich.
»Ja«, erwiderte einer der Wächter. Er öffnete die Innentür und dann das schwere Eisentor.
»Haltet ihn!« tönten die Stimmen. »Haltet ihn!«
»Man scheint einen Eindringling zu jagen«, sagte ich.
»An uns kommt der nicht vorbei«, sagte einer der Wächter.
»Brav, brav«, sagte ich.
»Ich wünsche dir alles Gute, Kapitän«, antwortete der Mann.
Ich nickte ihm zu und trat in den schmalen Hof vor Samos’ Haus und eilte die Treppe zum wartenden Langboot hinab.
»Zum Haus, Kapitän?« fragte Thurnock.
»Ja«, sagte ich.
6
Ich lag auf dem Bauch an dem kleinen Teich und schöpfte Wasser mit der Hand.
Als ich den Hufschlag der Tharlarion hörte, vier oder fünf Tiere, stand ich langsam auf.
»Hast du unseren Sportsklaven gesehen?« fragte sie.
»Nein«, antwortete ich.
Sie bot einen lieblichen Anblick in ihrem Jagdgewand, einer kurzen Tunika und langen braunen Hose, darüber ein rotes Cape und eine ebenfalls rote Kappe mit einer langen Feder. In der Hand hielt sie einen kurzen gelben Bogen aus Ka-la-na-Holz, der sich im Tharlarionsattel mühelos auf beide Seiten bewegen ließ. An den schimmernd schwarzen Stiefeln waren Sporen befestigt. Ein Köcher voller gelber Pfeile hing an der linken Seite ihres Sattels.
»Vielen Dank, Krieger«, sagte sie und zog den leichten Satteltharlarion herum, dessen Klauen am Teichufer Steine aufwühlten.
Sie war in Begleitung von vier Männern, die ebenfalls aufrechte Tharlarion ritten; sie folgten ihr auf ihrem weiteren Weg.
Sie hatte dunkles Haar und dunkle Augen.
Ich beneidete den Sportsklaven nicht um seine Rolle.
Ich befand mich inmitten der weiten Ebene südlich des Lauriusflusses, etwa vierzig Pasangs von der Thassaküste entfernt, etwa hundertundzwanzig Pasangs südlich des Flußhafens Lydius, der an der Mündung des Laurius liegt, auf der anderen Seite des Flusses. Mein Tarn war auf der Jagd. Ich hatte den Weg über das Binnenland eingeschlagen, weil es hier mehr Wild gab.
In jenen Ahn hatte ich nicht die Absicht, meine Reise in Lydius zu unterbrechen. Mein Ziel lag hoch im Norden.
Ich wußte nicht, wie lange mein Tarn brauchen würde, um ein Tier zu reißen und zurückzukehren. Normalerweise geschieht dies innerhalb einer Ahn. Auf Gor gibt es genügend Wild, sofern man nicht in dicht besiedelten Gebieten jagen möchte. In der Regel entdeckt man schon aus dem Sattel ein geeignetes Tier und ruft: »Tabuk!«, das Jagdsignal für den Tarn. Heute aber war die Beute ausgeblieben, woraufhin ich den Tarn allein auf die Jagd schickte. Dabei kann man natürlich im Sattel bleiben, aber ich ziehe es im allgemeinen vor, solange abzusteigen und mir die Beine zu vertreten, denn der Anblick eines fressenden Tarn ist nicht gerade angenehm.
In der Ferne tauchte eine kleine Gruppe auf, die sich langsam näherte. Es waren etwa vierzehn Personen.
Eine weißgekleidete verschleierte freie Frau wurde von vier Sklaven in einer Sänfte getragen. Links und rechts dieser offenen Sänfte ging je ein Mädchen zu Fuß. Sie trugen zwar ebenfalls Schleier, waren aber offensichtlich Sklavinnen.
Es war ein weiter Weg von Port Kar gewesen. Ich war guter Laune.
Außer den Frauen und den Trägersklaven, deren Handgelenke an der Sänfte festgekettet waren, gehörten sieben Krieger zu der Gruppe, sechs Speerträger und ihr Anführer.
Langsam ging ich am Ufer des Teichs entlang der Prozession entgegen. Sie näherte sich dem Wasser; offenbar wollte sie Rast machen.
Ich wartete ab, die Hände auf den Speer gestützt, den Helm im Nacken, den Schild hinter der linken Schulter. Bei meinem Anblick verhielt die Gruppe den Schritt.
Auf eine Geste der weißgekleideten Gestalt hin, setzte man sich wieder in Bewegung. Etwa fünfzehn Schritte vor mir blieb man erneut stehen.
»Tal«, sagte ich und hob die rechte Hand, die Handfläche nach links gerichtet.
Niemand reagierte.
Der Hauptmann trat einen Schritt vor. Seine Truppe kam mir nicht sonderlich freundlich vor.
»Wer bist du?« fragte der Hauptmann.
»Ein Mann, der dich begrüßt hat«, antwortete ich.
»Tal«, sagte er und hob nun ebenfalls die Hand.
»Wir haben von dem Sportsklaven nichts gesehen«, sagte er.
»Ich jage ihn nicht«, meinte ich.
»Wo ist dein Tharlarion?«
»Ich habe keinen.«
»Versperr uns nicht den Weg!«
»Ich habe keine bösen Absichten. Ich begrüße euch in Frieden und Freundschaft.«
»Wer bist du?« fragte der Hauptmann.
»Ein Angehöriger der Kriegerkaste«, gab ich zurück. »Und ein Reisender, jemand, der in diesem Land zu Gast ist.«
»Was hast du hier vor?« fragte er.
»Mein Ziel ist der hohe Norden.«
»Er ist ein Räuber aus den Wäldern nördlich von Laura«, sagte die Herrin der Prozession.
»Nein, meine Dame«, erwiderte ich unterwürfig. Ich neigte den Kopf vor ihr, denn sie war frei und offensichtlich von hohem Rang.
»Du bist begrüßt worden«, sagte sie eisig. »Jetzt mach uns Platz!«
Ich fand ihren Ton mürrisch. Ich bewegte mich nicht.
»Vor dir steht das Gefolge von Constance, Lady in Kassau, auf dem Weg nach Lydius, nachdem sie sich Ar angesehen hat.«
»Sie muß reich sein«, bemerkte ich. Das lag auf der Hand, denn sonst hätte sie sich bestimmt einer Karawane angeschlossen und wäre nicht mit eigener Bedeckung gereist.
»Mach Platz!«
»Einen Augenblick noch, Hauptmann«, sagte ich und wandte mich an die freie Frau. »Hohe Dame«, sagte ich, »ich bin ein Mann – und ein Krieger. Ich habe einen weiten Weg hinter mir, Vermutlich werdet ihr doch kurz hier rasten, um Wasser aufzunehmen und vielleicht sogar über Nacht zu bleiben.«
»Was will er?« fragte die Frau.
»Er ist ein Krieger, meine Dame«, sagte der Hauptmann.
»Verzeih mir, meine Dame«, sagte ich, »aber mich plagt die Not«
Die beiden Sklavinnen warfen sich einen hastigen Blick zu.