Und damit hatte er recht, zumindest aus seiner Sicht. Die Frauen der rothaarigen Jäger gehen anders gekleidet als die Männer. Sie tragen weiche Sleenhautstiefel, die bis zur Hüfte reichen, dafür sind ihre Fellhosen nur kurz. Oben schließt sich ein Gewand aus perlenbesetzter Larthaut an. Bei kaltem Wetter tragen sie, wie die Männer, eine oder mehrere Kapuzenparkas aus Tabukfell. Tabuk ist der wärmste Pelz der Arktis. Die Haare eines Nord-Tabuk sind übrigens hohl. Die darin festsitzende Luft gibt dem Fell ausgezeichnete Isoliereigenschaften. Überhaupt spielt Luft bei der Bekleidung der rothäutigen Jäger eine große Rolle. Erstens sind die Kleidungsstücke, die aus Tierhäuten bestehen, windundurchlässig. Der erwärmende Faktor ist die Luft zwi-schen Haut und Kleidung, die wegen des Gewichts der Parka und der Kapuze nicht nach oben entweichen kann und daher wärmt. Nach unten hin geht auch keine Wärme verloren, da warme Luft nach oben steigt. Interessanterweise besteht die Hauptgefahr dieser Kleidung darin, sich zu überhitzen. Es darf auf keinen Fall einen Niederschlag von Feuchtigkeit geben, kei-nen Schweiß, der die Kleidung durchnäßt, die daraufhin brüchig gefrieren kann. Der Jäger des Nordens begegnet dieser Gefahr, indem er den Kragen seines Kleidungsstücks öffnet und damit die Ventilation in Gang bringt. Die Kleidung des arktischen Jägers ist seinen Bedürfnissen im rauhen Klima seiner Heimat bestens angepaßt. Sie ist warm, leichtgewichtig und gibt größte Bewegungsfreiheit. So sind zum Beispiel die Armlöcher der Parka so geschnitten, daß man Arme und Hände nach innen hereinziehen und am Körper wärmen kann.
»Leiste gute Arbeit, Tarl Cabot!« rief die hübsche Aufseherin von der Plattform.
»Abmarsch!« sagte der Wächter.
Im Gleichschritt setzten wir uns in Bewegung, zuerst den linken Fuß, dann den mit Ketten belasteten rechten.
Der Baumstamm war ungeheuer schwer. »Das ist ja steinhart«, sagte Ram und hämmerte die Eisenstange, die er mit einem Stück Fell umfaßte, schräg in den Boden, Ein gefrorenes Stück splitterte los und fiel klappernd herab.
Auch ich stemmte eine Stange in das Loch. Ein Stück gefrorenes Erdreich wirbelte zur Seite.
Wir versuchten ein schräges Loch zu graben, denn die Stämme, die wir anbringen sollten, waren als diagonale Verstärkung hinter der eigentlichen Mauer gedacht. Wir waren etwa eine halbe Pasang von der Plattform entfernt an einer Stelle der Mauer, die ziemlich geschwächt war. Davon hatte ich schon tags zuvor erfahren, ehe ich von der blonden Aufseherin aus ihrem Hauptquartier geleitet worden war. Den ganzen Tag war hier mit Balken und Steinen gearbeitet worden, doch es gab noch viel zu tun. Die kritische Stelle befand sich, wenn man auf die Tabukherde hinunterschaute, links von der Plattform. Der mittlere Teil der Mauer erstreckte sich natürlich quer zur Mitte des natürlichen Wanderweges der Tabuk. Manchmal drängten die frustrierten Tiere gegen die Mauer, manchmal auch nicht ganz freiwillig wenn der Druck der nachrückenden Tiere zu stark wurde. Von Zeit zu Zeit, wenn sie etwas Platz harten, rannten jüngere Stiere aufgebracht mit ihrem Horn gegen das störende Bauwerk an. Die Tiere begriffen das Hindernis nicht, es regte sie auf. Warum gab es nicht nach?
Zwei- oder dreimal hatte die Mauer tatsächlich nachgegeben, das erfuhr ich jetzt, war aber jedesmal noch rechtzeitig wieder instandgesetzt worden.
»Ein Stein kommt hierher«, sagte ein Wächter.
Die Männer, die den schweren Brocken herbeischleppten, lehnten ihn gegen die Mauer. Dort würde er die Barriere abstützen, wenn auch nicht so gut wie die Balkenstreben, die wir aufzustellen versuchten.
Auf der anderen Seite der Mauer bewegten sich viele tausend Tabuks. Neue Tiere trafen täglich ein, aus den Gegenden östlich von Torvaldsland.
»Wegen des Permafrosts«, sagte ich zu Ram, »können die Stämme der Mauer nicht allzu fest sein.«
»Sie stehen aber tief genug«, sagte er. »Ohne entsprechenden Arbeitseinsatz sind sie nicht herauszuziehen.«
»Arbeiter haben wir doch wohl genug«, sagte ich.
»Vielleicht solltest du diese Sache mit den Wächtern besprechen«, meinte er.
»Die wären damit sicher nicht einverstanden.«
»Was hast du vor?«
Wir waren zusammengekettet, doch von den anderen gelöst, damit wir besser arbeiten konnten. Ringsum waren mehrere andere Sklavenpaare auf gleiche Weise am Werk. So konnte die große Kette immer wieder in kleine Arbeitsgruppen aufgeteilt werden.
»Imnak«, fragte ich, »möchtest du gern nach Hause reisen?«
»Ich habe seit vier Monden keinen Trommeltanz mehr gesehen«, antwortete er.
»Tasdron«, fragte ich, »hättest du gern ein neues Schiff?«
»Ich würde es für die Abwehr von Tarnkämpfern ausrüsten«, sagte er. »Dann sollen sie nur versuchen, es zu erobern.«
»Seid nicht töricht«, sagte ein anderer Mann. »Flucht ist sinnlos. Wir sind angekettet. Es gibt viele Wächter, auch wenn sie nicht alle hier sind.«
»Ihr habt keine Verbündeten«, sagte ein anderer Mann.
»Das ist ein Irrtum«, sagte ich, »wir haben viele tausend Verbündete.«
»Ja!« rief Ram. »ja!«
Die Schlüssel zu unseren Fußfesseln wurden von dem Ersten Wächter verwahrt, der über unsere Kette gebot.
»Nicht so viel reden«, sagte ein Wächter. »Ihr seid hier, um eine Mauer zu verstärken, nicht um zu klatschen wie Sklavinnen.«
»Ich fürchte, die Mauer hier bricht gleich ein!« sagte ich und deutete auf eine Stelle zwischen zwei dicken Holzpfählen.
»Wo?« fragte er und begab sich zur Mauer, die er mit den Händen betastete.
Es war sicher nicht klug von ihm, seinen Gefangenen den Rücken zuzudrehen.
Von hinten schleuderte ich ihn gegen die Mauer. Mit beträchtlicher Wucht prallte der Kopf dagegen. Dann winkte ich die ringsum stehenden Männer näher zu mir, bis der Wächter nicht mehr zu sehen war. Sein Schwert hielt ich in der Hand.
»Was ist da los?« rief der Erste Wächter.
»Du bringst uns alle an den Galgen«, sagte ein Mann.
Der Wächter drängte sich links und rechts um sich schlagend durch unsere Gruppe. Dann entdeckte er seinen gestürzten Kollegen. Erbleichend drehte er sich um, die Hand auf den Schwertgriff gelegt. Doch die Klinge in meiner Hand hatte sich bereits auf seine Brust gerichtet.
Mit schnellen Bewegungen nahm ihm Ram seine Schlüssel ab. Er befreite mich und sich und reichte die Schlüssel an Tasdron weiter.
»Ihr habt keine Chance«, sagte der Erste Wächter. »Im Rücken habt ihr die Mauer und vor euch zahlreiche Wächter, die sehr schnell alarmiert werden können.«
»Ruf die anderen beiden Bewacher zu dir!« forderte ich.
»Nein, das tue ich nicht«, antwortete er.
»Die Entscheidung liegt bei dir«, fuhr ich ihn an und grub im die Schwertspitze in die Brust.
»Warte!« rief er und rief: »Jason! Ho-Sim! Kommt an die Mauer!«
Ahnungslos eilten die beiden herbei, und gleich darauf besagen wir vier Schwerter und zwei Speere. Die Männer trugen keine Schilde, denn sie waren nur zur Bewachung von Gefangnen eingeteilt worden.
»Hauptmann!« rief ein fünfter Wächter aus einiger Entfernung. »Alles in Ordnung?«
»Ja!« rief er zurück.
Doch anscheinend hatte der Mann einen Speer zwischen der Arbeitern gesehen. Hastig machte er kehrt und rannte so schnell er konnte auf die Plattform und die Hauptgebäude zu.
»Einen Speer!« forderte ich.
Doch als ich die Waffe in der Hand hielt, war der Mann bereit außer Reichweite.
»Er schlägt Alarm«, sagte der Erste Wächter. »Euer Versuch ist gescheitert. Gebt mir die Waffen zurück, legt euch die Ketten wieder an, dann will ich mich dafür einsetzen, daß ihr mit der Leben davonkommt!«
»Also, Freunde«, sagte ich, »jetzt wollen wir frohgemut an du Arbeit gehen. Ich glaube nicht, daß wir noch viel Zeit haben.«
Energisch machten wir uns daran, die Mauer zu öffnen.
»Ihr seid ja wahnsinnig!« rief der Erste Wächter. »Ihr werdet alle zertrampelt.«
Sobald wir einen der Pfähle aus der Erde und zur Seite gehoben hatten, drängte Imnak durch die Öffnung und verschwand zwischen den Tabuk.