Die junge Frau hatte mit anderen Jugendlichen ein fußballähnliches Spiel gespielt; Tore waren ins Gras gezeichnet. Zu spät hatte ich erkannt, daß ich versehentlich mitten durch das Spielfeld gelatscht war.
»Sie hat eine spitze Zunge«, sagte der Mann.
»In der Tat. Wer ist sie?«
»Poalu, die Tochter Kadluks.« Die rothäutigen Jäger sprechen ihren eigenen Namen zwar nur widerstrebend aus, doch mit den Namen anderer gehen sie freizügig um. Es ist ja nicht ihr Name, und sie sehen keine Gefahr, daß er womöglich entweicht, wenn sie ihn benutzen. Manchmal ist es sehr schwierig oder sogar unmöglich, einem Nordländer seinen Namen zu entlocken. Oft erfährt man dann den Namen eines Freundes, der einem schließlich den gewünschten Namen mitteilt. Auf diese Weise lernt man beide Männer kennen, doch keiner mußte seinen Namen selbst sagen.
»Ein hübsches Ding, nicht wahr?« sagte der Mann.
»Ja«, sagte ich. »Hast du die Absicht, ihr ein Festgewand anzubieten?«
»Ich bin doch nicht verrückt«, antwortete er. »Kadluk wird sie nie loswerden.«
Ich fand, an dieser Einschätzung der Lage war etwas dran.
»Hast du einen Freund, der vielleicht deinen Namen kennt?« fragte ich.
Er rief einen Mann herbei, der in der Nähe stand. »Jemand möchte jemandes Namen wissen«, sagte er.
»Er ist Akko«, sagte der Mann und entfernte sich wieder.
»Ich kann meinen Namen selbst sagen. Ich stamme aus dem Süden. Ich bin Tarl.« Ich wartete einen Augenblick lang. »Tarl, hörst du? Mein Name hat mich nicht verlassen.«
»Vielleicht ist er ganz schnell zurückgekehrt«, sagte Akko vorsichtig. »Gutes Jagen.«
»Gutes Jagen«, gab ich zurück, und er entfernte sich.
Vor sechs Tagen waren Imnak und ich mit unseren Sklavinnen
aus dem Paß von Tancred herabgestiegen. Die große Tabukjagd war bereits im Gange gewesen. Viele hundert Frauen und Kinder der rothäutigen Jäger waren pasangweit ausgeschwärmt und hatten die Herde brüllend und Pfannen schlagend in die große Steingrab-Allee gelenkt. Diese Grabmäler aus aufeinandergestapelten Steinen, jeweils vier oder fünf Fuß hoch, darauf schwarze Erde, bildeten einen langen, gut zwei Pasangs tiefen Trichter. Die Herde, die sich beim Grasen auf der Tundra auseinandergezogen hat, wird zu Tausenden von den Treibern in das große offene Ende des Trichters getrieben. Die Grabmäler, die entfernt Menschen ähneln, sorgen auf unerklärliche, unterschwellige Weise dafür, daß die Tiere im Trichter bleiben, obwohl sie gar nicht richtig eingepfercht sind. Nur sehr wenige Tiere entweichen zwischen den einzelnen Grabstätten. Die Herde hastet durch den Trichter, an dessen Ende sie natürlich kehrtmacht und verwirrt durcheinanderläuft. Viele Tiere werden getötet bis sich einige Tabuk, die klüger oder entsetzter sind als die anderen, aus der Gruppe lösen und schnaubend auf die freie Weite der Tundra galoppieren.
Ich beobachtete den Ringkampf zweier Männer.
Noch hatte ich Imnak nichts von der blauen Figur erzählt, die ich in der Tasche trug, von der Darstellung des Kur mit dem halb abgerissenen Ohr.
Im fernen Süden machte ich die blaue Kette der Hrimgar-Berge aus. Im Norden erstreckte sich die Tundra bis zum Horizont.
Viele Goreaner wissen nicht, wie es im hohen Norden wirklich ist. Zum einen ist es sehr trocken. Es fällt hier weitaus weniger Schnee als in südlicheren Breiten. Wenn aber Schnee fällt, dann schmilzt er nicht wieder so schnell. Der größte Teil des Terrains ist Tundra, eine kalte, allenfalls leicht gewellte, baumlose Ebene. Wegen des geschmolzenen Oberflächeneises und des darunter liegenden Permafrosts, der ein Einsickern verhindert, ist die Tundra im Sommer oft weich und morastig. Im Winter und in den Frühlings- und Herbstperioden stellt sie sich öde und abweisend dar, vom Wind heimgesucht, gefroren. Zu diesen Zeiten halten sich die rothäutigen Jäger am Meer auf, im Frühling und Herbst an den Küsten, im Winter draußen auf dem Eis.
Im Sommer jedoch ist die Tundra alles andere als eintönig. Überall blühen kleine Blumen. Der größte Teil der Pflanzen ist perennierend, da die Wachstumsperiode zu kurz ist, als daß im Jahreszyklus lebende Gewächse ihre Entwicklung vollenden könnten. Im Winter schlummern viele Knospen dieser Pflanzen in einer weichen Hülle, die sie vor der Kälte schützt. Es gibt in der goreanischen Arktis im Umkreis von fünfhundert Pasangs vom Pol etwa zweihundertundvierzig verschiedene Pflanzengattungen. Davon ist interessanterweise keine giftig oder mit Dornen bewehrt. Im Sommer gedeihen Blumen und Pflanzen beinahe überall.
Manchmal erscheinen im Sommer sogar Insekten – langgeflügelte schwarze Fliegen, die sich in großen Schwärmen auf die Zeltbahnen und Gesichter setzen.
Zwei Kinder liefen an mir vorbei. Sie spielten Fangen.
Ich blickte nach Norden, Dort wartete Zarendargar auf mich.
»Hilf uns, Tarl!« sagte Akko, der Mann, mit dem ich mich vorhin bekanntgemacht hatte.
»Er ist ein kräftiger Bursche«, meinte ein anderer.
Ich folgte Akko und seinen Freunden an eine Stelle, wo zwei Gruppen von Männern warteten. Zwischen ihnen lag ein schweres geflochtenes Tau aus gezwirbeltem Sleen-Leder.
Ich wurde an ein Ende des Seils gestellt. Nach kurzer Zeit begannen wir, von begeisterten Zuschauern beobachtet, mit dem Wettkampf. Viermal spannte sich das Seil, und viermal siegte unsere Mannschaft. Man gratulierte begeistert und schlug mir heftig auf den Rücken.
Dementsprechend war ich bei guter Laune, als ich zu Imnaks Zelt zurückkehrte.
»Sei gegrüßt, mein Freund«, sagte ich. »Hast du einen guten
Tag gehabt?« fragte ich.
»Ja«, sagte er. »In der Tat.«
»Wie ist das Mädchen mit den kastanienbraunen Haaren?« fragte ich.
»Großartig«, gab er zurück. »Aber Fingerhut und Distel sind noch besser.«
Das bezweifelte ich nicht, denn sie waren schon länger Sklavinnen gewesen.
»Mach uns Tee, Arlene!«
»Ja, Herr«, sagte sie. Imnak, Fingerhut und Distel schliefen. Draußen kreiste die tiefstehende Arktissonne am Himmel. Sie ging nicht unter.
»Herr«, flüsterte Arlene.
»Ja?«
»Darf ich zu dir in den Schlafsack kommen, Herr?«
Ich ließ sie zu mir herein und legte ihr den Arm um den zierlichen Körper. Ihr Kopf ruhte auf meiner Brust.
»Heute hast du mich gezwungen, zu einem Mann zu gehen und mich von ihm nehmen zu lassen«, sagte sie. »Wie stark du bist!« fügte sie staunend hinzu und küßte mich. »Ich wußte nicht, was das Sklavendasein wirklich bedeutet.«
»Das weißt du immer noch nicht.«
»Aber du bringst es mir bei.«
»Vielleicht.«
»Es ist ein seltsames Gefühl.«
»Du hast Angst davor?«
»Ich… ich spüre da etwas in mir…«
»Du hast das Zeug zu einer echten Sklavin, du weißt es nur noch nicht.«
»Nein«, sagte sie.
»Kämpfe gegen das Gefühl an.«
»Das werde ich tun.«
»Aber es wird dir nichts nützen.«
Sie schwieg.
»Du bist gegen deine Instinkte erzogen worden. Die Gesellschaft aus der du kommst, hat kein Interesse an den psychobio-logischen Bedürfnissen der menschlichen Frau. Die große Maschine ist zum Selbstzweck programmiert, nicht mit der Absicht, ihren menschlichen Bestandteilen dienlich zu sein.«
»Ich möchte kein Teil einer Maschine sein«, sagte sie.
»Dann lieg still und lausche auf deinen Herzschlag.«
»Beim Lärm der Maschine kann man kaum etwas hören.«
»Aber es schlägt«, sagte ich. »Hör nur hin!«
Sie liebkoste mit den Lippen meinen Penis.
»Laß das!« sagte ich, packte ihr Haar und riß ihren Kopf beiseite. »Man hat dich auf eine bestimmte Funktion getrimmt und dich nie gelehrt, wirklich zu leben.«
»Wie falsch es ist, zu leben!« schluchzte sie.
»Vielleicht ist es gar nicht falsch.«
»Ich wage es nicht, ich selbst zu sein«, sagte sie.
»Warum nicht?«
»Weil ich das Gefühl habe, daß tief in mir wirklich eine Sklavin steckt.«
»Eines Tages wirst du erweckt werden und feststellen, daß diese Sklavin du selbst bist.«