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»Poalu hat keine Brüder.«

»Da haben wir ja Glück. Und was ist mit ihrem Vater? Ich hoffe, der ist wenigstens schwach und unfähig.«

»Kadluk ist ein großer Jäger«, sagte Imnak. »Er kann einen Meeres-Sleen aus einem schwankenden Kajak mit einem Harpunenwurf ins Auge treffen.«

»Wenn nun Kadluk etwas dagegen hätte, daß ich seine Tochter entführe?«

»Warum sollte er etwas dagegen haben?«

»Ach, ich weiß nicht. War nur so ein Gedanke.«

»Keine Sorge«, sagte Imnak beruhigend. »Es ist alles arrangiert.«

»Arrangiert?«

»Ja.«

»Dann weiß Kadluk also, daß ich seine Tochter entführen soll?«

»Selbstverständlich«, sagte Imnak. »Man würde doch wohl kaum wagen, Kadluk ohne seine Erlaubnis die Tochter wegzunehmen!«

»Nein, soweit ich Kadluk bisher kenne, wäre das sicher nicht angebracht.«

»Es wäre nicht höflich.«

»Stimmt«, sagte ich. Außerdem wollte ich keine Harpune in den Kopf bekommen. Der Gedanke, daß der stählern blickende Kadluk seine Harpune auf mich richten könnte, war beängstigend. Irgendwie bekam ich den Meeres-Sleen nicht aus dem Kopf.

»Weiß Poalu, daß sie entführt werden soll?« fragte ich.

»Aber ja«, sagte Imnak, »wie könnte sie sonst zur rechten Zeit fertig sein?«

»Ich habe mir das nicht klar überlegt«, sagte ich.

»Schon gut«, meinte Imnak großzügig.

»Nun, dann wollen wir zum Zelt zurückkehren. Die Tabuk sind fort, und ich bin durchnäßt und friere. Ich freue mich schon auf einen Becher heißen Bazi-Tee.«

»Ach mein Freund«, sagte Imnak traurig, »leider haben wir keinen Bazi-Tee.«

»Aber noch vor kurzem hattest du doch sehr viel.«

»Stimmt, aber jetzt gibt es ihn nicht mehr.«

»Du hast dir Poalu mit dem Tee gekauft?«

Imnak sah mich entsetzt an. »Ich habe Kadluk ein Geschenk gemacht«, sagte er.

»Oh«, sagte ich.

»Außerdem haben wir keinen Zucker mehr, und nur noch wenige Felle.«

»Was ist aus den Goldstücken geworden, die du im Süden eingenommen hast?«

»Die habe ich ebenfalls Kadluk gegeben«, sagte Imnak, »wie auch den größten Teil des Holzes.«

»Wenigstens haben wir die Tabukstreifen von unserem letzten Jagdausflug.«

»Kadluk mag Tabuk.«

»Oh.«

Wir trotteten ins Lager zurück, durchnäßt und bedrückt.

Wie es das Glück so wollte, begegnete uns Poalu.

»Ah«, sagte sie. »Ihr wart auf der Jagd.«

»Ja«, sagte Imnak.

»Wie ich sehe, brecht ihr unter der Last eurer Beute beinahe zusammen«, meinte sie.

»Nein«, sagte Imnak.

»Ich verstehe«, sagte Poalu. »Ihr habt draußen viele Tiere getötet und das Fleisch als euer Eigentum gekennzeichnet. Später schickt ihr die Mädchen los, damit sie für uns alle Fleisch abschneiden.«

Imnak ließ den Kopf hängen.

»Du willst doch nicht behaupten, daß du ohne Fleisch ins Lager zurückgekehrt bist?« fragte sie ungläubig.

»Ja.«

»Das glaube ich einfach nicht! Ein großer Jäger wie Imnak bringt kein Fleisch?«

Imnak trat von einem Fuß auf den anderen und sah sie nicht an.

»Ob sich mein Vater wohl irrt?« fragte sie.

Imnak hob verwirrt den Kopf.

»Er behauptet, Imnak wäre ein großer Jäger! Ich halte das für die Wahrheit. Nur ist Imnak nicht besonders schlau und läßt das Fleisch draußen liegen, wo die Jards sich daran gütlich tun können. «

Wieder senkte Imnak den Kopf. »Was für ein Glück, daß du ein Pechvogel ohne Frau bist! Stell dir vor, wie verlegen sie jetzt sein müßte! Sie wendet sich an ihre Gäste: ›O nein, Imnak hat schon wieder vergessen, das Fleisch mitzubringen.‹ ›Nicht schon wieder!‹ rufen sie. ›O ja‹, sagt sie. ›Er ist ein großer Jäger. Er vergißt bloß immer seine Beute mit nach Hause zu bringen. Er ist nicht gerade klug. Er überläßt das Fleisch den Jards.‹«

»Glaubst du wirklich, daß sie damit rechnet, entführt zu werden?« fragte ich Imnak leise.

»Aber ja«, antwortete Imnak. »Siehst du nicht, daß sie mich liebt?«

»O doch, das sieht man sofort.«

Poalu wandte sich an mich. Mit schneller Bewegung zog sie ein Messer. »Ich glaube nicht, daß du mich entführen wirst«, sagte sie. »Ich werde dich in Streifen schneiden!«

Ich wich einen Schritt zurück, um nicht von dem Messer getroffen zu werden. Imnak sprang ebenfalls zur Seite.

Daraufhin machte Poalu kehrt und entfernte sich.

»Sie ist manchmal ein bißchen launisch«, sagte Imnak entschuldigend.

»O ja«, sagte ich.

»Aber sie liebt mich.«

»Bist du sicher?«

»Ja. Sie kann ihre Gefühle nicht verbergen.« Er stieß mich mit dem Ellbogen an. »Ist dir nicht aufgefallen, daß sie mit dem Messer nicht zugestoßen hat?« fragte er geheimnisvoll.

»Ja«, sagte ich, »sie hat danebengestochen.«

»Wenn Poalu mich nicht liebte, hätte sie getroffen.«

»Ich hoffe nur, daß du recht hast.«

»Naartok hat sie nicht verfehlt.«

»Oh.«

»Er lag sechs Wochen in seinem Zelt.«

»Wer ist Naartok?«

»Mein Rivale«, antwortete Imnak. »Er liebt sie noch immer. Vielleicht versucht er, dich zu töten.«

»Ich hoffe, er ist nicht sonderlich geschickt darin, Sleen mit der Harpune zu treffen.«

»Nein«, sagte Imnak, »so gut wie Kadluk wirft er nicht.«

»Das ist gut«, sagte ich.

14

Es ist nicht einfach, an einem Zelt anzuklopfen.

»Sei gegrüßt, Kadluk!« rief ich.

Ein kupferrotes Gesicht schob sich durch den Zeltspalt. Es war ein sehr breites Gesicht mit hohen Wangenknochen und beinahe schwarzen, funkelnden Augen, ein Gesicht, das von kurzgeschnittenem blauschwarzem Haar gerahmt wurde, mit Locken über der Stirn.

»Ah«, strahlte Kadluk, »du mußt der junge Mann sein, der meine Tochter entführen will.«

»Ja«, sagte ich. Er schien guter Stimmung zu sein. Womöglich hatte er viele Jahre lang auf diesen Augenblick gewartet.

»Sie ist noch nicht fertig«, sagte Kadluk und zog entschuldigend die Achseln hoch. »Du weißt ja, wie Mädchen sind.«

»Ja«, gab ich zurück. Ich blickte über die Schulter auf Imnak, der mir aus einigen Metern Entfernung moralische Unterstützung zukommen ließ. Er lächelte und winkte mir ermutigend zu. So wartete ich denn gelassen vor dem Zelt.

Ich wartete mehrere Minuten lang.

Eine zweite Gestalt kam aus dem Zelt, eine Frau, Tatkut, die Frau Kadluks, Mutter von Poalu. Sie lächelte zu mir empor, verneigte sich etwas und reichte mir einen Becher Tee.

»Danke«, sagte ich und trank den Tee.

Nach kurzer Zeit kehrte sie zurück, und ich gab ihr den Becher. Sie lächelte, nickte und verschwand im Zelt.

Imnak schob sich an mich heran. Er schien beunruhigt zu sein. »Es sollte nicht so lange dauern, ein Mädchen zu entführen«, flüsterte er. Ich nickte.

»Es sollte nicht so lange dauern, ein Mädchen zu entführen!« rief ich. Erwartungsvoll zog sich Imnak wieder zurück.

Im Zelt hörten wir plötzlich streitende Stimmen. Es wurde lautstark geschimpft. Ich erkannte Poalus Stimme, wie auch die von Kadluk und Tatkut. Sie äußerten sich in ihrer Muttersprache, von der ich bisher nur wenige Worte verstand. Mehrmals hörte ich das Wort, das Bazi-Tee bedeutete, und schloß darauf, daß Kadluk nicht die Absicht hatte, Imnak seinen Tee und die anderen Geschenke zurückzugeben.

Nach einer Weile tauchte Kadluks Kopf am Zelteingang auf. »Sie will nicht entführt werden«, verkündete er mürrisch.

»Na, das war’s dann«, sagte ich achselzuckend und wandte mich an Imnak. »Sie will nicht entführt werden. Kehren wir zum Zelt zurück.«

»Nein, nein!« rief Imnak. »Jetzt mußt du ins Zelt stürmen und sie gewaltsam heraustragen.«

»Ist Kadluk bewaffnet?« fragte ich.

»Was kann das für einen Unterschied machen?« wollte Imnak wissen.

»Ich dachte mir, daß da ein Unterschied wäre«, gab ich zurück. Ich kam nicht von der Harpune und dem Sleen los.