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»Nein«, sagte Imnak und rief: »Kadluk!«

Kadluk trat aus dem Zelt.

»Sieht so aus, als müßte deine Tochter gewaltsam entführt werden«, sagte Imnak.

»Ja«, meinte Kadluk, und diese Antwort beruhigte mich.

»Dann los!« sagte Imnak zu mir. »Rein ins Zelt! Hol sie!«

»Na gut«, sagte ich.

»Sie hat ein Messer«, warnte mich Kadluk.

»Mach schon!« drängte Imnak.

»Wir wollen doch nichts überstürzen«, sagte ich. »Bist du sicher, daß du Poalu in deinem Zelt haben willst? Vielleicht solltest du dir das alles noch einmal überlegen.«

»Aber wir lieben uns doch«, sagte Imnak.

»Warum gehst du dann nicht ins Zelt und holst sie selbst?«

»Ich bin zu schüchtern«, sagte Imnak und ließ den Kopf hängen.

»Vielleicht hört sie auf die Summe der Vernunft«, sagte ich hoffnungsvoll.

Kadluk brach in brüllendes Gelächter aus. Im nächsten Augenblick wälzte er sich wiehernd auf dem Boden. Rothäutige Jäger lassen sich ihre Gefühle oft sehr deutlich anmerken. Nach wenigen Sekunden war er wieder zu sich gekommen und wischte sich die Tränen aus den Augen.

Ich hob die Zeltplane vorsichtig zur Seite. Drinnen stand Poalu. Sie trug Festkleidung. Neben ihr befand sich ihre Mutter Tatkut und strahlte stolz ihre Tochter an.

Ich duckte mich. Das Messer sauste an meinem Kopf vorbei und verfehlte Imnak draußen nur knapp.

»Du trägst mich nicht mit Gewalt hier fort!« rief sie.

»Sieht beinahe so aus«, meinte ich.

Sie griff nach einer schweren Eisenpfanne, die sich auf meinem Schädel nicht sehr angenehm angefühlt hätte.

»Hör mal«, sagte ich, »ich bin hier, um dich zu entführen! Alle Arrangements sind getroffen.«

»Ich habe nichts arrangiert«, entgegnete sie.

Das schien mir ein guter Einwand zu ein. »Sie sagt, sie habe nichts arrangiert«, rief ich zu Imnak hinaus.

»Darauf kommt es nicht an!« rief Imnak zurück.

»Darauf kommt es nicht an«, gab ich an sie weiter.

»O doch!« rief sie.

»Oh doch, meint sie!« verständigte ich Imnak.

»Es kommt nicht darauf an. Sie ist nur eine Frau!«

»Du bist nur eine Frau«, gab ich ihr Imnaks Argument weiter, das mir stichhaltig zu sein schien.

Im nächsten Augenblick stürzte sie sich mit der riesigen Pfanne auf mich. Ich nahm ihr das Utensil ab, um mir keine Beulen zu holen.

Daraufhin wich sie in die hinterste Ecke des Zelts zurück und sah sich um. Sie fand nichts, das als Waffe geeignet war. Offensichtlich hatte Kadluk vorgesorgt und seine Waffen aus dem Zelt genommen, ehe Imnak und ich auftauchten.

Er kannte seine Tochter eben sehr gut.

»Würdest du mir bitte den Speckhammer geben, der da hinter dir liegt?« fragte Poalu.

Entgegenkommend reichte ich ihr das Instrument, dessen ich mich wohl erwehren konnte. Das Werkzeug, das einen Steinkopf und einen hölzernen Griff hatte, wurde dazu benutzt, den Walfischspeck zu beklopfen, um das darin befindliche Öl zu lockern, das in den flachen ovalen Lampen Verwendung findet.

»Vielen Dank«, sagte Poalu und musterte mich, den Hammer in der Hand.

»Wenn du nicht entführt werden willst, warum trägst du dann Festkleidung?« fragte ich.

»Ist sie nicht hübsch?« fragte Tatkut lächelnd.

»O ja.«

Poalu musterte mich mit geneigtem Kopf. »Ich bin kein gewöhnliches Mädchen, das sich so einfach entführen läßt«, stellte sie fest

»Das habe ich schon gemerkt.« »Wo ist Imnak?« wollte sie wissen.

Sie mußte wissen, daß er dicht vor dem Zelt stand. »Er ist draußen, vor dem Zelt«, informierte ich sie.

»Warum entführt er mich nicht selbst?«

»Ich wünschte, er würde es tun. Aber er ist zu schüchtern.«

»Nun denn, ich komme nicht mit.«

»Sie sagt, sie kommt nicht mit!« rief ich zu Imnak hinaus.

Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann hörte ich Imnak sagen. »Na schön, mir soll’s recht sein.«

Poalu schien verwirrt zu sein. Ich atmete auf und wandte mich zum Gehen.

»Moment!« sagte sie. »Willst du mich nicht entführen?«

»Wenn es an mir läge, könntest du für alle Ewigkeit im Zelt deines Vaters wohnen.«

»Ja«, sagte Imnak draußen, »mir ist es auch recht, wenn sie nicht mitkommen will.«

»Ich gebe dir deine Geschenke zurück, Imnak«, sagte Kadluk lauter, als eigentlich nötig war.

»Du darfst sie behalten«, sagte Imnak großzügig.

»Nein, das kommt nicht in Frage!« rief Kadluk. Ich hoffte insgeheim, daß er die Geschenke doch zurückgeben konnte. In Imnaks Zelt hatten wir gute Verwendung für den Bazi-Tee, die Felle und die Tabuk-Steaks.

»Ich freue mich schon auf die Lieder, die man im Festhaus über Poalu singen wird!« sagte Imnak laut. »Niemand wollte sie haben!«

»Wie kannst du mich entführen?« fragte Poalu laut. »Du hast ja keinen Schlitten.«

»Es liegt ja auch kein Schnee«, sagte ich zu ihr.

»Man kann die Dinge richtig, aber auch falsch anpacken«, sagte Poalu zu mir.

»Schau doch mal heraus!« rief Imnak. »Hier ist ein Schlitten!«

Ohne den Speckhammer loszulassen, steckte Poalu den Kopf ins Freie.

Ja, da stand der Schlitten, den Imnak an der Mauer gebaut hatte und auf dem er seine Vorräte und Habseligkeiten über den Axtgletscher befördert hatte. Fingerhut, Distel und Arlene standen im Geschirr des Gefährts.

»Ho! Ho!« rief Poalu verächtlich. »Du willst ein Mädchen auf einen Schlitten entführen, der von weißhäutigen Sklavinnen gezogen wird! Was für ein Schuft du doch bist! Eine Beleidigung!«

»Ich borge mir einen Schnee-Sleen aus«, sagte Imnak. »Wärst du damit zufrieden?«

»Vielleicht«, sagte Poalu.

Imnak band Fingerhut, Distel und Arlene vom Schlitten los. Die Sklavinnen standen ein wenig ratlos herum. Er machte kehrt und verschwand zwischen anderen Zelten. »Möchtest du noch Tee?« fragte mich Tatkut.

»Ja, bitte.« Wenigstens bekam ich eine kleine Portion des Tees zurück, den Imnak Kadluk geschenkt hatte.

Wenige Minuten später kehrte Imnak zurück; er führte einen Schnee-Sleen an einer dicken Leine. Es war Akkos Tier, das dieser seinem Freund nach Art der Jäger bereitwillig überlassen hatte.

»Jemand hat vor jemandes Zelt einen Schlitten mit einem Sleen stehen!« rief Imnak.

»Du erwartest doch nicht von mir, daß ich mich von einem so jämmerlichen Tier ziehen lasse!« rief Poalu.

»Natürlich nicht«, sagte Imnak und machte Anstalten zu gehen.

»Was machst du da?« fragte Poalu.

»Ich gehe«, sagte Imnak. »Ich kehre in mein Zelt zurück.«

»Dann muß ich mich wohl mit dem Tier zufriedengeben«, sagte Poalu.

»Du könntest ihr einen kräftigen Schlag auf den Kopf geben«, riet mir Kadluk. »So habe ich es mit Tatkut gemacht.« Tatkut nickte mit strahlendem Lächeln.

»Ein guter Gedanke«, sagte ich.

»Schützt denn niemand ein Mädchen davor, entführt zu werden?« rief Poalu. Noch immer hielt sie den Speckhammer in der Hand. Wenn sie damit richtig zuschlug, konnte sie einem Mann den Schädel zertrümmern.

»Will mich denn niemand retten?« klagte Poalu.

Kadluk sah sich um, besorgt, daß jemand sich einmischen könnte. Das Schauspiel hatte inzwischen mehrere Zuschauer gefunden.

»Naartok!« rief Poalu. »Willst du mich nicht retten?«

Ein untersetzter Mann, der in der Nähe stand, schüttelte energisch den Kopf. Er trug noch immer die rechte Schulter hochgezogen und den rechten Arm in der Schlinge. Ich mußte daran denken, daß Poalu ihn mit dem Messer in die Schulter getroffen hatte. Im Gegensatz zu Imnaks Erwartungen schien Naartok nichts dagegen zu haben, daß ich mich für ihn um das Mädchen kümmerte. Er schien mir sogar alles Gute zu wünschen für mein wagemutiges Unternehmen. Wie viele rothäutige Jäger neigte Naartok nicht dazu, solche Dinge mit Verbitterung zu sehen.

»Komm schon!« sagte ich zu Poalu. »Bald wird es dunkel.« Und damit hatte ich recht. In einigen Wochen würde sich die arktische Nacht herabsenken.

Sie schleuderte den Speckhammer nach mir, und ich sprang zur Seite. Das schwere Ding wirbelte an mir vorbei und traf Imnak mit voller Wucht auf die Stirn.