Sie huschte ins Zelt, und ich eilte ihr nach. Im Zelt packte ich sie und warf sie mir über die Schulter, Mit kleinen Fäusten hämmerte sie mir auf den Rücken.
»Hörst du wohl damit auf?« fragte ich.
»Ich will nicht!« rief sie.
»Oh.«
Ich stellte sie wieder auf die Füße, machte kehrt und verließ das Zelt. »Sie sagt, sie will nicht«, sagte ich zu Imnak.
»Geh wieder zu ihr!« drängte mich Imnak, dem ein Horn auf der Stirn wuchs.
»Unsinn!« rief ich. »Hör mal, Imnak, deine Freundschaft ist mir wichtig, doch von dieser Sache habe ich langsam genug. Ich glaube ernsthaft, daß sich Poalu nicht von mir entführen lassen will.«
Bedrückt blickte Imnak mich an.
»Davon bin ich ehrlich überzeugt. Du mußt sie dir schon selbst schnappen.«
»Dazu bin ich zu schüchtern.«
»Dann wollen wir nach Hause gehen, denn ich habe genug Tee getrunken und mich vor genügend Geschossen geduckt, daß ich für mehrere Tage meine Ruhe haben will.«
»Stimmt«, sagte Imnak bedrückt, »du hast mehr ertragen, als man einem Freund eigentlich zumuten darf.«
»Es war keine Zumutung«, sagte ich. »Gern hätte ich ein Mädchen für dich entführt, aber es ist eine Sache, ein Mädchen aus dem Zelt ihrer Eltern zu holen, und eine andere, sich an Poalu heranzumachen.«
»Poalu ist doch ein Mädchen.«
»Dessen bin ich nicht so sicher.«
»Meinst du, sie ist womöglich ein Sleen-Wesen?« fragte Imnak besorgt. Der Aberglauben seines Volkes ließ diese Möglichkeit durchaus zu.
»Denkbar wäre es.«
»Das würde natürlich vieles erklären«, sagte Imnak nachdenklich. Dann richtete er sich auf. »Aber es kann nicht sein. Ich kenne Poalu seit vielen Jahren. Als Kinder haben wir auf den Vogelklippen zusammen Eier gesucht und Händchen gehalten. Außerdem ist sie Kadluks Tochter.«
»Du hast wohl recht. Sie ist nicht wirklich ein Sleen.«
»Aber oft führt sie sich wie ein Sleen auf.«
»Ja.«
»Manche Mädchen sind eben so«, stellte Imnak fest.
»Ist dir schon mal ein anderes Mädchen begegnet, das so ist wie Poalu?«
»Eigentlich nicht.«
»Wohin wollt ihr Faulpelze?« fragte Poalu.
»Nach Hause«, antwortete Imnak.
Wir machten uns auf den Rückweg zu Imnaks Zelt. Es stand etwa zweihundert Meter entfernt. Imnak führte den Schnee-Sleen am Zügel, der auf trockenem Gras den Schlitten zog, und ich schritt neben ihm her. Fingerhut, Distel und Arlene gingen neben dem Schlitten.
»Imnak ist ein Faulpelz!« rief Poalu. »Imnak kann im Festhaus nicht singen! Imnak kann kein Kajak steuern! Imnak ist ein schlechter Jäger.«
»Ich werde zornig«, sagte Imnak zu mir.
»Rothäutige Jäger werden nicht zornig.«
»Manchmal doch«, sagte Imnak,
»Das wußte ich nicht.«
»Imnak ist ein Faulenzer! Imnak ist ein schrecklich dummer Jäger. Was für ein Glück für mich, nicht Imnaks Frau zu sein! Die arme Frau, die mal in Imnaks Zelt wohnen wird! Es freut mich, daß ich nicht in sein Zelt muß! Ich würde um nichts in der Welt in seinem Zelt wohnen wollen!«
»Jetzt habe ich aber genug!« sagte Imnak plötzlich.
»Man hat ja schließlich seinen Stolz«, bemerkte ich.
»Es ist nur schade, daß ich so schüchtern bin«, sagte Imnak und knirschte mit den Zähnen.
»Ja, sehr schade.«
Plötzlich legte Imnak den Kopf in den Nacken und brüllte zum Himmel empor. Knurrend wie ein wild gewordenes Tier machte er auf dem Absatz kehrt und eilte so schnell er konnte auf Kadluks Zett zu.
»Gehen wir weiter!« sagte ich zu den Mädchen. Wir drehten uns nicht um, sondern gingen weiter auf Imnaks Zelt zu.
Hinter uns wurde Jubelgeschrei laut. Als wir Imnaks Zelt erreicht hatten, drehten wir uns um.
Eine große Menge näherte sich – an ihrer Spitze schritt Imnak aus. Er zerrte eine vorgebeugte, stolpernde, schreiende Gestalt hinter sich her; seine Hand hatte sich in ihr Haar verkrampft. Sie trug Festkleidung.
An der Öffnung zum Zelt schleuderte er sie sich über die Schulter, trug sie hinein und warf sie auf die Felle zu seinen Füßen. Zornig blickte sie zu ihm auf. Sie versuchte aufzustehen, doch er stieß sie zurück.
»Du trägst Festkleidung!« sagte er. »Willst du etwa zu einem Fest?«
Sie sagte nichts.
»Nein«, fuhr er fort, »du gehst nicht zu einem Fest. Du brauchst kein Festgewand zu tragen. Zieh es aus, alles!«
»Imnak!« rief sie.
»Sofort!« befahl er.
Sie gehorchte eilig und hockte auf den Fellen in seinem Zelt. Nacktheit ist unter rothäutigen Jägern nichts Ungewöhnliches. Doch selbst für sie ist es etwas Besonderes, ein Mädchen nackt zu sehen, das so hübsch ist wie Poalu. Imnak mußte sich auf viele interessierte Gäste einstellen.
»Imnak!« rief sie. »Was hast du vor?«
»In diesem Zelt kann nur einer der erste sein!« rief er und versetzte ihr einen Schlag mit dem Griff seiner Peitsche. Frauen und Jäger scharrten sich um den Zelteingang und ermunterten Imnak in seinem Tun.
»Imnak gebietet in seinem Zelt!« rief Poalu schließlich und neigte erschaudernd den Kopf. »Imnak ist der erste in seinem Zelt.« Er steckte die Peitsche fort und trat vor sie hin. »Du bist in diesem Zelt der erste«, schluchzte sie. »Ich bin deine Frau. Deine Frau wird dir gehorchen.«
Die Männer und Frauen brüllten begeistert und stampften mit den Füßen. Einige begannen zu singen.
Poalu hatte sich mit ihrem Temperament und ihrer spitzen Zunge in der Gemeinschaft der rothäutigen Jäger und ihrer Frauen anscheinend viele Feinde gemacht. So verfolgten nun alle begeistert die Unterwerfung dieser stolzen Frau unter den Willen ihres Mannes, der in diesem Augenblick über sich selbst hinauswuchs.
»Jetzt kommst du mir nicht mehr in mein Zelt«, sagte Poalus Vater Kadluk. Er tätschelte ihr den Kopf und wandte sich ab.
»Vater!« rief sie.
»Säuselt da der Wind?« fragte er, ohne sich umzudrehen. »Ja, es ist wohl der Wind.« Und er entfernte sich.
Er hatte recht: sie durfte nun nicht mehr einfach in das Zelt ihres Vaters zurückkehren. Sie hatte sich unterworfen.
Die Menge begann sich zu zerstreuen.
Imnak sah sich um und schloß den Zeltvorhang.
15
Es ist herrlich, ein nacktes Mädchen im Arm zu haben, besonders wenn es eine Sklavin ist.
»Lange habe ich auf deine Berührung gewartet, Herr«, flüsterte Distel, die früher einmal den Namen Audrey Brewster getragen hatte. Ich streichelte ihr Gesicht. Sie war eine angenehme Gefährtin in den Fellen.
Ich hatte beim Knochenspiel gewonnen; sie war als Preis ausgesetzt gewesen. Ich konnte mit ihr machen, was ich wollte, bis ich die Zeltgemeinschaft verließ.
Die Jagd hatte gute Beute gebracht. Imnak und ich hatten vier Tabuks erlegt. Poalu und die anderen Mädchen waren uns gefolgt. Poalu hatte ihnen gezeigt, wie das Fleisch zu zerteilen und zum Trocknen auf Steinen auszubreiten war.
»Du hast nicht zum erstenmal beim Knochenwerfen gewonnen«, sagte sie. »Warum hast du so lange gewartet, mich zu wählen? Gefalle ich dir nicht, Herr?«
»Du bist ganz in Ordnung, Sklavin«, sagte ich.
»Ich will versuchen, dich zu erfreuen«, sagte sie.
Beim Knochenspiel werden kleine Knochen und Elfenbeinstücke geworfen; nach früheren Siegen hatte ich die blonde Fingerhut gewählt, die ich Barbara nannte.
»Die kleine Audrey sollte ein wenig Geduld lernen«, sagte ich.
»Das war grausam«, sagte sie.
Seitdem sich Imnak Poalu unterworfen hatte, schaute er seine beiden weißhäutigen Sklavinnen kaum noch an. Dies entsprang keinem Wunsch, grausam zu sein. Er hatte eben anderes zu tun. Und selbst wenn er daran gedacht hätte, wäre ihm die Not der Mädchen nicht nahegegangen, waren sie doch nur Sklavinnen. Leider waren beide Mädchen vor dem Eintreffen Poalus in das zweite Stadium der Sklaverei eingeführt worden. In der ersten Phase erkennt eine Sklavin, daß sie absolut gehorchen muß, in der zweiten bedarf sie der Berührung eines Mannes.