»Du hast das absichtlich getan«, sagte ich.
»Ja, hier ist jemand ein großer Angeber.« Er grinste. Seine Laune war gut. Er hatte zwei Sleen getötet, die unweit von uns im Wasser schwammen. Mit einer Röhre hatte er den toten Tieren Luft unter die Haut geblasen und mit Holzstücken die Wunden verschlossen. So bekamen die Tiere Auftrieb. Wenn wir zur Küste zurückkehrten, würde er sie hinter sich herziehen.
»Im Sitzen zu werfen ist nicht einfach«, sagte ich. »Ich bin das Wurfbrett nicht gewöhnt.«
»Ein Glück für die Sleen, daß du hier bist«, sagte Imnak. »Sonst lebten sie wohl sehr gefährlich.«
»Mit ermutigenden Worten, wie du sie mir spendest«, sagte ich, »werde ich wohl bald ein großer Meeres-Sleen-Jäger sein.«
»Vielleicht behandelst du die Meeres-Sleen nicht freundlich genug«, sagte Imnak. »Vielleicht glauben sie, du magst sie nicht.«
Es war mir bisher gar nicht in den Sinn gekommen, daß man Meeres-Sleen mögen könnte.
»Vielleicht ist das mein Problem«, sagte ich.
»Rede mit ihnen, sei freundlich«, sagte Imnak. »Locke sie an. Sie lassen sich gern locken.«
»Sie lassen sich gern von jemandem harpunieren, der sie nett behandelt?« fragte ich.
»Möchtest du von jemandem aufgespießt werden, der dein Feind ist?« fragte Imnak zurück.
»Nein, aber von einem Freund auch nicht.«
»Aber du bist kein Meeres-Sleen«, sagte Imnak.
»Das stimmt allerdings«, räumte ich ein.
»Komm schon, wenn du die Wahl hättest, sollte es doch lieber ein Freund sein, der dich harpuniert!«
»Ja, ja«, sagte ich. Manchmal konnte man mit Imnak nicht richtig diskutieren.
»Sei nett zu den Tieren«, sagte Imnak. »Sei nicht mürrisch. Sei nicht bedrückt. Rede positiv.«
»Hallo, Sleen!« rief ich.
»Gut«, sagte Imnak. »Das ist schon ein Anfang.«
»Wie macht man weiter?«
»Hör zu«, sagte Imnak und sprach auf das eiskalte Wasser hinaus. »Tal«, sagte er, »meine hübschen Brüder, meine gefährlichen Genossen! Wie schön und stark ihr seid! Wie schnell ihr schwimmt! Und euer Fleisch schmeckt in einer Suppe köstlich. Ich bin Imnak, ein armer Jäger. Ich möchte euch gern harpunieren. Ich habe hier eine kleine Harpune, die ich euch zeigen möchte. Ich würde es als große Ehre empfinden, wenn ihr euch von mir harpunieren ließet. Ich wäre euch sehr dankbar.«
»Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe«, sagte ich.
»Wie viele Sleen hast du heute schon harpuniert?« fragte er.
»Keinen«, sagte ich.
»Ich aber zwei«, entgegnete Imnak. »Versuch es mal!«
»Na schön.« Ich fragte mich, ob ich mich schon zu lange auf dem Wasser aufhielt. Manchmal gibt es da eine Überreizung für den Kajakfahrer, die allerdings nur an hellen Tagen auftritt, wenn das endlose Auf und Ab, das lange Warten, die Spiegelung des Wassers einen plötzlich jedes Gefühl für Zeit und Ort verlieren lassen und man sich im Nichts zu verlieren glaubt. Dann hat man das Gefühl singen oder schreien und mit dem Paddel auf das Wasser schlagen zu müssen, will man nicht den Verstand verlieren oder sterben, und dabei geht zuweilen auch der eigene Kajak in die Brüche.
Ich schaute über das Meer. »Sei gegrüßt, hübscher Sleen«, sagte ich. »Ich sitze hier schon lange und warte auf dich. Ich möchte einen von euch harpunieren. Wenn ihr euch dazu bereitfinden könntet, zu mir zu kommen und euch harpunieren zu lassen, würde ich das sehr zu schätzen wissen.«
»Nicht schlecht«, meinte Imnak.
»Arlene braucht etwas für die Suppe«, fuhr ich fort. »Ob ihr mir da vielleicht helfen könntet?«
»Du begreifst allmählich, worum es geht«, sagte Imnak.
»Ich bewundere euch sehr, ihr schlanken eleganten Wasserwesen«, sagte ich. »Ihr seid wunderschön stark und schwimmt wie der Blitz.« Ich blickte Imnak an. »Wie war das?« fragte ich.
»Großartig«, sagte Imnak und rief: »Paß auf!«
Der Sleen war unter dem Kajak aufgetaucht und hob es einen Meter hoch in die Luft. Das Boot rutschte von dem schimmernden Rücken des Säugetiers, prallte seitlich ins Meer. Ich warf mich zur Seite und richtete es wieder auf. Der Sleen schüttelte sich im Wasser und raste einige Meter weiter. Mein Gesicht fühlte sich von dem darauf gefrierenden Meereswasser starr an. Ich riß einen Handschuh herunter und rieb mir die Augen. Das Paddel hatte ich festgehalten, doch Harpune und Lanze schwammen im Wasser.
»Wie man sieht«, sagte Imnak, »begreifst du allmählich, worum es geht.«
Ich spuckte Wasser aus.
»Dort ist der Sleen«, sagte Imnak und deutete mit der Hand darauf.
Ich schaute über das Eiswasser auf die Stelle, die er meinte: ja, dort war der Kopf des Sleen zu sehen, ein Viertel aus dem Meer ragend, Augen und Nase in Höhe der Wasseroberfläche. Was ich von dem Kopf sehen konnte, kam mir sehr groß vor, achtzehn Zoll oder breiter. Ich zog den Handschuh wieder an. Meine Hand kribbelte vor Kälte.
»Ich glaube, er mag dich«, sagte Imnak.
Mit Hilfe der Leine, die am Kajak festgemacht war, zog ich die Harpune wieder heran.
»Beweg dich nicht zu schnell, damit er dich nicht angreift und umbringt«, rief mir Imnak zu.
»Nur gut, daß er mich nicht wirklich ablehnt«, sagte ich. »Dann wäre ich wohl wirklich in Gefahr.«
»Oh, oh«, sagte Imnak.
»Was ist los?«
»Vielleicht hättest du nicht zu dem Sleen sprechen sollen.«
»Warum nicht?«
»Ich glaube, wir haben da einen ganz wilden Sleen erwischt, einen Breitkopf, der im Herbst in dieser Gegend sehr selten ist. Außerdem hat er eine ganz graue Schnauze. Siehst du an der rechten Kopfseite die Narbe, dort, wo der Pelz gelichtet ist?«
»Ja.«
»Ich glaube, wir haben da einen Wildling. Schau doch, wie scharf er dich beobachtet! Man hat bestimmt schon einmal Jagd auf ihn gemacht.«
»Mag sein«, sagte ich. Es ist durchaus üblich, daß ein Sleen den Jäger beobachtet und dann bei Annäherung untertaucht. Dabei greift er wohl Objekte an, die sich im Wasser bewegen, zum Beispiel einen Schwimmer, nicht aber ein Boot, das wohl keinen anregenden Geruch verbreitet oder sonst einen Jagdinstinkt auslöst. Dieser Sleen jedoch schien uns nicht nur aufmerksam zu beobachten, in seinem Verhalten schien sogar etwas Drohendes zu liegen.
»Hallo, Sleen«, sagte ich.
»Sei kein Dummkopf!« schalt mich Imnak. »Das ist ein sehr gefährliches Tier!«
»Soll ich denn nicht mit ihm reden?« fragte ich. Ich hielt die Gelegenheit für gekommen, Imnak einen Tropfen seiner eigenen Medizin zu reichen.
»Man muß sich vorsehen, mit welchem Sleen man spricht«, sagte Imnak. »Es gibt eine Zeit für das Reden und Locken und eine Zeit für das Mundhalten.«
»Ich verstehe«, sagte ich lächelnd.
»Du kannst ruhig mit ihm reden«, fuhr Imnak fort, »aber an deiner Stelle würde ich es lieber nicht tun. Der Breitkopf da ist sehr gefährlich.«
»Man muß sich den Sleen aussuchen, mit dem man redet, ja?« fragte ich.
»Genau.«
Ich fischte mir die Lanze aus dem Wasser und war in meiner Bewaffnung jetzt wieder komplett.
»Arlene braucht etwas für unsere Suppe«, sagte ich zu dem Sleen. »Kannst du uns da aushelfen?«
»Halt den Mund!« flüsterte Imnak entsetzt.
»Ich dachte, du hättest gesagt, er mag mich.«
»Vielleicht tut er nur so«, sagte Imnak. »Wir warten einfach, bis er verschwindet, dann fahren wir ins Lager zurück.«
»Nein«, sagte ich.
»Wir haben zwei Sleen.«
»Du hast zwei Sleen«, betonte ich.
»Sei kein Dummkopf, Tarl, der mit mir jagt!«
»Ich bin überzeugt, er ist ein wirklich netter Bursche.«
»Paß auf!« rief Imnak. »Er kommt!«
Ich ließ die Harpune fallen, denn es wäre sehr schwierig gewesen, das Tier damit von vorn zu treffen. Die knöcherne Spitze hätte den dicken Schädel vermutlich nicht durchstoßen, und die schmale Vorderfront des Körpers unter Wasser zu treffen, wäre äußerst schwierig gewesen. Ich stieß die Lanzenspitze in das vorgestreckte, mit Zahn-Doppelreihen bewehrte Maul; es drang durch die Seite tief ein und spießte das Tier einen Meter weit auf. Der Angreifer bäumte sich dicht neben dem schwachen Boot sechs Fuß hoch aus dem Wasser. Beide Hände um den Speerschaft gelegt, drängte ich das zuckende Tier zur Seite, daß es nicht auf mein Boot fiel. Eine der riesigen Flossen traf mich, stieß mich zur Seite, wobei sich der Sleen von der Lanze löste. Er umschwamm mich, während heißes Blut aus dem Maul in das kalte Wasser strömte. Ich nutzte die Zeit, meine Harpune ein zweitesmal an der Leine aus dem Wasser zu ziehen, denn sie war mir erneut abhanden gekommen. Ich befestigte die leichte Harpune in der Kerbe des Wurfbretts, und ehe das Ungeheuer sich in meine Richtung wandte, ließ ich das Brett nach vorn und unten schnappen und brachte das Geschoß auf den Weg. Der Knochenwiderhaken verschwand im Widerrist des aufgebrachten Tiers, das sofort zu tauchen begann. Blasen und Blut stiegen an die Oberfläche. Sirrend entrollte sich die Leine aus ihrer Vertiefung und verschwand im Wasser. Kurze Zeit später tauchten der Harpunenschaft mit der Vorspitze an der Wasseroberfläche auf, während die eigentliche Harpunenspitze, an der die Leine festgemacht war, in der Wunde festsaß. Ich steuerte die Leine so gut ich konnte. Der Sleen war ein ausgewachsener, riesiger Breitschädel, achtzehn bis zwanzig Fuß lang und etwa tausend Pfund schwer. Sobald die Leine ganz ausgelassen war, mochte das Kajak mit unter Wasser gezogen werden. Imnak kam mir zu Hilfe; gemeinsam zerrten wir an der Leine, Beide Kajaks neigten sich nach vorn. »Er versucht zu fliehen«, sagte Imnak und ließ die Leine los. Mein Kajak wurde herumgezogen, und dann ging sein Bug nach unten; es wurde von dem See-Ungeheuer tief unter mir gezogen. »Kapp die Leine!« rief Imnak. »Er flieht unter das Eis!« Ich entdeckte weiter vorn eine Eisschicht. »Leine los!« rief Imnak. Doch ich gab meine Beute nicht frei. Ich war entschlossen, das Monstrum nicht freizugeben. Ich hielt die Leine um die linke Hand gewickelt und stieß mit der Lanze gegen das Eis. Doch die Lanze rutschte ab, die Leine glitt zur Seite, und ich wurde mitsamt dem Kajak auf das Eis gezerrt. Ich glitt darüber hin, kam davon frei und rutschte seitlich wieder ins Wasser. »Er flieht aufs Meer hinaus!« rief Imnak und folgte mir so schnell er konnte. Dann erschlaffte die Leine. »Er dreht«, sagte Imnak. »Sieh dich vor!« Nach wenigen Augenblicken sah ich den Körper des Sleen an die Oberfläche kommen. Die Entfernung betrug etwa sechzig Fuß. »Er ist nicht tot«, sagte Imnak. »Das weiß ich«, gab ich zurück. Deutlich war der Atem zu sehen, der aus seinen Nasenlöchern stieg und sich wie ein Nebel über das kalte Wasser ausbreitete. Das Wasser schien fettig zu schimmern, denn es hatte zu frieren begonnen. Rings um das Tier war es dunkel von Blut. Wir steuerten unsere Kajaks näher heran, um dem Tier mit den Lanzen den Rest zu geben. »Vorsicht!« warnte Imnak. »Er ist nicht tot.«