»Aber er hat viel Blut verloren«, sagte ich.
Wir näherten uns von beiden Seiten dem Tier.
»Es atmet nicht mehr«, stellte ich fest.
»Es ist aber schon einmal gejagt worden«, sagte Imnak. »Ich glaube, es wartet darauf, daß wir uns nähern. Glaube ja nicht, daß es uns nicht belauert.«
»Wir warten ab?«
»Ja«, sagte Imnak. »Der Sleen blutet. Die Zeit ist auf unserer Seite.« Nach einer Weile fuhr er fort: »Halte dich bereit. Ich habe gezählt. Gleich muß er atmen.«
Wir hielten unsere Lanzen bereit. Plötzlich sprang der Sleen mit einem explosiv wirkenden Laut, einem dröhnenden Luftschnappen in die Höhe. Als er am weitesten aus dem Wasser war, stießen wir mit den Lanzen zu. Das Tier löste sich von den Spitzen, atmete tief ein und tauchte. Wieder streckte sich die Harpunenleine in die Tiefe. »Wir haben ihn gut getroffen!« rief Imnak. »Paß auf!« Die Leine war erschlafft. Ich starrte ins Wasser hinab. Dann spürte ich den Druck des Wassers von unten, eine Bewegung, die sich durch das gespannte Leder des Kajaks deutlich fortpflanzte. Ich stieß die Lanze senkrecht nach unten und wurde halb aus dem Kajak geschleudert, als das kleine Boot seitlich von dem aus dem Wasser springenden Sleenkörper abglitt. Von der anderen Seite stach Imnak immer wieder zu. Der Sleen fiel ins Wasser. Ich zerrte die Lanze frei und stieß sie immer wieder tief in den feuchten, blutüberströmten Pelz. Der Sleen griff mit zuschnappenden Fängen erneut an, die ich mit der Lanze abwehrte. Imnak stach wieder zu. Das blutige Wesen bewegte sich zuckend im eiskalten Wasser. Der Sleen wandte sich Imnak zu, was mir Gelegenheit gab, die Lanze tief in seiner Flanke zu stoßen, hinter die rechte Vorderflosse. Wieder atmete der Sleen aus. Ich zog die Lanze zurück, um von neuem anzugreifen. Das Ungeheuer starrte mich an. Dann rollte es im Wasser zur Seite.
»Er ist tot«, sagte Imnak.
»Woher weißt du das?«
»Die Art und Tiefe deines Stiches lassen keinen Zweifel«, sagte Imnak. »Du hast das Herz getroffen.«
»Das Herz liegt ziemlich in der Mitte.«
»Schau dir das Blut an deiner Lanze an.«
Ich kam der Aufforderung nach. Gut dreißig Zoll lang war die Lanze mit frischem Blut bedeckt.
»Du bist sehr stark«, meinte Imnak.
Er steuerte sein Kajak zur Flanke des Tiers und begann mit Holzpflöcken die Wunden zu verschließen. Er wollte nicht, daß das Tier noch mehr Blut verlor. Gefrorenes Blut ist nahrhaft.
»Bläst du ihm Luft unter die Haut?« fragte ich.
»Erst wenn er zu sinken droht«, antwortete Imnak. »Wir fahren nach Hause.«
»Er wird sinken.«
»Hier«, sagte Imnak, »wir stützen ihn zwischen den Kajaks ab.«
Wir banden das mächtige Tier zwischen den beiden Kajaks fest und paddelten dann langsam in Richtung Lager.
»Ich habe dir gleich gesagt, daß der Sleen ein netter Bursche ist«, sagte ich.
»Davon war ich eine Weile nicht so überzeugt«, meinte Imnak.
»Du hast an ihm gezweifelt«, sagte ich.
»Das war falsch von mir«, räumte Imnak ein. »Aber er hat sich gut verstellt. Er hat mich eine Zeitlang hinters Licht geführt.«
»So sind Sleen nun einmal.«
»Ja, ziemlich verspielt. Du solltest dem Sleen noch danken, daß er sich von dir hat harpunieren lassen«, fuhr er fort. »Nicht jeder Sleen wäre dazu bereit gewesen.«
»Vielen Dank, Sleen«, sagte ich.
»Gut!« rief Imnak. »Das gehört sich einfach so. Sleen haben auch ihren Stolz.«
Wir erreichten die beiden Sleen, die wir im Wasser hatten schwimmen lassen. Imnak dankte den beiden Tieren, daß sie sich von ihm hatten töten lassen. Dann band er sie an seinem Boot fest, und wir nahmen Kurs auf die Felsküste.
»Wenn die Sleen tot sind, wie sollen sie dann merken, daß wir ihnen danken?« fragte ich.
»Das ist eine interessante und schwierige Frage«, sagte Imnak. »Ich weiß eigentlich nicht genau, wie die Sleen das machen. Das Volk glaubt aber daran, wir meinen, daß die Sleen gar nicht sterben, sondern nach einer Weile wiedergeboren werden.«
»Die Sleen sind unsterblich?« fragte ich.
»Ja«, sagte Imnak. »Und wenn so ein Tier zurückkehrt, ist es hoffentlich noch eher bereit, sich wieder harpunieren zu lassen, wenn man es gut behandelt hat.«
»Glaubt man auch, daß die Menschen unsterblich sind?«
»Ja«, antwortete Imnak.
»Ich kenne eine Welt, wo einige Leute die Menschen für unsterblich halten, nicht aber die Tiere.«
»Sie mögen Tiere nicht?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Vielleicht halten sich die Leute für unsterblich, weil sie sich als klug einschätzen und die Sleen nicht.«
»Manche Sleen sind ziemlich ausgefuchst«, sagte Imnak und überlegte einen Augenblick lang. »Wenn Sleen über dieses Problem sprächen, würden sie wahrscheinlich sagen, daß sie unsterblich sind, und die Menschen nicht, weil sie schließlich besser schwimmen können.«
»Mag sein«, sagte ich.
»Wer kann schon die Bedeutung des Lebens ergründen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Vielleicht hat es überhaupt keinen Sinn.«