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»Das ist interessant«, meinte Imnak. »Aber dann wäre die Welt sehr einsam.«

»Vielleicht ist sie das auch.«

»Nein«, sagte Imnak und zog sein Kajak aus dem Wasser. »Die Welt kann nicht einsam sein, wenn es zwei Menschen gibt, die Freunde sind.«

Ich blickte zu den Sternen auf. »Du hast recht, Imnak«, sagte ich. »Wo es Schönheit und Freundschaft gibt, kann man von der Welt nicht mehr verlangen. Wie großartig und bedeutsam ist doch ein solcher Ort! Was für eine andere Daseinsberechtigung könnte er haben?«

»Hilf mir, das Fleisch an Land zu zerren!« sagte Imnak.

Ich half ihm. Andere Jäger eilten zum Wasser herab und halfen mit. Ich wußte nicht, was für ein Ort die Welt war, doch manchmal kam sie mir ganz großartig vor.

21

»Die Nacht ist angebrochen«, sagte ich zu Imnak. »Ich glaube nicht, daß Karjuk noch kommt.«

»Vielleicht nicht«, meinte Imnak.

Mehrmals war bereits Schnee gefallen, wenn auch noch nicht sehr viel. Die Temperaturen waren schon sehr gesunken.

Vor etwa drei Wochen hatten Imnak und ich drei Sleen an Land gebracht. Damit war die Kajakfischerei für dieses Jahr zu Ende gewesen, denn noch am Abend unserer Jagd hatte das Meer zuzufrieren begonnen. Kristalle hatten sich im Wasser gebildet, winzige Eisstücke. Dann war das Wasser innerhalb weniger Stunden schwer und teigig geworden, der Eisanteil darin war gewachsen. Einige Stunden später waren diese sich aufbauenden Eisformationen miteinander in Berührung gekommen, hatten sich aneinander gerieben, waren zum Teil übereinander gerutscht und bildeten unregelmäßige Schrägen und Flächen, und schon war das Meer in friedlicher Stille untergegangen – eine Eiswüste.

»Es gibt andere Dörfer«, sagte ich. »Wir wollen sie besuchen, um zu sehen, ob Karjuk vielleicht dort ist.«

»Es gibt viele Dörfer«, sagte Imnak. »Das weiteste liegt viele Schlafperioden von hier.«

»Ich möchte sie alle besuchen. Wenn wir dann noch immer nichts von Karjuk gehört haben, muß ich auf das Eis hinaus und ihn suchen.«

»Da könntest du genausogut nach einem bestimmten Sleen suchen«, meinte Imnak. »Ein hoffnungsloses Unterfangen.«

»Ich habe lange genug gewartet. Ich muß es versuchen.«

»Ich mache den Schlitten fertig«, sagte Imnak. »Akko besitzt einen Schnee-Sleen, Naartok einen zweiten.«

»Gut«, sagte ich. »Ein laufender Schnee-Sleen kann einen Schlitten schneller ziehen, als ein Mensch es vermag. Es sind gefährliche, aber auch sehr nützliche Tiere.«

»Hör mal!« sagte Imnak.

Ich schloß den Mund und spitzte die Ohren. Aus großer Weite tönte das Jaulen eines Sleen durch die klare, kalte Luft. »Vielleicht kommt Karjuk!« rief ich.

»Nein, das ist nicht Karjuk«, sagte Imnak. »Der Laut kam aus dem Süden.«

»Imnak! Imnak!« rief Poalu von draußen und schob sich durch die Türöffnung der Hütte. »Es kommt jemand!« Sie hatte zusammen mit den anderen Mädchen im Festhaus Felle aufgearbeitet. »Wer ist das?« fragte er.

»Ich weiß es nicht«, sagte sie.

»Na, dann steig auf eines der Fleischgestelle und schau nach, Mädchen!« befahl er.

»Ja, Imnak!« rief sie.

Imnak und ich zogen Fäustlinge und Parkas an und verließen die von den Lampen gewärmte, halb in den Boden eingegrabene Hütte. Es war klar und windstill, und alle Geräusche klangen überdeutlich. Der Schnee knirschte laut und knisternd unter unseren Stiefeln. Mondlicht lag über dem Dorf und dem Schnee der Tundra und funkelte auf dem Eis des Meeres. Deutlich hörte ich die Worte anderer Dorfbewohner, die miteinander sprachen. Die gesamte Dorfbevölkerung schien die Unterkünfte verlassen zu haben. Etliche waren auf Fleischgestelle gestiegen und versuchten im Mondlicht etwas zu erkennen. Für die arktische Nacht war es noch nicht kalt, wenngleich solche Angaben relativ sind. Es war windstill. Die Temperatur mochte etwa vierzig Grad unter Null sein. Die Kälte wurde einem erst richtig bewußt, wenn die Gesichtshaut erstarrte. »Was siehst du?« fragte Imnak.

»Einen Schlitten und einen Mann!« rief Poalu von oben.

Wieder hörten wir den Schrei des Sleen aus der Ferne, ein Laut, der unter den gegebenen Umständen sehr weit zu hören war. Das Tier mochte noch zehn oder mehr Pasangs entfernt sein. Manchmal hört man solche Schreie auf fünfzehn Pasangs über das Eis.

»Macht die Lampen an, setzt Fleisch auf!« rief Kadluk, der im Dorf eine Art Häuptling war. »Wir müssen für unseren Besucher ein Festmahl bereiten!«

Frauen liefen los. Arlene und Barbara und Audrey sahen sich an. Sie wußten Bescheid – wenn der Besucher eine Vorliebe für weißhäutige Frauen hatte, würde ihm im Dorf das Richtige geboten werden. Poalu, die unter den Mädchen das Kommando führte, gab mit scharfer Stimme einen Befehl, und sie liefen los. »Es ist ein Schlitten und ein Mann!« rief Poalu uns zu.

»Wer würde im Winter aus dem Süden zu uns kommen?« fragte ich.

»Muß ein Händler sein«, gab Imnak zurück. »Aber das ist absonderlich – diese Leute kommen im Winter nicht.«

»Ich ahne, wer das ist!« rief ich. »Vielleicht hat er eine Neuigkeit für mich! Wir wollen ihm entgegengehen!«

»Ja«, sagte Imnak. »Natürlich!«

»Gehen wir unserem Gast entgegen und begrüßen wir ihn!« rief Kadluk fröhlich.

Die Männer eilten in ihre Hütten, um ihre Waffen zu holen. Gelegentlich streifen wilde Sleen durch die Tundra, halb verhungert und deshalb unberechenbar. Sie gehören zu den Gefahren, die dem Winterreisenden in diesen Breiten drohen.

Angeführt von Kadluk stapften Imnak und ich, Akko und Naartok und zahlreiche andere mit Harpunen und Lampen aus dem Dorf. Einen Pasang weiter hob Kadluk Stille heischend die Hand. Wir erstarrten.

»Fort!« rief eine Stimme. »Fort!«

»Beeilung!« brüllte Kadluk.

Wir liefen über einen kleinen Hügel; um unsere Füße stob der Schnee auf.

Auf der geneigten Ebene zwischen sanften Hügeln entdeckten wir etwa einen Pasang entfernt den langen Schlitten mit dem daran festgebundenen Zug-Sleen. In der Nähe machten wir zwei Gestalten aus. Die eine gehörte einem Menschen.

»Ein Eis-Ungeheuer!« rief Akko.

Die andere Gestalt ließ keinen Zweifel offen: groß, zottig, mit langen Armen: ein weißpelziger Kur.

Der Mann versuchte das Wesen mit einer Lanze fortzuschieben. Das Tier zeigte sich aggressiv.

Verwundet wich es zurück. Aber es konnte keinen schweren Schaden genommen haben. Es duckte sich und beobachtete den Mann, während es an seinem Arm saugte. Dann stellte es sich auf die kurzen Hinterbeine und hob die beiden langen Arme in die Luft und schrie vor Wut. Dann kauerte es sich mit gebleckten Reißzähnen nieder, um von neuem anzugreifen.

Ich rannte bereits den Hügel hinab, im Schnee ausrutschend, die Lanze in der Hand. Die Männer hinter mir hoben ebenfalls die Waffen und folgten brüllend.

Das Ungeheuer drehte sich um und blickte unserer waffenschwingenden, brüllenden Horde entgegen.

Ich hatte das beunruhigende Gefühl, daß es seine Entfernung von uns berechnete und die Zeit, die verstreichen würde, bis wir die Strecke hinter uns gebracht hatten.

Irgendwie spürte ich, daß wir hier kein bloßes Tier vor uns hatten, keinen degenerierten unintelligenten Abkömmling von Überlebenden der Kurii-Schiffe, die vor Generationen hier gestrandet waren – Nachfahren, denen die Disziplin und Loyalität der Schiffsgesetze nichts bedeutete, Nachfahren, die in eine herrische Wildheit zurückgefallen waren. Der Kur, der bloß Tier ist, stellt sich in den meisten Situationen als weniger gefährlich dar als der Kur, der mehr ist als ein Tier. Der erste ist nur sehr gefährlich, der zweite ein unvergleichlicher Gegner.

Kaum hatte sich der Kur nach uns umgedreht, da eilte der Mann los und schirrte den Schnee-Sleen vom Schlitten ab. Als der Kur sich wieder umdrehte, sprang der Schnee-Sleen ihn an und versuchte ihm die Kehle durchzubeißen.

Ich war nur noch wenige hundert Meter von dem Kur entfernt.

Ich sah, wie er den halb durchgebissenen Sleen, eine blutige Masse, zur Seite schleuderte. Als der Schnee-Sleen seinen Angriff begann, hatte der Mann erneut zugestoßen, doch sein Lanzenstich war nicht tödlich gewesen. Der Kur hatte am Hals eine klaffende, blutende Wunde.