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Jetzt griff er nach der Lanze, entriß sie dem Mann und brach sie in der Mitte durch. Nun ergriff der Mann die Flucht; er lief geradewegs auf uns zu.

Der Kur warf die Bruchstücke zur Seite. Der Sleen lag hinter ihm im Schnee. Der Schlitten stand einsam und verlassen in der Eis-Öde. Niemand konnte den Kur daran hindern, sich über die darauf befindlichen Fleisch- und Zuckervorräte herzumachen oder was sich sonst noch in der Ladung befinden mochte.

Das Ungeheuer kümmerte sich aber weder um den Sleen noch um den Schlitten. Es blickte dem Mann nach.

Da wußte ich ganz sicher, daß es sich nicht um ein gewöhnliches Tier handelte. Ein bloßer Kur, hungrig, aggressiv, hätte sich auf den toten Sleen oder das Fleisch auf dem Schlitten gestürzt und sich vor den anstürmenden Jägern mit seiner Beute zurückgezogen.

Dieses Wesen aber ließ sich auf alle viere nieder und begann den Mann zu verfolgen. Da wußte ich, daß wir einen Schiffs-Kur vor uns hatten. Das Wesen hatte es nicht auf Fleisch abgesehen, sondern auf den Mann.

Er hastete an mir vorbei, und ich stellte mich auf, den Arm zurückgelegt, die Lanze wurfbereit.

»Hallo, Ungeheuer!« rief ich. »Ich bin bereit!« Der Kur blieb etwa zwanzig Meter vor mir stehen und bleckte die spitzen Zähne.

»Komm her und hol dir eine Kostprobe meiner Lanze!« rief ich.

Ein primitiver Kur hätte jetzt wohl angegriffen. Dieses Wesen aber rührte sich nicht. Hinter mir hörte ich die rothäutigen Jäger näherkommen; sie waren noch etwa hundert Meter entfernt. Ich machte, einen Schritt auf den Kur zu und hob dabei drohend meine Lanze. Gleich mußte der Kur von einem ganzen Schwarm brüllender Männer eingekreist sein, die ihre Lanzen in seinen Körper stießen.

Mit einem letzten Wutschrei trat der Kur den Rückzug an; dabei nahm er den Blick nicht von uns. Auf allen vieren entfernte er sich schräg rückwärts nach links. Wir liefen auf ihn zu, doch er machte plötzlich kehrt, schnappte sich im Vorbeihasten mit einer Hinterpfote den toten Sleen und verschwand damit geduckt in die schneebedeckte Tundra.

Ich hatte deutlich gesehen, daß er in jedem Ohr einen goldenen Ring trug.

Wir schauten ihm nach. Der Kur huschte über die Tundra davon.

»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Ram, »Ihr alle!«

»Bist du verletzt?« fragte ich.

»Nein«, sagte er.

Wir gaben uns die Hand.

»Ich dachte mir gleich, daß ich dich im Dorf von Kadluk und Imnak finden würde«, sagte er.

»Hast du Bazi-Tee mitgebracht?« fragte Akko.

»Und Zucker?« wollte Naartok wissen.

»Ja«, sagte Ram. »Ich habe Tee und Zucker. Und Spiegel und Perlen und Messer und viele andere Waren.«

Diese Nachricht wurde natürlich mit Freuden begrüßt. Wegen der Mauer waren seit vielen Monaten keine Händler mehr in den Norden gekommen.

»Wir veranstalten für unseren Freund ein Festmahl!« rief Kadluk.

»Oh!« ächzte Akko. »Es ist nur bedauerlich, daß wir so wenig Fleisch im Lager haben und daß unser Fest daher recht kümmerlich ausfallen muß!«

»Außerdem wußten die Frauen nicht, daß Besuch kommt«, sagte ein Mann neben ihm, »deshalb haben sie noch kein Wasser aufgesetzt.«

Es dauert einige Zeit, bis man Wasser über einer Öllampe zum Kochen gebracht hat, obwohl die Flamme durch richtige Stellung und Verlängerung des Dochts vergrößert werden kann.

»Das ist doch kein Problem«, sagte Ram.

In Wirklichkeit hatten wir sehr viel Fleisch im Lager, und die Frauen waren längst damit beschäftigt, ein großartiges Festmahl vorzubereiten.

»Es tut uns wirklich leid«, sagte Kadluk und ließ den Kopf hängen.

Die rothäutigen Jäger sahen sich vielsagend an.

Ram kannte sich als Händler mit den Scherzen der Jäger natürlich aus. So konnte ihm nicht entgangen sein, daß ihm beinahe jeder Mann aus dem Dorf gut zwei Pasangs vor der Siedlung entgegengekommen war. Daraus mußte er schließen, daß er erwartet wurde. Außerdem sagte ihm die Zahl der Männer, daß genug zu essen vorhanden sein mußte, denn sonst wären viele Männer mit ihren Familien auf dem Eis unterwegs gewesen.

»Das Tier hatte es auf dich abgesehen«, sagte ich.

»Es war hungrig«, meinte er.

»Sein Interesse galt nicht dem Schnee-Sleen oder den Vorräten, die du auf dem Schlitten hast«, sagte ich. »Es war ganz gezielt hinter dir her.«

»Das kann ich mir kaum vorstellen«, meinte Ram. »Du redest ja, als wäre das Ungeheuer intelligent.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte ich. »Hast du nicht die Ringe in seinen Ohren bemerkt?«

»Natürlich.«

»Das sind bestimmt Schmuckstücke.«

»Das Ungeheuer ist irgendeinem Herrn entflohen«, mutmaßte Ram. »Zweifellos hat der ihm solche Verzierungen in die Ohren gesetzt.«

»Ich meine, es hat sich die Ringe ganz allein zugelegt.«

»Das erscheint mir unwahrscheinlich«, sagte Ram. »Du hast doch selbst gesehen, wie tierhaft es sich verhielt.«

»Meinst du, daß etwas nicht intelligent sein kann, nur weil es nicht wie ein Mensch aussieht?«

Ram erbleichte. »Aber wenn sich Intelligenz mit solcher Wildheit paart…«

»Diese Wesen heißen Kurii«, sagte ich.

Im Festhaus brannten alle Lampen.

Nackt kniete Arlene vor Ram und hielt ihm eine Platte mit dampfendem Fleisch hin.

Er legte einen Finger unter ihr Kinn und schaute ihr ins Gesicht.

»Wer ist diese hübsche kleine Sklavin?« fragte er. »Sie kommt mir bekannt vor.«

Entsetzt blickte sie ihn an.

»O ja«, sagte er. »Sie führte früher das Kommando an der Mauer. Du hast sie zur Sklavin gemacht.«

»Ja«, sagte ich.

»Ist sie gut?« fragte er.

»Du wirst es bald wissen«, sagte ich.

Er lachte.

»Ich bin sicher, daß das Ungeheuer auf dich Jagd machte«, fuhr ich fort.

»Mag sein.«

»Wie gefällt dir unser armseliges kleines Fest?« fragte Kadluk im Vorbeigehen.

»Es ist das beste Mahl, das ich je gegessen habet«

»Aber ist dir der Kur eine weite Strecke gefolgt?« fragte ich.

»Keine Ahnung«, sagte Ram.

»Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute, daß der Kur dich abgefangen hat, daß er auf dich gewartet hat.«

»Woher wußte er, wo er warten mußte?«

»Ich fürchte, mein Hiersein ist bekannt«, sagte ich. »Als ich nicht in den Süden zurückkehrte, mußte man annehmen, daß ich nach Norden gereist war. Nur ein rothäutiger Jäger war an der Mauer – Imnak. Daraus ließ sich schließen, daß ich sein Dorf aufsuchen würde. Vielleicht hat man mich hier auch bespitzelt. Ich weiß es nicht.«

Ram musterte mich ernst. »Von alledem verstehe ich wenig«, sagte er.

»Ich gehe davon aus, daß es bekannt war, ich würde im Dorf des Kadluk sein oder dorthin reisen. In Lydius hatte man uns zusammen gesehen. Als du dann in den Norden aufbrachst, konnte man vermuten, daß du mich suchen wolltest.«

»Ich machte daraus keinen Hehl«, sagte Ram.

»Folglich kannte der Feind, wenn man ihn einmal so nennen will, meinen Aufenthaltsort und deine Absicht, mit mir in Verbindung zu treten, und dann war es kein Problem mehr, dir vor dem Dorf einen Hinterhalt zu legen.«

»Ja«, sagte er.

»Was die Kurii nicht berücksichtigt haben, ist der Umstand, daß dein Sleen auf so weite Entfernung zu hören sein und die Jäger dir dann entgegeneilen würden.«

»Es gibt noch eine andere Möglichkeit, keine sehr angenehme«, sagte Ram.

»Und die wäre?«

»Die Kurii haben mich verfolgt«, sagte er. »Vielleicht habe ich sie hierhergeführt.«

»Möglich wäre es. Aber wenn es wirklich so ist, können wir damit leben.«

»Wie darf ich das verstehen?« fragte Ram.

»Ich glaube, es besteht bei zumindest einigen Kurii der Wunsch, mich zu einem Gespräch einzuladen. Auf eine Weise bin ich einer Einladung gefolgt, als ich in den Norden aufbrach. Wenn der Feind weiß, wo ich bin, mag er versuchen, mit mir Verbindung aufzunehmen.«